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Trauer um Hannelore Witkofski

Hannelore Witkowski
Hannelore Wikowski
Foto: privat

Hamburg (kobinet) Hannelore Witkofski ist tot. Gestorben ist sie am 23. April 2022 spätabends auf der Palliativstation des Westküstenklinikums, schmerzfrei – im Kreis von Freund*innen, die bis zuletzt bei ihr sein konnten. Über diese traurige Nachricht berichtet Prof. Dr. Oliver Tolmein in einem Nachruf, den er für die kobinet-nachrichten verfasst hat.

Nachruf von Prof. Dr. Oliver Tolmein

Hannelore Witkofski ist tot. Gestorben ist sie am 23. April 2022 spätabends auf der Palliativstation des Westküstenklinikums, schmerzfrei – im Kreis von Freund*innen, die bis zuletzt bei ihr sein konnten. Dass Hanne so vermutlich einen guten Tod gestorben ist, ist ein Trost. Aber versöhnt mit den Verhältnissen in dieser Welt war sie bis zuletzt nicht. Ihre letzte E-Mail, die ich im neuen Jahr bekommen habe, war ein Glückwunsch zur Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verknüpft mit ihrer (zu Recht) skeptischen Anmerkung: „Man kann gespannt sein, was der Bundestag daraus macht.“

Hanne wurde 1950 geboren, fünf Jahre nach dem Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in ein Deutschland hinein, das kein neues Deutschland war, sondern ein von Kontinuitäten geprägtes: in der Medizin, der Politik und in der Gesellschaft insgesamt. Für Menschen mit Behinderungen war dieses Deutschland kein guter Ort, sondern einer, in dem Selbstbestimmung verlanget zu Widerstehen. Hanne widerstand – und gehörte zu den Menschen mit Behinderungen, die seit den 1970er Jahren, die Behinderten- und Krüppelbewegung mitgestaltete und geprägt haben. Sie war 1980 in der Vorbereitungsgruppe gegen das „UNO-Jahr der Behinderer“ (wie wir es damals nannten: dass es einmal eine UN-Behindertenrechtskonvention geben könnte, war noch nicht einmal ansatzweise zu erahnen) aktiv. Dort habe ich sie kennen- und über die Zeit mit ihr streiten und sie schätzen gelernt.

In dem Streit, der damals entlang der Frage des ob und wie der Zusammenarbeit mit Nichtbehinderten heftig geführt wurde, positionierte sie sich dafür das „Krüppeltribunal zur Anklage von Menschenrechtsverletzungen im Sozialstaat“ auch mit Unterstützung von Nichtbehinderten durchzuführen: ihre Anschrift im traditionell hochpolitisierten Hamburger Karolinenviertel war die Kontaktadresse für dieses Projekt, in dem es um die besondere Unterdrückung von Frauen mit Behinderungen, um die miserable Situation in den Werkstätten, in den Heimen, in den psychiatrischen Kliniken, um die verhinderte Mobilität und um Behördenwillkür ging: alles Themen, die auch heute noch so unerfreulich aktuell sind.

Noch kein Thema war auf dem „Krüppeltribunal“ das, womit sich Hanne dann ab Mitte der 1980er Jahre und bis zu ihrem Tod so viel beschäftigt hat: Bioethik, mit all ihren Ausprägungen von der humangenetischen Beratung, Pränataldiagnostik über Selektion, bis hin zur neuen Euthanasiedebatte – eine düstere Seite der lichter wirkenden Entwicklung, die das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen mit sich brachte und die UN-Behindertenrechtskonvention mit ihrem menschenrechtlichen Verständnis von Behinderung.

Hanne war in diesen Auseinandersetzungen präsent, kompromisslos und entschlossen. 1989 hat sie in einem Streitgespräch in konkret unter anderem mit Franz Christoph, der Feministin Susanne von Paczensky und der GAL-Frauenpolitikerin Adrienne Goehler über das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ in Zeiten von Pränataldiagnostik und selektiver Abtreibung gestritten. Wie stets hat sie ihren krüppelpolitischen Standpunkt mit einer weiteren Perspektive und Gesellschaftskritik verbunden: „Frauen, die Kinder zum Aussuchen wollen, die müssen sich nicht wundern, wenn der Staat Untertanen zum Aussuchen haben will.“

Seitdem hat sich die Diskussion nicht wesentlich weiter entwickelt, aber ihre Anknüpfungspunkte haben sich verändert. Die eugenische Indikation wurde abgeschafft, die Selektionsformen haben sich verfeinert. Die Kontroverse entzündet sich mittlerweile an neuen Formen der nichtinvasiven Pränataltests, die in großem Umfang eingesetzt und von den Krankenkassen bezahlt werden sollen, um frühzeitig bei Feten im Mutterleib Trisomien (und bald wohl auch weitere Normabweichungen) zu identifizieren und damit einen frühen Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen.

2019 hat Hannelore Witkofski für das Gen-ethische-Netzwerk ein Gespräch mit der feministischen Journalistin Kirsten Achtelik über diese Entwicklung und den vergleichsweise geringen Widerstand dagegen geführt und dabei auch die eigene Bewegung kritisiert: „Ich hätte mir gewünscht, dass der Protest lauter gewesen wäre. Dass auch von Menschen mit Behinderung selbst mehr Kritik kommt, gerne auch etwas Aufsehenerregenderes, Drastischeres, was auch der Situation angemessen ist. Ich habe Angst, dass die Dinge heute nicht mehr beim Namen genannt werden, dass alle sich nur noch so weichgespült ausdrücken. Wir müssen wieder mehr bewusst machen wie Eugenik mit Euthanasie zusammenhängt, was der Bluttest mit Behindertenfeindlichkeit zu tun hat.“

Hanne hat sich mit den historischen Bezügen ihrer aktuellen politischen Position intensiv beschäftigt. Sie war aktives Mitglied im Auschwitz-Komitee und mit Perla Ovitz befreundet, einer kleinwüchsigen jüdischen Artistin, die selbst und deren Familienangehörige Opfer medizinischer Experimente des KZ-Arztes Josef Mengele geworden sind. Der israelische Regisseur Schahar Rosen hat einen Film über die Freundschaft der beiden Frauen gedreht und über die Suche nach einem verschollenen Film, den Mengele über seine Opfer im KZ gedreht hat (ein fast siebenminütiger Trailer von „Liebe Perla“ ist auf youtube eingestellt: https://bit.ly/HannePerla). Dass der 1999 veröffentlichte Dokumentarfilm heute weder besonders bekannt noch öffentlich zugänglich ist, ist auch ein Ausdruck der Verhältnisse und des allmählichen Vergessens ihrer fortdauernden Geschichte, gegen die Hanne immer wieder angegangen ist, mit der sie sich nicht abfinden konnte und wollte und die sie versucht hat zu verändern.

Jetzt ist Hanne tot. Und sie – mit ihrer Stimme, die schwer zu überhören war und mit der sie radikal gegen Selektion und Normierung angegangen ist, weil diese nicht „human“ gestaltet werden können – fehlt. Hanne hat 1997 in einem Text mit dem Titel „In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der Tod“, der in der „randschau“ erschienen ist, konstatiert, dass sich auch die „Krüppel“-Bewegung (so schrieb sie sie) verändert und dabei angepasst habe. Sie bezog sich dagegen auf Franz Christoph und beklagte, dass in den Nachrufen nach seinem Tod kaum einer um ihn getrauert habe: „Er wurde gelobt und getadelt sowie manche Anekdote kolportiert, Konkurrenzen beschrieben und weiter betrieben. Abgrenzung statt Trauer. Vermisst wurde er öffentlich kaum.“ Ich vermisse Hanne und trauere um sie.

Von Jürgen Hobrecht kamen folgende Zeilen zum Tod von Hannelore Witkofski

„Hanne, unser Anfang war stark und laut. Im Januar 1981 haben wir uns auf der Bühne der Eröffnung des UN-Behindertenjahres angekettet. Der Bundespräsident war ausgesperrt. Wir konnten unsere Wut laut äußern. Jene Wut war es, die uns anfangs verband, die illusionslose Sicht auf eine Welt, in der man sein Recht als Mensch mit Behinderung erkämpfen muss. Lebenslang. Das machtest du energischer, unermüdlicher, lauter und radikaler als ich. Dafür habe ich dich bewundert. Doch so laut und oft hart du öffentlich warst, so sehr haben deine leisen Töne mich bewegt. Du warst eine Kümmerin, für deine Liebsten und Nächsten. Die liebevolle, tröstende, kluge Ratgeberin.- Und eine Genießerin warst du, ob auf Kreta und in den Restaurants rund um die Schanze. Die Mail, die von deinem Tod kündete, traf mich wie ein Keulenschlag. Wir hatten keinen gemeinsamen Alltag in den letzten zwanzig Jahren. Aber du warst mir immer nahe, ein Fixstern in meinem Leben. Das bleibst du. Adieu Hanne“

Der Chronist der kobinet-nachrichten Dr. Martin Theben weist zudem auf folgende Bericht mit und über Hannelore Witkofski unter folgendem Links hin:

http://www.schattenblick.de/infopool/pannwitz/report/ppri0024.html

https://www.spiegel.de/politik/komm-zu-mengele-a-1f10bcf0-0002-0001-0000-000014937250