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„Maximal unsichtbar“ – neuer Jugendroman von Nicol Goudarzi in Einfacher Sprache

Cover des Buches Maximal Unsichtbar
Cover des Buches Maximal Unsichtbar
Foto: von Loeper Literaturverlag

Köln (kobinet) Nicol Goudarzi, Kölner Schriftstellerin, hat mit "Maximal unsichtbar“ ihren ersten Jugendroman vorgelegt. Eine spannende Geschichte über Mobbing, über Freundschaft und darüber, zu eigenen Stärken zu finden. Wie sie auf ihre Romanidee gekommen ist und warum ihr wichtig ist, dass der Roman zusätzlich in Einfacher Sprache erschienen ist, erzählt Nicole Goudarzi im Interview mit kobinet-Korrespondentin Anke Glasmacher.

Anke Glasmacher (AG): Nicol, ich kenne Dich vor allem als Kölner Lyrikerin. Jetzt hast Du Deinen ersten Roman vorgelegt: „Maximal unsichtbar“, ein Jugendroman. Worum geht es darin?

Nicol Goudarzi: Es geht um die Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen, Maxima und Bastian. Maxima ist ein sehr stilles Mädchen, das in der Schule oft gemobbt wird und am liebsten nicht auffallen möchte. Das funktioniert auch ziemlich gut, bis der selbstbewusste Bastian in ihre Klasse kommt. Bastian ist Rollstuhlfahrer. Er steuert seinen Rolli mit dem Kopf und spricht durch einen augengesteuerten Sprachcomputer. Maxima muss mit Bastian zusammenarbeiten, eine Projektarbeit zum Thema Mittelerde-Rollenspiele. Sie merkt sehr schnell: Neben Bastian kann sie sich nicht mehr unsichtbar machen. Sie merkt aber auch: Von dem schlagfertigen Bastian kann sie sich einiges abgucken, um zu ihrer eigenen Stimme zu finden. Sowohl als Magierin in der Fantasy-Welt als auch in ihrem Schulalltag.

Neben der „klassischen“ Variante als Jugendroman erscheint das Buch zusätzlich auch in Einfacher Sprache.

AG: Wie bist Du auf die Idee, auf das Thema gekommen?

Nicol: Ich habe in den Neunzigern Sonderpädagogik studiert und schon damals hat mich der Fachbereich „Unterstützte Kommunikation“ fasziniert. Im Mittelpunkt stehen dabei Menschen, die ihre Lautsprache nicht oder nicht verständlich mit ihrer Sprachmuskulatur produzieren, sondern zum Beispiel mit Hilfe von Sprachcomputern sprechen. Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen richtete schon damals das „Jahrestreffen für unterstützt kommunizierende Menschen“ aus. Ich habe dort Schreibwerkstätten geleitet und dabei unterstützt Kommunizierende kennengelernt, die witzig, wortgewandt und kreativ waren, obwohl ihre Worte erst den Umweg über die Sprachcomputer nehmen mussten. Das hat mich sehr beeindruckt und ich habe sehr viel von ihnen gelernt. Als ich dann vor einigen Jahren ernsthaft mit dem literarischen Schreiben begonnen habe, war mir klar: Ich will einen Roman schreiben, der den Fokus auf diese Kompetenzen richtet. Einen Roman, in dem ein stilles Mädchen ohne Behinderung durch einen unterstützt kommunizierenden Jugendlichen zu ihrer eigenen Stimme findet.

Einen Teil des Erlöses von jedem verkauften Buch spende ich übrigens dem Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen. Damit es noch viele dieser tollen Jahrestreffen geben kann.

AG: Dein Buch ist in Einfacher Sprache erschienen. Ich kenne noch nicht viele Autor*innen, die ihre Bücher zusätzlich in Einfacher Sprache schreiben oder deren Bücher in Einfache Sprache übertragen werden. Erzähl mal, wie kam es dazu?

Nicol: Ich habe viele Jahre als Lehrerin in einer Schule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung gearbeitet. Da ist eine klare und konkrete Sprache sehr wichtig, sowohl gesprochen als auch geschrieben. Irgendwann habe ich dann eine Fortbildung als Übersetzerin für Leichte Sprache gemacht und mich auch im Bereich Einfache Sprache weitergebildet. Und ich lerne noch immer weiter – denn so leicht und einfach ist das mit der Leichten und Einfachen Sprache gar nicht.

AG: War es leicht, dafür einen Verlag zu gewinnen?

Nicol: Jein. Mir war klar, dass es nicht einfach sein wird, einen Roman über ein gemobbtes Mädchen und einen Jungen mit komplexer Körperbehinderung zu veröffentlichen. Einerseits sind viele Verlage interessiert an Manuskripten zum Thema Inklusion, andererseits ist das Thema Unterstützte Kommunikation ein sehr spezieller Unterbereich. Ich hatte aber das Glück, durch meine „Basalen Aktionsgeschichten“ bereits mit dem von Loeper Literaturverlag zusammenzuarbeiten, der sich unter anderem mit den Themen Inklusion und Behinderung beschäftigt. Die Zusage war trotzdem keine Selbstverständlichkeit. An so einem Entscheidungsprozess sind viele Verlagsmenschen beteiligt und es dauert eine ganze Weile, bis man eine endgültige Antwort erhält. Die war dann aber zum Glück positiv. Im gemeinsamen Gespräch entstand danach sehr schnell die Idee, dem Roman auch ein pädagogisches Begleitheft und die Übersetzung in Einfache Sprache zur Seite zu stellen. Das ist natürlich großartig, dass ein Verlag so engagiert und flexibel ist, zu sagen: Wir bringen nicht ein Buch, sondern gleich drei Bücher heraus.

AG: Wie stelle ich mir den Schreibprozess vor? Romanfiguren entwickeln während des Schreibens ja oft ein Eigenleben. Wie war das bei Dir? Hast Du von Anfang an in Einfacher Sprache gedacht und die Figuren dementsprechend entwickelt? Oder hast Du den Roman später „übersetzt“?

Nicol: Ich habe tatsächlich als Erstes den Roman in „schwerer Sprache“ geschrieben und dann in einem zweiten Schritt in Einfache Sprache übersetzt.

AG: Autor*innen haben oft sogenannte „Erst- oder Testleser*innen“, die ihnen in einem frühen Stadium – also vor dem eigentlichen Verlagslektorat und der Veröffentlichung – eine Rückmeldung über die Figurenentwicklung, Erzählperspektive, Spannungsaufbau, etc. geben. Wie war das im Hinblick auf die Einfache Sprache? Wer waren Deine „Testleser*innen“?

Nicol: Meine wichtigste Testleserin war Kathrin Lemler. Kathrin ist Autorin, Rehabilitationswissenschaftlerin und sie spricht durch einen augengesteuerten Sprachcomputer. Wir hatten regelmäßige Treffen, in denen wir den Text besprochen haben. Dabei ging es allerdings weniger um Einfache Sprache, sondern um die Frage, ob ich der Figur des Bastian in meinem Text gerecht werde. Ich selber habe keine Körperbehinderung. Ich kann also wunderbar die Unsicherheiten von Maxima abbilden, die sie zu Beginn des Romans hat. Aber was den Alltag als unterstützt kommunizierende Person angeht, da bin ich auf Hilfe angewiesen. Kathrin hat da mit Argusaugen auf den Text geguckt und ganz viele wichtige Impulse und Rückmeldungen gegeben, die ich eingearbeitet habe. Wichtig war mir dabei auch die Frage: Wie wirkt die Entwicklung von Maxima auf Menschen mit Behinderung? Am Anfang des Romans hat sie noch deutliche Berührungsängste, da tauchen Wörter wie „Behinderter“, „Rollstuhl“, und „Computerstimme“ auf. Dieses Vokabular verschwindet dann aber bald, weil sie Bastian immer besser kennenlernt und seine Behinderung und seine Hilfsmittel nicht mehr wichtig für Maxima sind.

AG: Was meinst Du, wird es zukünftig mehr Literatur in Einfacher Sprache geben?

Nicol: Im Moment geht der Trend ganz klar in diese Richtung. Seit 2009 gibt es einen Verlag, der sich auf Buchübersetzungen in Einfache Sprache spezialisiert. Auch einige der großen Publikumsverlage bringen immer öfter zusätzliche Romanübersetzungen in Einfacher Sprache auf den Markt, allerdings vor allem im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Es gibt auch einige spannende Einzelprojekte. Zum Beispiel hat das Literaturhaus Frankfurt am Main ein Buch mit Kurzgeschichten bekannter Autor*innen herausgegeben, „LIES – Literatur in Einfacher Sprache“.

AG: So wie es Bücher in Braille-Schrift gibt, wäre der nächste logische Schritt im Hinblick auf mehr Barrierefreiheit, dass mehr literarische Bücher nicht nur in Einfache Sprache, sondern tatsächlich in Leichte Sprache übertragen werden. Wie schätzt Du das ein? Kannst Du Dir vorstellen, dass Verlage wie Hanser oder Suhrkamp oder auch kleinere unabhängige literarische Verlage das aufgreifen?

Nicol: Ich finde die Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten zur kulturellen Teilhabe enorm wichtig und bin eine Verfechterin davon, auch Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit literarischen Werken anzubieten, sei es durch die Übersetzung in Einfache oder Leichte Sprache oder durch basale Annäherungen an einen Text. Von daher würde ich es mir wünschen, dass möglichst viele Zugänge geschaffen werden – auch für Texte mit hohem künstlerischem Anspruch, wie sie bei Suhrkamp, Hanser und Co. erscheinen. Die aktuellen Entwicklungen schätze ich positiv ein: Es gibt inzwischen nicht nur immer mehr Übersetzungsbüros für Einfache und Leichte Sprache, sondern z. B. auch den Studiengang „Barrierefreie Kommunikation“. Allerdings scheitert die Umsetzung häufig am Kostenfaktor. Wenn nicht zufällig die Autorin oder der Autor selbst in diesem Bereich ausgebildet ist, muss eine Übersetzerin oder ein Übersetzer beauftragt und bezahlt werden. Dazu kommt die Finanzierung von Grafiken, die die Leichte Sprache Texte vervollständigen. Und zu guter Letzt werden die Texte von Prüferinnen und Prüfern mit Lernbeeinträchtigung korrekturgelesen. Auch das muss fair bezahlt werden. Es entstehen also einige Zusatzkosten, die insbesondere kleine Verlage momentan noch vor besondere Herausforderungen stellen.

AG: Dein Buch ist ab sofort im Buchhandel erhältlich. Wo können Dich Deine Leser*innen denn live hören? Hast Du schon Lesetermine?

Nicol: Im Moment ist erst mal Sommerpause. Aber am 28. September 2022 stelle ich um 19:30 Uhr „Maximal unsichtbar“ zusammen mit Kathrin Lemler und der Moderatorin Pauline Füg in der „Alten Feuerwache“ in Köln vor. Es ist eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Verein Rollipop e.V. Bei zu hohen Corona-Zahlen wird die Lesung digital veranstaltet. Sie findet also auf jeden Fall statt. Der Eintritt ist frei, aber der Verein freut sich über Spenden.

AG: Nicol, ich danke Dir für unser Gespräch und wünsche Dir jetzt allen Erfolg und vor allem viel Sichtbarkeit für Dein Erstlingswerk „Maximal unsichtbar“.

Nicol: Vielen Dank!

Das Buch „Maximal unsichtbar“ ist im von Loeper Literaturverlag erschienen und in jeder Buchhandlung erhältlich (244 Seiten, 19,90 Euro; Leseempfehlung: ab 13 Jahren; ISBN 978-3-86059-712-5). Den Roman gibt es auch in Einfacher Sprache. Und ab September 2022 erscheint zusätzlich ein pädagogisches Begleitheft.

Weitere Informationen zu Nicol Goudarzi: https://goudarzi.de