München (kobinet) Am 10. Dezember haben der Bundestag und der Bundesrat eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Im Gesetz zur Stärkung der Impfprävention sind im § 20a auch Personen gemeint, die in ambulanten Pflegediensten und der persönlichen Assistenz arbeiten. Viele Menschen mit Behinderung, die ihre Hilfen im sogenannten Arbeitgebermodell organisieren, werden von dieser einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffen sein und befürchten, dass ihr Lebensmodell ab dem 15. März 2022 in Gefahr gerät. Kobinet berichtete bereits mehrere Male über dieses Thema.
Wegen der vielen besorgten Anfragen und E-Mails von Betroffenen, hat sich Britta Schade vom ZsL Stuttgart entschlossen ein Online-Gespräch zur Impfpflicht von Assistenzkräften zu veranstalten. Gestern nun fand die Zoom-Tagung statt und fast 80 Teilnehmer*innen nahmen an dieser Konferenz teil.
Geleitet wurde die Veranstaltung von Dr. Gerhard Rothhaupt, der in einer ersten Runde das Podium mit Andreas Vega (kobinet Redakteur), Corinna Rüffer (MdB von Bündnis 90/Grüne) und Horst Frehe (Vorstand ISL, Vorstand Bremer Assistenzgenossenschaft, Richter a.D.) zu ihren Einschätzungen befragte. Folgend kurz zusammengefasst die einzelnen Meinungsbilder:
Andreas Vega erläutert das Fazit seiner Recherche. Die beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht betrifft nach § 20a auch Personen, die von behinderten Arbeitgeber*innen als Assistenzkräfte beschäftigt werden. Hier besteht die Gefahr, dass ungeimpfte Assistent*innen ab dem 15. März 2022 nicht mehr beschäftigt werden dürfen. Selbstbestimmte Wohnformen sind unter dieser Voraussetzung gefährdet, wenn die Versorgungssicherheit auf ungeimpftes Personal fußt.
Corinna Rüffer berichtet aus Berlin, dass nur sehr wenige Bundestagsabgeordnete die Gruppe der behinderten Arbeitgeber*innen im Blick haben bzw. nehmen Sie diese Notlagen mangels Kenntnis nicht wahr. Der Arbeitsaufwand ist in der Politik zurzeit enorm groß. Außerdem ist das Thema Impfpflicht im Bundestag ein schwieriges und emotionales Thema. Eine für Behinderte Arbeitgeber*innen vorteilhafte Veränderung durch die Politik sieht sie nicht kommen.
Horst Frehe erläutert die rechtlichen Zusammenhänge. Er sieht ein großes Risiko für behinderte Arbeitgeber*innen, die der sogenannten Meldepflicht über den Impfstatus des Personals an die jeweiligen Gesundheitsämter nicht nachkommen. Dadurch könnten immense Bußgelder auferlegt werden. Er empfiehlt den Betroffenen sich umgehend an die Gesundheitsämter zu wenden und die Nachweise über den Impfstatus vorzulegen. Eine Verhandlung im Vorfeld ist nach seiner Meinung erfolgsversprechender. Von der Möglichkeit die Bestimmungen einfach „auszusitzen“ rät er dringend ab.
Die folgende Gelegenheit der Teilnehmer*innen Fragen zu stellen und Anmerkungen zu formulieren wurde rege genutzt. Zunächst war das Interesse an juristischen Fragen sehr groß. Daher gab es reichlich Fragen an Horst Frehe. Im Rahmen der Beantwortung sieht er die größte Chance darin, mit den Gesundheitsämtern eine Einigung über entsprechende Ausnahmeregelungen zu erwirken, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitgebermodells gefährdet ist. Zur politischen Einschätzung beantwortete Corinna Rüffer gestellte Fragen. Sie sieht eine Chance darin, dass betroffene Personen und vor allem Verbände die Problematik Impfpflicht bei persönliche Assistenz an die Politik formulieren. Wichtige Adressaten seien ebenfalls das Bundesgesundheitsministerium und die Landesgesundheitsministerien. Auch die Weitergabe von Informationen direkt an Bundestagsabgeordnete sei nicht unwichtig. Eine Veränderung der Gesetzeslage schließt sie unter den derzeitigen Bedingungen aus.
Im weiteren Verlauf gab es eine rege Beteiligung an einem Austausch über die für viele Assistenznehmer*innen bedrohliche Situation. Einige lobten die Maßnahmen als notwendig und hoben hervor, dass zum ersten Mal auch an Menschen mit Behinderung, die ihre Assistenz selber organisieren gedacht wurde. Andere hoben hervor, dass Selbstbestimmung auch für Menschen gelte, die sich nicht impfen lassen wollen. Auch die Notwendigkeit einer freien Wahl der behinderten Arbeitgeber*innen bei der Einstellung von Personal wurde betont. Von der neuen Regelung betroffene Assistent*innen meldeten sich zu Wort und forderten Akzeptanz und Respekt für ihre Entscheidung sich nicht impfen zu lassen.
Fazit: Behinderte Arbeitgeberinnen, die sich durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht in ihrer Existenz bedroht sehen bzw. nicht bereit sind Personal zu entlassen, sollten auf jeden Fall zeitnah mit den Gesundheitsämtern in Kontakt treten. Dort müssen Nachweispflichten über den Impfstatus von Assistent*innen vorgelegt und auf die drohende Versorgungsunsicherheit hingewiesen werden. Weiterhin sollten Betroffene Schilderungen an Bundestagsabgeordnete, Landesgesundheitsämter und das Bundesgesundheitsministerium versenden. Entsprechende Adressen können bei Britta Schade [email protected] eingeholt werde