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Hausgebärdensprachkurs im Rahmen der Eingliederungshilfe möglich

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Foto: omp

Greifswald (kobinet) Das hessische Landessozialgericht (LSG) hat in einem Beschluss von Dezember 2021 festgestellt, dass ein Hausgebärdensprachkurs zur Förderung der Verständigung für ein vierjähriges Kind mit einer Sprachentwicklungsstörung zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören kann. Über diese Entscheidung berichtet Henry Spradau aus Greifswald.

Hessisches Landessozialgericht (LSG) zu Hausgebärdensprachkurs im Rahmen der Eingliederungshilfe

Bericht von Henry Spradau

Das LSG hat in einem Beschluss von Dezember 2021 festgestellt, dass ein Hausgebärdensprachkurs zur Förderung der Verständigung für ein vierjähriges Kind mit einer Sprachentwicklungsstörung zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören kann.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Eltern beantragten beim Träger der Eingliederungshilfe (Stadt Kassel) für ihre vierjährige Tochter einen Hausgebärdensprachkurs von 6 Stunden wöchentlich, da sie aufgrund einer Sprachentwicklungsstörung – ohne sprachrelevante Hörstörung – nicht intuitiv die Zunge frei bewegen kann. Dadurch kann sie nur wenige Wörter verständlich aussprechen. Das Sprechvermögen befindet sich auf dem Stand eines 2,5-jährigen Kindes, das Wortverständnis auf dem eines fünfjährigen Kindes. Dadurch fühle sie sich nicht verstanden und reagiere häufig sehr aggressiv auch gegenüber vertrauten Personen. Sie besucht seit 1.8.2020 eine Kindertagesstätte; die Kosten für eine Integrationskraft werden übernommen. Sie werde im kommenden Jahr in eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache und Gehör eingeschult, in der teilweise in Gebärden unterrichtet werde.

Das Jugendamt hat für die Eltern einen Gebärdensprachkurs unter der Voraussetzung bewilligt, dass dem Kind ein entsprechender Kurs gewährt wird.

Der Antrag wurde abgelehnt, da ein Förderkonzept aus einer intensiven logopädischen Behandlung mit Unterstützter Kommunikation, einer Kindergartenintegrationsmaßnahme sowie einer interdisziplinären Frühförderung mehr Erfolg verspreche. Das Erlernen der Gebärdensprache sei hingegen kontraproduktiv und überfordere das Kind. Im Kindergarten könne die Gebärdensprache nicht genutzt werden, da dort in Lautsprache mit Unterstützter Kommunikation geübt werde.

Widerspruch und Klage waren ohne Erfolg. Das LSG verpflichtete nun die Stadt im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, einen Hausgebärdensprachkurs bei einem Dozenten für Deutsche Gebärdensprache im Umfang von vier Förderstunden pro Woche zu bewilligen. Maßnahmen der Eingliederungshilfe sollten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern. Kontakte sollten auch zu nicht behinderten Menschen gefördert werden. Ob ein Anspruch bestehe, richte sich deshalb nach den Besonderheiten des Einzelfalls.

Das vierjährige Kind sei aufgrund einer Sprachentwicklungsstörung wesentlich in seiner Teilhabefähigkeit eingeschränkt. Um die psychische Belastung für das Kind abzumildern, sei es wichtig, als weiteres Kommunikationsmittel die Gebärdensprache zu erlernen. Nach den Angaben der behandelnden Logopädin lernten viele Kinder durch das Kommunizieren mit Gebärden schneller sprechen. Auch die Unterstützte Kommunikation arbeite nicht nur mit körperfernen, sondern vielmehr auch mit körpereigenen Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Körperhaltung und Gebärden).

Für das LSG sei nicht nachvollziehbar, weshalb das (ergänzende) Erlernen der Gebärdensprache – im Gegensatz zu Unterstützter Kommunikation – die Sprachentwicklung hemmen solle. Unbeachtlich sei, dass im Kindergarten derzeit die Gebärdensprache nicht genutzt werde. Im Rahmen der Eingliederungshilfe könnten auch Assistenzleistungen beansprucht werden, die auch einen Gebärdendolmetscher bzw. eine Sprachassistenz umfassen könnten. Im bereits anhängigen Klageverfahren, in welchem endgültig über den Anspruch entschieden werde, könne eine weitere Sachaufklärung durch ein Sachverständigengutachten erfolgen.

Nach § 104 SGB IX bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles. Wünschen, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor

Der Beschluss ist nach § 177 Sozialgerichtsgesetz unanfechtbar.

Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 9.12.2021 – L 4 SO 218/21 B ER

Vorinstanz: Sozialgericht Kassel, Beschluss vom 15.10.2021 – S 11 SO 13/21 ER

Zu Kosten von Hausgebärdensprachkursen wird auf den Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 10.11.2020 – L 8 SO 84/20 verwiesen; zu den Kosten von Assistenzleistungen -§ 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX- und von Leistungen zur Förderung der Verständigung -§ 113 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX- auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.3.2020 -L 15 SO 33/18.