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Berlin (kobinet) "Was tut @BMG_Bund, wenn BVerfG Regelungen verlangt, die 'jede Benachteiligung wegen einer Behinderung' bei Triage verhindern? Es schlägt vor, Gebrechlichkeit u. Komorbiditäten in den Stand eines zulässigen Kriteriums zu erheben, sofern sie die Erfolgswahrscheinlichkeit verringern." So bringt Nancy Poser, eine der erfolgreichen Beschwerdeführer*innen bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Diskriminierungen behinderter Menschen in Triage-Situationen die wachsende Kritik an einem Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums zu Regelungen zur Triage per Twitter auf den Punkt. Aber auch in der Regierungskoalition knistert es angesichts dieses Vorschlags kräftig, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet.
„In der Ampelkoalition bahnt sich eine Kontroverse über den Schutz von Menschen mit Behinderungen in einer Triage-Situation, also bei knappen Behandlungskapazitäten, an. Die für die Behindertenpolitik bei den Grünen zuständige Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer kritisierte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erarbeitete Gesetzesänderung, zu der die Koalition durch das Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden war. ‚Die Formulierungshilfe, die das Bundesgesundheitsministerium nun vorgelegt hat, wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts absolut nicht gerecht‘, sagte Rüffer“, heißt es in einem vom RND veröffentlichten Bericht.
Link zum Tweet von Nancy Poser
In der den kobinet-nachrichten vorliegenden Formulierungshilfe für die Fraktionen der SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP zu einem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird vom Bundesgesundheitsminsterium u.a. in der Änderung des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen in § 5 c vorgeschlagen:
„Verfahren im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten
(1) Bei der ärztlichen Entscheidung über die Zuteilung von pandemiebedingt nicht ausreichenden überlebenswichtigen, intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten im Krankenhaus darf niemand aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 darf nur unter Berücksichtigung des Patientenwillens sowie der Dringlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung und der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten vorgenommen werden. Insbesondere Komorbiditäten oder die Gebrechlichkeit dürfen nur berücksichtigt werden, soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern.
(2) Die Entscheidung nach Absatz 1 ist von zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen oder Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen, die den Patienten oder die Patientin unabhängig voneinander begutachtet haben. Besteht kein Einvernehmen, ist eine weitere, gleichwertig qualifizierte ärztliche Person hinzuzuziehen und sodann mehrheitlich zu entscheiden. Von den nach Satz 1 und 2 beteiligten Fachärztinnen und Fachärzte darf nur eine Fachärztin oder ein Facharzt in die unmittelbare Behandlung der von der Entscheidung nach Absatz 1 betroffenen Patientinnen oder Patienten eingebunden sein. Weitere sachverständige Personen sollen mitberatend hinzugezogen werden, soweit patientenspezifische Besonderheiten dies erfordern und die Dringlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung der von der Entscheidung betroffenen Patientinnen oder Patienten dem nicht entgegensteht.
(3) Die für die Entscheidung nach Absatz 1 maßgeblichen Umstände sind von dem im Zeitpunkt der Entscheidung Behandelnden zu dokumentieren. Die § 630f Absatz 3 und § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten entsprechend.
(4) Die Krankenhäuser mit intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten sind verpflichtet, die Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufe nach den Absätzen 1 bis 3 in einer Verfahrensanweisung festzulegen und deren Einhaltung sicherzustellen. Die Krankenhäuser überprüfen ihre Verfahrensabläufe regelmäßig auf Weiterentwicklungsbedarf.“