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Berlin (kobinet) Kay Macquarrie bereitet eine Aktion vor, die sich gegen Barrieren bei der Bahn richtet und zugleich die Solidarität mit behinderten Menschen der Ukraine unterstützt. Bei einem Besuch am Wedding beantwortet er heute Fragen des Berliner kobinet-Korrspondenten.
kobinet: Am 5. April startet die 100.000 Euro Challenge. Wie laufen die Vorbereitungen?
Kay Macqarrie: Wir bringen uns in Position! Im wöchentlichen EspressoTalk – einem 15-minütigen Kurztreffen – tauschen wir uns aus. Meist hören wir einen Impuls über Dinge, die mensch mit Behinderung in der Bahn so erleben kann. Und dann tauschen wir uns zum Beispiel über “garantierte” Barrieren aus. Das sind dann Zeiten, Strecken oder Züge, bei denen einem mit hoher Wahrscheinlichkeit Barrieren begegnen. Zuletzt waren die Impulsgeberinnen die Journalistin Sandra Olbrich und die Klimaaktivistin Cécile Lecomte.
Hier geht es zur Website unserer wöchentlichen Onlinetreffen: https://barrierefreiebahn.de/treffen-jeden-mittwoch/ und hier geht es zum Video unseres letzten Austausches: https://www.loom.com/share/45a9240e0d1d41c098510171038b0b97?t=0
kobinet: Die Eisenbahner werden gelobt für ihren Einsatz, Kriegsflüchtlinge in Sicherheit und Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen. Ist es richtig, jetzt die Bahn „abzuzocken“?
Kay Macqarrie: Absolut richtig, die Eisenbahn und viele Akteurinnen aus diesem Dunstkreis machen unglaublich viel, um ukrainischen Menschen und Kriegsflüchtlingen mit und ohne Behinderung zu helfen. Insbesondere die Cargo Bahnvorständin Sigrid Nikutta setzt sich dafür sehr sichtbar ein.
Das finden wir toll und unterstützen das ausdrücklich. Der Krieg ist grausam. Unabhängig davon ist die Frage des vermeintlich guten Zeitpunktes natürlich nicht einfach. Die wohl ehrliche Standardantwort ist, dass es für echte Maßnahmen zur Barrierefreiheit irgendwie immer der falsche Zeitpunkt zu sein scheint.
Die Wahrheit ist auch: Wir erleichtern es Menschen, die tagtäglich Barrieren erfahren, diese auch zu melden und Schadensersatz einzufordern – und das nicht nur bei verhältnismäßig lapidaren Verspätungen, sondern auch bei oft krassen Barrieren. Da geht es nicht um eine Scheibe Schwarzbrot mit Käse, sondern um die Frage: Komme ich hier mit oder muss ich draußen bleiben?
Wir wollen in erster Linie kein Geld von der Bahn. Wir wollen barrierefrei und inklusiv reisen, so wie alle anderen auch und wir machen diesen Wunsch durch die 100.000 Euro Bahnchallenge sichtbar. Von den 100.000 Euro werden mindestens 10.000 Euro an eine Organisation gespendet, die ukrainischen Flüchtlingen mit Behinderung hilft.
Und jede*r kann selbst entscheiden, welche Höhe des Entschädigungsbetrags gespendet wird. Bei der Eingabe der Barriere auf RefundRebel wird es ein Eingabefeld geben, um einen Teil oder den ganzen Betrag zu spenden. Am Ende könnten so 100.000 Euro für die Ukraine zusammenkommen.
kobinet: Wie stehts im Dialog mit den Verantwortlichen des Unternehmens im „Programmbegleitenden Beirat der Deutschen Bahn“?
Kay Macqarrie: Die Bahn hat sich bei uns nicht gemeldet. Wir informieren sie immer wieder und stellen auch Fragen auf Twitter. Doch die Verbindung ist derzeit sehr einseitig. Wir hoffen auf Austausch und Dialog, um gemeinsam echte und nachhaltige Barrierefreiheit auf die Schiene zu bringen. Da ist noch Luft nach oben.
Dass die DB solche Fragen übrigens nicht auf Twitter, Facebook oder Telegram erörtern will, finde ich übrigens auch vollkommen in Ordnung, weit es hier um technische und organisatorische Details geht, die Social-Media-Agenten (m/w/d – in der Regel bei externen Agenturen angestellt) auch weder fachlich beurteilen noch verbindlich entscheiden können. Das sind reine Marketing-Plattformen, auch wenn Herr Zuckerberg et al. gerne anderes suggerieren.
Es empfiehlt sich, bei ernsthaftem Dialogwunsch eher traditionelle Kommunikationswege (E-Mail, Anruf, Brief, persönliche Vorsprache…) zu nutzen.
Hallo Herr Rebes,
nein, das ist keine „grenzenlos naive oder plumpe Werbung für refundrebel“.
„Grenzenlos naiv“ nicht, weil wir bereits mehrfach gerichtlich durchgesetzt haben, dass Menschen mit Behinderung bei Barrieren auf Bahnreisen Entschädigungen von mehreren hundert Euro zustehen. Wir berufen uns dabei nicht auf die von Ihnen ausführlich erläuterte Fahrgastrechte-Verordnung, sondern das Allgemeine Gleichstellungsgesetz. Barrieren auf Bahnreisen sind keine Versehen, die durch Kulanzzahlungen erledigt werden können, sondern Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung wegen denen eine angemessene Entschädigung in Geld verlangt werden kann. Oder würden Sie sich mit 33€ zufrieden geben, wenn die angemeldete Mobilitätshilfe mal wieder nicht verfügbar war und Sie entweder einfach stehen gelassen werden oder als Bittsteller von Fremden in den Zug getragen werden müssen? Wir nicht.
Daher ist dies auch keine „plumpe Werbung“, sondern ein Weg um endlich Aufmerksamkeit auf die alltäglichen Diskriminierungen von Reisenden mit Mobilitäteinschränkungen zu bringen.
Seit Jahrzehnten leiden Menschen mit Mobilitätseinschränkungen unter unzuverlässigen Mobilitätshilfen, fehlenden barrierefreien Services oder kaputten Aufzügen. Und seit Jahrzehnten spricht die Bahn von Barrierefreiheit und verteilt fleißig kleine Gutscheine, wenn sich ein Fahrgast wie von Ihnen vorgeschlagen auf eigene Faust beschwert.
Daher gibt es uns. Wir sind die zentrale Stelle, die Betroffene zu Entschädigungen verhelfen, von denen Sie bisher nichts wussten. Die Chance, den Frust der Barriere in ein paar Minuten uns mitzuteilen und uns als Inkassounternehmen zu beauftragen, die höchstmögliche Entschädigung einzuholen. Und wenn Sie wollen, haben sie auch noch die Möglichkeit mit ihrer unverhofften Entschädigung etwas Gutes zu tun und an Menschen mit Behinderung in der Ukraine spenden.
Klingt zu gut um wahr zu sein?
Dann laden wir Sie herzlich ein es doch einfach mal zu versuchen und mit einem Antrag ihrer nächsten Barriere Teil der Challenge zu werden. Wir werden uns mit Freuden für Ihre Rechte einsetzen und sie davon überzeugen, dass Ihre Diskriminierungsfreiheit mehr Wert ist als 33€.
Beste Grüße
Ihr refundrebel
Das kommt darauf an. Wenn ein Spendenaufruf stattfindet, könnte es Werbung sein.
Das Thema selbst ist wichtig und jeder der dafür etwas tut und sich für solche Themen einsetzt, sollte unterstützt werden, solange das nicht als Profitmodell missbraucht wird (kein Eigennutz durch Einnahmen impliziert).
Nicht teilen tue ich die Einstellung, dass die Kommunikation mit der Bahn nur einseitig stattfindet. Man sich fragen, warum die Bahn nicht reagiert ….. Verärgert? Was ist passiert? Oder gibt es im Hintergrund juristische Auseinandersetzungen? Solche Auseinandersetzen würden die Bahn dazu zwingen, nicht zu reagieren.
Ich würde mich da über objektivere Auseinandersetzungen freuen.
Hmm, und was genau macht „Refundrebel“ jetzt bitte anders oder besser als etwa die Verbraucherzentrale oder eine Anwaltskanzlei für Eisenbahnrecht…?
Zudem hätte ich die angeblich von „Refundrebel“ auf Basis des AGG gegen die DB erstrittenen Urteile gerne einmal gelesen, finde aber keine entsprechenden Fundstellen…
Ja, es dauert auch mir oft zu lange, bis ein Bahnhof barrierefrei umgebaut oder entsprechendes Wagenmaterial eingesetzt werden kann. Das liegt aber sehr oft gar nicht an der DB oder anderen Verkehrsunternehmen, sondern an Planfeststellungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Bürgerbeteiligungen sowie sich öfter ändernden technischen Zulassungskriterien usw. usf.. Dieser ganze Rattenschwanz im Hintergrund scheint Ihnen irgendwie nicht bewusst zu sein – gleichwohl ist er leider Realität. Und dann muss noch irgendwer irgendwo die ganzen Fahrzeuge, Bahnsteige, Aufzüge etc. physisch herstellen…
Sorry, ist das nur grenzenlos naiv oder plumpe Werbung für RefundRebell???
1. Einen wirklichen Entschädigungs-Anspruch hat man bundesweit nur bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten im Fernverkehr. Wenn man am selben Tag mit einem anderen Zug ans Ziel kommt, bekommt man 25% oder 50% des gezahlten Preises zurück, wenn man nicht fährt, den kompletten Ticketpreis. Ein Bahnticket kostet maximal rund 145 Euro in der 2. und 208 Euro in der 1. Klasse. Wenn man nur mit dem Taxi nach Hause kommt oder übernachten muss, bekommt man die Kosten dafür erstattet. In all diesen Fällen bekommt man höchstens das zurück, was man vorher ausgegeben hat. Lediglich wenn man mit dem Zug fährt, obwohl das WC kaputt ist oder man im Türbereich stehen muss, weil der Wagen mit dem Rollstuhlplatz fehlt, kann man unter bestimmten Umständen ein paar Euro auf Kulanz-Basis bekommen. Wie man da auf eine durchschnittliche Entschädigung von 333 Euro pro Fall kommt, wie im Aufruf beschrieben, ist mir schleierhaft. Ich halte 33 Euro für realistischer.
2. Meiner Erfahrung nach muss man im Schnitt 10 Mal fahren, um einmal eine Fahrt zu haben, nach der man eine Entschädigung bekommt.
3. RefundRebell behält rund 20% von jeder Entschädigung. Wenn wirklich 100.000 € zusammen kommen sollten, bekommt RefunndRebell also das Doppelte des Betrags, den sie mindestens spenden möchten.
Ich empfehle:
1. Wer eine Bahnreise machen will, sollte sich VOR der Buchung bei der jeweiligen Bahngesellschaft oder der DB Mobilitätsservice-Zentrale anmelden.
2. Wenn etwas während der Fahrt nicht läuft, kann man seinen Entschädigungs-Anspruch kostenlos hier geltend machen: https://fahrgastrechte.info/servicecenter-fahrgastrechte/
3. Wer für Menschen in oder aus der Ukraine spenden will, findet im WWW hunderte Möglichkeiten.
4. Beschwerden über Barrieren sollten direkt an das jeweilige Unternehmen geschickt werden.
Das ist wesentlich wirksamer und vermeidet viel Frust, weil keine falschen Erwartungen geweckt werden.