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Keine ökologische Mobilitätswende ohne Barrierefreiheit

Cécile Lecomte bei der Bahnprotestaktion am 5.5.22 am Brandenburger Tor
Cécile Lecomte bei der Bahnprotestaktion am 5.5.22 am Brandenburger Tor
Foto: omp

Lüneburg (kobinet) Für Cécile Lecomte ist klar, dass es keine ökologische Mobilitätswende ohne Barrierefreiheit geben darf. Dafür geht die in Deutschland lebende französische Umwelt- und Behindertenrechtsaktivistin nicht nur auf die Straße, sondern hat sich schon manchen Rechtsstreit eingehandelt. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit der auch journalistisch engagierten Aktivistin folgendes Interview, nachdem er diese bei der Protestaktion der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) gegen Diskriminierungen bei der Bahn am 5. Mai am Brandenburger Tor in Berlin getroffen hat.

kobinet-nachrichten: Sie waren am 5. Mai bei der Aktion der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) zu Diskriminierungen bei der Nutzung der Deutschen Bahn am Brandenburger Tor in Berlin dabei. Wo sind Sie bisher aktiv und wie kam es zu Ihrer Mitwirkung an der Aktion?

Cécile Lecomte: Ich bin in der Klimabewegung aktiv und dazu gehört der Kampf um eine ökologische Mobilitätswende. Dabei findet das Thema Inklusion und Barrierefreiheit in der Bewegung meiner Meinung nach nicht ausreichend Berücksichtigung. Ich bin deshalb an der Schnittstelle zwischen Behindertenrechtsbewegung und Klimabewegung aktiv, für mehr Austausch, mehr Intersektionalität.

Darum bin ich Mitglied der ISL. Denn es kann und darf keine ökologische Mobilitätswende ohne Barrierefreiheit geben. Die Wende muss sozial und inklusiv gestaltet werden, Barrierefreiheit in Mobilitätskonzepten von vorne herein mitgedacht werden. Und zwar unter Beteiligung von Menschen mit und ohne Behinderung. Von Barrierefreiheit würden auch nicht behinderte Menschen profitieren.

kobinet-nachrichten: Bezugnehmend auf ihren Kampf gegen die Klimakrise haben Sie bei der Protestaktion am 5. Mai gesagt, dass Sie als Rollstuhlnutzerin manchmal leichter auf einen Strommasten raufkommen als auf die Toilette im Zug. Welche Erfahrungen bei der Nutzung der Bahn nerven Sie am meisten?

Cécile Lecomte: Ich habe das Gefühl, dass Menschen mit Behinderung für die Bahn Fahrgäste dritter Klasse sind (zwei Klassen gibt es ja schon) und als eine Last, nicht als Fahrgäste, betrachtet werden. So klingen auch manchmal die Durchsagen der Bahn: „die Abfahrt des Zuges verzögert sich aufgrund eines Rollstuhls“. Nö, die Verzögerung ergibt sich aus mangelnder Barrierefreiheit, Stufen sind im Weg! Aber in den Augen der Bahn, ist alles in Ordnung wie es ist, sie setzt weiter auf Stufen-Züge. Denn es gibt ja einen MobilitätsSERVICE, Betroffene sollen sich dafür bedanken und der Öffentlichkeit wird vorgegaukelt, damit sei Barrierefreiheit gewährleistet. Dem ist nicht so, denn ich darf oft nicht mitfahren, weil der „Service“ nicht rund um die Uhr gewährt wird, nicht überall. Weil oft Personal fehlt. Weil die Infrastruktur defekt ist. Das einzige Universal-WC ist oft außer Betrieb, die Tür zum einzigen Rollstuhlwagen manchmal defekt, der Rollstuhlwagen fehlt oder der Platz ist bereits gebucht. Hinzu kommt, dass ich mich anmelden muss, die Bahn spontane Hilfeleistung ablehnt.

Ich will aber so lange fahren wie Züge fahren. Ich will dorthin fahren, wo Busse und Bahnen hin fahren. Ich will spontan fahren können. Es geht nicht um einen Service, wofür ich mich zu bedanken habe. Es geht um mein Grundrecht, um Diskriminierungsverbot.

kobinet-nachrichten: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten eines ähnlichen Aktionismus für eine barrierefreie Bahn wie beim Kampf gegen den Klimawandel ein?

Cécile Lecomte: ich denke, dass mehr passieren muss, mehr als Petitionen, Klagen und einfachen Demonstrationen. Ich denke, dass direkte Aktionen eine gute Ergänzung sein könnten. Und zwar instersektional gedacht. Aktionen von Menschen aus Klima- und Behindertenbewegung zusammen. Aktionen von Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Erfahrungsaustausch auch zu Aktionsformen.

Ich selbst habe schon festgestellt, dass eine Zugblockade effektiver ist, als eine Beschwerde. ich beschwere mich oft bei der Bahn, ich bekomme immer ein allgemeines „das ist keine Diskriminierung“ und „ja, wir geloben Besserung“. Mehr passiert aber nicht. Als man mich wegen einem kaputten Universal-WC bei einer 1-stündigen Fahrt mal nicht einsteigen lassen wollte, habe ich mich vom Rollstuhl auf die Treppe in die Tür umgesetzt und so die Abfahrt des ICE 15 Minuten blockiert, bis ich mitfahren durfte!

Das war eine spontane Eine-Frau Protestaktion. Die zeigt aber, dass Aktionen auch in diesem Bereich das Potenzial haben, Dinge zu bewegen. Gut geplante Aktionen mit klaren Forderungen, Öffentlichkeitsarbeit etc. fände ich gut. Und zwar Aktionen, die man nicht ignorieren kann.

kobinet-nachrichten: Welche zwei Wünsche hätten Sie in Bezug auf eine barrierefreie Bahn?

Cécile Lecomte: Ich will wie jede andere Person Bahn fahren können und wünsche mir, dass dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird und alle Menschen, mit und ohne Behinderung, sich dafür einsetzen. Inklusion und Teilhabe gehen uns alle an. Dabei ist es wichtig, auf die Betroffenen als Expert*innen in eigener Sache zu hören, nicht über sie, sondern mit ihnen zu entscheiden. Ich wünsche mir eine gute Vernetzung der ISL mit der Klimabewegung.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Link zu weiteren Infos über Cécile Lecomte auf Wikipedia

Link zur Internetseite und zum Blog von Cécile Lecomte