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Maik Behrendt setzt auf Vielfalt und Dialog im Umgang mit psychischen Beeinträchtigungen

Dr. Maik Behrendt
Dr. Maik Behrendt
Foto: privat

Berlin/Schaumburg (kobinet) Dr. Maik Behrendt ist seit 2019 Referent Projektes "Vom Case zum Coach“ (CASCO) der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), das 2020 endete.. Als Peer-Berater ist er hauptberuflich in der EUTB Schaumburg tätig und engagiert sich für zahlreiche Selbsthilfe-Projekte mit dem Schwerpunkt Depressionen. Sensibilisierungsarbeit steht dabei ebenso im Fokus als auch die bewusste Anwendung von Diversity-Mainstreaming in Co-Moderationen mit Kolleg*innen – sie verstärken den empowernden Effekt von Maik Behrendts Einsätzen. Maria Trümper, Referentin der ISL führte mit ihm ein Interview über sein Wirken.

Im Rahmen des vierjährigen Projektes wurden 32 Menschen mit Behinderungen zu fachlich qualifizierten Referent*innen für eine menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik ausgebildet. Unter http://www.referenten-mit-behinderung.de/ kann man sie für Veranstaltungen, Seminare und Workshops buchen.

Maria Trümper: Wie geht es dir? Wie hat sich dein Alltag seit Corona verändert und eingependelt?

Maik Behrendt: Durch die Corona Pandemie sind mir liebe Menschen verstorben, andere sind ernsthaft erkrankt und sind noch immer mit der Rückkehr ins Leben beschäftigt. Das macht mich betroffen und hat natürlich etwas im Umgang mit mir selber und mit meinen Mitmenschen gemacht. Ich bin nachdenklicher geworden, vielleicht auch sanftmütiger, dankbarer, vor allem demütiger.

Maria Trümper: Wie gehst du persönlich mit diesen Herausforderungen um?

Maik Behrendt: Mit Herausforderungen umzugehen, habe ich durch die Bewältigung meiner psychischen Krisen gelernt. In 2015 war ich an meinem persönlichen Tiefpunkt angekommen. Nach einem missglückten Suizid habe ich mich erstmalig bewusst für das Leben entschieden mit der Erkenntnis: „Hilfe anzunehmen ist eine Stärke.“ Das fällt mir zum Thema Self-Empowerment bei heutiger Betrachtung ein. Von daher bin ich gewissermaßen krisenerprobt. Ich habe durch meine Suchterkrankung gelernt, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und Dinge, die ich nicht ändern kann, so zu belassen und das eine vom anderen zu unterscheiden. Die Corona-Pandemie ist eine globale Herausforderung, die wir in Gemeinschaft bewältigen können durch Solidarität, Achtsamkeit und Zuversicht. Schnelltests und koordinierte Impfstrategien tragen sicher zu einer weiteren Entschärfung der angespannten Ausgangslage bei.

Maria Trümper: Welche persönliche Stärke hast du durch die Corona-Pandemie entwickelt oder hat dir geholfen?

Maik Behrendt: Eine Stärke meinerseits ist die Anpassungsfähigkeit. Ich sehe in jeder Krise eher eine Chance, mich neu zu orientieren, mich selbst zu reflektieren und sicher Altbewährtes in Frage zu stellen oder zu bestätigen – ich habe meine Referentenangebote digital aufgestellt, um meine Breitenwirksamkeit zu erhöhen. Ich pflege zunehmend meine persönlichen wie beruflichen Netzwerke virtuell. Ich bin gerne kreativ – zeitgemäße Lösungsansätze können helfen, Kontakte aufrecht zu erhalten. Als ein Mensch mit einer psychischen Beeinträchtigung ist mir der persönliche Umgang mit Menschen sehr wichtig. Ich treffe mich mit Familie und Freunden bei Wind und Wetter zu Spaziergängen an der frischen Luft mit einem Kofferraum-Picknick.

Maria Trümper: Du hast von 2018 bis 2019 an der CASCO-Weiterbildung teilgenommen – was hat dir gut an der Ausbildung zur CASCO-Referent*in gefallen?

Maik Behrendt: Eine gute Freundin aus meinen Netzwerken berichtete mir von CASCO – es sollte ein zweiter Ausbildungsgang gestartet werden. Menschen mit Behinderungen zu befähigen, als Referent*innen in eigener Sache die Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention zur Stärkung von Menschen mit Beeinträchtigungen nach außen zu tragen, hat mich sogleich angesprochen und ich richtete ein Motivationsschreiben an die ISL. Das CASCO-Projekt steht von der Qualität her für sich. Die Ausbildungsgruppe kristallisierte sich schnell zu einer Expert*innenrunde heraus. Hier waren Menschen mit hoher persönlicher Selbstkompetenz und fachlicher Expertise deutschlandweit in Berlin zusammengekommen und wurden von der ISL fachgerecht zur organisatorischen und inhaltlichen Durchführung für spätere Referententätigkeiten ausgebildet. Persönliche Freundschaften sind entstanden, die ich nicht mehr missen möchten. Ich arbeite mit CO-Referent*innen überregional zusammen. Wir ergänzen uns gegenseitig in unserer Themenvielfalt.

Maria Trümper: Warum wolltest du als Referent tätig werden?

Maik Behrendt: Wichtig ist mir heute, Gesicht zu zeigen, die Öffentlichkeit und mein persönliches Umfeld für die Interessen und Bedarfe von Menschen mit Beeinträchtigungen wie meiner zu sensibilisieren und für meine Rechte, die im Grundgesetz, im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und im Bundesteilhabegesetz (BTHG – neu) geregelt sind, einzustehen. Ich trage die Hoffnung, mit meinen Erfahrungen im Umgang mit meiner nicht-sichtbaren psychischen Beeinträchtigung und aus dem Erfahrungsschatz meiner Referentenkolleg*innen zum „sichtbaren“ Verständnis meiner Beeinträchtigungen in der Außenwahrnehmung beitragen zu können.

Maria Trümper: Welche Themen sind als Referent deine Steckenpferde und warum?

Maik Behrendt: Co-Moderationen und Teamwork wird von mir bevorzugt und überaus begrüßt. Diversity-Mainstreaming mit normenkritischen Aspekten ist mir wichtig: Unser Team in Co-Moderation ist spannend und abwechslungsreich – Mann, Frau; verschieden alt; gay, hetero; Peer/Profi, Herkunft; beeinträchtigt, nicht-beeinträchtigt. Es zu CASCO zu schaffen, habe ich vielen Menschen zu verdanken. Das sind Menschen gewesen, die an mich geglaubt haben. Diese Kraft möchte ich heute weitergeben, indem wir Angebote in den Themenrubriken wie die Innenansichten behinderter Menschen nach außen tragen, Inklusion für die Zukunft gestalten und Empowerment/Lebensgestaltung mit Co-Referent*innen geschaffen haben. In Co-Moderation kann das Angebot um viele Bereiche erweitert werden. Grundwissen in den Sozialgesetzbüchern, im Asylbewerberleistungsgesetz, Spezialisierung im Hinblick auf das BTHG und die (Neu-) Definition des Behindertenbegriffs sind auch vorhanden.

Maria Trümper: Dein Einsatz als Referent mit Behinderung ist nicht immer ganz einfach, weil oft die Peer-Perspektive (noch) nicht als Expertise anerkannt oder zumindest in Frage gestellt wird. Was ist dein schlagendes Argument, warum überall dort, wo über Behinderungen gesprochen wird, auch Behinderte mitreden müssen nach dem Motto: „Nichts über uns ohne uns!“?

Maik Behrendt: Die Selbst-Vertretung von den Interessen und Bedarfen von uns Menschen mit Behinderungen bedeutet für mich, in Erscheinung zu treten und als Individuum in meiner Vielfältigkeit mit einer Wertigkeit für die Gesellschaft wahrgenommen zu werden, denn jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene starke Geschichte. Beruflich bin ich als Peer-Berater für die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung Schaumburg (EUTB) tätig. Wir beraten Menschen mit Behinderungen und von Behinderungen bedrohter Menschen zu allen Themen rund um Rehabilitation und Teilhabe. In § 32 (3) BTHG ist die ergänzende Beratung von Betroffenen für Betroffenen besonders zu berücksichtigen. Hier ist die Peer-Perspektive als Expertise gesetzlich vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales festgeschrieben, was eine außerordentliche Leistung der Behindertenbewegung der vergangenen Jahrzehnte unter maßgeblicher Beteiligung der ISL darstellt im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 in der Umschreibung in die nationale Gesetzgebung. Insofern stellt sich für mich nicht mehr die Frage, inwieweit Menschen mit Beeinträchtigungen mitreden dürfen oder sollen – es ist ganz einfach. Es steht im Gesetz und ist damit rechtsverbindlich.

Maria Trümper: Für welches behindertenpolitische Thema brennst du und warum?

Maik Behrendt: Eine Behinderung entsteht, wenn eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren zusammenwirkt (Definition Behinderungsbegriff der UN-Behindertenrechtskonvention). Laut Konvention ist eine Behinderung keine unabänderliche Tatsache. Sie entsteht erst durch Barrieren: Wenn ein Mensch auf den Rollstuhl angewiesen und ein Gebäude nur über Treppen erreichbar ist, wird seine körperliche Beeinträchtigung durch eine umweltbedingte Barriere zur Behinderung. Traut man einem Menschen mit kognitiver Einschränkung keine Entscheidungen zu, wird seine Lernbeeinträchtigung aufgrund einer einstellungsbedingten Barriere zur Behinderung. Ebenso kann ein Mensch mit psychischen Beeinträchtigungen als „Psycho“ oder „Verrückter“ diskreditiert werden. Dies zeigt: Viele Barrieren sind überwindbar, wenn wir uns ihrer bewusst sind. Von daher liegt mir besonders § 8 Bewusstseinsbildung der UN-Behindertenrechtskonvention am Herzen. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Menschen dürfen aufgrund ihrer Behinderung nicht in ihren Menschenrechten und Grundfreiheiten beschränkt, ausgegrenzt oder bevormundet werden. Gesellschaftliche Barrieren sind zu beseitigen – in der Umwelt und in den Köpfen, in allen Bereichen und auf allen Ebenen. Die Konvention entwirft somit die Vision einer inklusiven Gesellschaft.

Maria Trümper: Was ist dir wichtig in der Vermittlung behinderungsrechtlicher Themen?

Maik Behrendt: Mir ist es wichtig, mit Menschen darüber ins Gespräch zu gehen, Barrieren im Kopf abzubauen und gemeinsame Beziehungsarbeit zueinander zu leisten. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich in CO-Moderation Seminare zum Thema „Motivierende Gesprächsführung und Umgang mit konfliktdynamischen Gesprächssituationen“ anbiete. Es sind immer die Stereotypen und die Vorurteile, die mir als Mensch mit psychischen Beeinträchtigungen begegnen, die letztlich zu Stigmata, Ausgrenzung und Diskriminierungen führen. Der Dialog zu bewegenden Themen kann Brücken bauen. Psychische Behinderungen in Wort, Bild und Ton erfahrbar zu machen, kann helfen, Barrieren im Kopf anderer abzubauen und neue Zugangswege zum Erleben von Depression, Ängsten und Sucht zu schaffen – für eine vollwirksame gesellschaftliche Teilhabe.

Maria Trümper: Im Zuge der Bundestagswahl war es besonders auch für Menschen mit Behinderungen entscheidend, sich in den Wahlkampf einzumischen, um auf wichtige Themen wie Barrierefreiheit, Inklusion, etc. aufmerksam zu machen. Die Wahl entscheidet nun über den programmatischen Verlauf der nächsten vier Jahre. Daher: Wo siehst du den größten Aktionsbedarf im Bereich Behinderung? Welche Themen müssen deiner Meinung nach unbedingt in der Gesellschaft und Politik angegangen werden?

Maik Behrendt: Digitale Teilhabe wird in unserer Gesellschaft immer stärker auch zu sozialer Teilhabe. Denn „teilzuhaben“ meint die Möglichkeit, an den Infrastrukturen und Angeboten einer Gesellschaft umfassend partizipieren zu können. Laut einer Studie zur Digitalen Teilhabe der Aktion Mensch bietet die Digitalisierung mehr Chancen als Risiken für die zukünftige Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und bietet Potential für digitale Inklusion. Es ist daher wichtig, Menschen mit Behinderungen in der Nutzung von digitalen Medien zu befähigen und ihnen damit den Zugang zu virtuellen Angeboten zu ermöglichen. Die Wichtigkeit des Themas wurde mir bewusst, als wir coronabedingt die EUTB-Beratungsstelle für persönliche Beratungsgespräche zum Selbst- und Fremdschutz schließen mussten. Viele unserer Ratsuchenden waren nicht mehr erreichbar. Sie haben schlicht kein Telefon. Andere hatten große Sorge, Programme zur Nutzung von Videotelefonie auf ihre Endgeräte hochzuladen. Fehlende finanzielle Mittel und Speicherkapazitäten der Geräte limitieren die Anwendung. Andere waren schlichtweg überfordert und brachen den Kontakt zu uns ab. Viele berichteten uns, sie hätten einfach keinen Netzempfang. Hier braucht es dringend Programme für eine flächendeckende barrierefreie Infrastruktur in der Stadt und auf dem Land unter Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in die Gestaltung neuer Angebote.

Maria Trümper: Stichwort „Teilhabe“ – du hast es ja schon kurz angerissen: Kannst du kurz erläutern, wo die Herausforderungen in der Selbsthilfe für depressive Menschen liegen während der Corona-Pandemie? Was ist das größte Hindernis und wie habt ihr es als Gruppe überwunden?

Maik Behrendt: Meine Person ist in einer Suchtgruppe der Diakonie, der Selbsthilfegruppe „Hoffnungsschimmer – gegen Depression und Ängste“ und der Selbsthilfegruppe „Move & Smile – inklusive SHG für seelische und körperliche Gesundheit“ aktiv. Das, was die Stärke der Selbsthilfearbeit ausmacht, ist, sich durch die Beiträge der anderen Gruppenteilnehmenden bewusst selbst in Frage zu stellen, sich selbst zu reflektieren und die anderen durch eigene Wortbeiträge aus der Ich-Perspektive zum Nachdenken über die eigenen Denkansätze und sich daraus ergebenen Handlungsweisen zu bringen. Die Corona-Pandemie hat die Selbsthilfearbeit plötzlich und ohne Vorwarnung zum Erliegen gebracht. Expertenrunden konnten nicht mehr stattfinden. Zu den alltäglichen Herausforderungen, die jeder einzelne von uns zu meistern hatte im Umgang mit sich und den anderen, kam nun eine nicht-sichtbare und anfangs schwer fassbare Bedrohung durch die Auswirkungen des Corona-Virus auf unsere Gesundheit hinzu. Bestimmungen zu Einschränkungen der Selbsthilfearbeit in Präsenz wurden erlassen. Gruppentreffen wurden von jetzt auf gleich abgesagt. Jeder war zunächst mit sich und seinen persönlichen Herausforderungen auf sich selbst gestellt. Einige von uns erlitten schwere gesundheitliche Rückfälle. Es gab Menschen in meinem Umfeld, die nur den Suizid als Hilfe zur Selbsthilfe in ihrer Not akzeptieren konnten. Sie waren schlicht mit sich und der Corona-Pandemie überfordert. Psychiatrische Hilfen wurden eingestellt, Therapeut*innen nicht erreichbar, Krisendienste überlastet. Wir stellten selber fest, dass einige von uns in der Teilnehmendenliste keine Telefonnummern angegeben hatten. Wie sollten wir sie nun erreichen?

Zugegebenermaßen versetzte uns dies zunächst in eine Handlungsstarre. Angeregt durch die Leitungspersonen der EUTB-Schaumburg zur Nutzung digitaler Medien in der Beratung von Ratsuchenden nutzen wir die neu gewonnene Kompetenz, um sie in der Selbsthilfearbeit der Suchtselbsthilfegruppe zur Sicherstellung von regelmäßigen Gruppentreffen zu installieren: Selbsthilfe goes digital! Es galt, Teilnehmende zu motivieren, unter Umständen mit technischen Hilfsmitteln auszustatten und sie in der Nutzung digitaler Medien zu schulen. Ferner starteten wir als Selbsthilfegruppe „Hoffnungsschimmer“ sogenannte „Walk-Talk“-Gruppentreffen in Präsenz in Stadthagen auf dem Wall um die Altstadt.

Außerdem gründeten wir die neue Bewegungsgruppe „Move & Smile“ nach Musik im Hybrid-Format. Wir waren selbst überrascht, wie gut dieses Gruppenangebot auch in Zeiten der allgemeinen Corona-Einschränkungen angenommen wurde. Hier finden sich Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen und kreieren ihr eigenes Bewegungsprojekt mit tänzerischer Bewegung und Gespräch – Selbsthilfe praktisch gedacht. Im September hat die SHG „Hoffnungsschimmer“ als Veranstalter ein dreitägiges „SELFIS – Selbst Finden und Stärken“-Seminar zu den Themen Empowerment, Resilienz und persönliche Assistenz angeboten, gefördert durch die AOK. 17 Teilnehmende konnten durch einen geringen Beitrag an ihrem persönlichen Stärken- und Kompetenzprofil arbeiten, angeleitet durch drei Referent*innen aus unserem CASCO-Pool. Geplant ist noch eine offizielle Schulungsveranstaltung in Kooperation mit hiesigen Anbietern zur Nutzung digitaler Medien für Teilnehmende aus der Selbsthilfe. Zusammengefasst: Selbst gestärkt – Selbsthilfe digital stärken!

Maria Trümper: Welche Rolle spielen Menschenrechte in deinem privaten Leben und im Arbeitsalltag? Wo erfährst du durch deine Beeinträchtigungen Diskriminierung und wirst an der Wahrnehmung deiner Menschenrechte behindert?

Maik Behrendt: An dieser Stelle möchte ich gerne für das Thema Bedarfe von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sensibilisieren. Meine psychische Behinderung ist erworben und nicht-sichtbar. Zum einen mag das ein Vorteil sein, andererseits bringt es mich tagtäglich in einen Erklärungszwang mit der daraus resultierenden Aburteilung anderer, ich sähe doch ganz gesund aus. Durch meine Beeinträchtigung erlebe ich starke körperliche Anspannungszustände bei zunehmender psychischen Belastung. Meine Konzentrations- und Merkfähigkeit ist tagesformabhängig und entspricht etwa 40 % meiner ursprünglichen Leistungsfähigkeit vor meiner Lebenskrise. Ganztägige Fortbildungsveranstaltungen sind für mich zumeist ungeeignet. Das beeinträchtigt meine Wettbewerbschancen als Referent. Um gesamtgesellschaftlich teilhaben zu können und meinem Bildungsauftrag als CASCO-Referent nachkommen zu können, habe ich gelernt, aus vermeintlichen Defiziten Bedarfe zu formulieren. Regelmäßige Pausenzeiten und die Durchführung von Veranstaltungen in Co-Moderation tragen maßgeblich zu einer Steigerung meiner Leistungsfähigkeit und psychosozialen Stabilisierung bei. Sowohl beruflich wie ehrenamtlich ermutige ich Menschen aus vermeintlichen Defiziten eigene Bedarfe zu formulieren, sie dahingehend zu stärken, sich selber anzunehmen und über ihre Rechte zu informieren und einzustehen. Die Frage lautet: Was brauchst Du, was ist Dir wichtig, um gleichberechtigt teilhaben zu können, um Deine Ziele zu erreichen?

Maria Trümper: Ist eine Veranstaltung, bei der du als Referent eingeladen bist, in 2021 geplant? Wenn ja, welche und zu welchem Thema referierst du dort?

Maik Behrendt: Bedingt durch die Corona Pandemie habe ich mit meinen Co-Referenten auf digitale Seminarformate umgestellt. Im Februar und März hatten wir ein zweitägiges Seminarformat zur Motivierenden Gesprächsführung und zur Vermittlung interkultureller Kompetenzen in der Arbeit von beruflich Helfenden im Umgang mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen über einen Bildungsträger in der Behindertenhilfe angeboten. Ein weiterer Einsatz hat in Kooperation mit der Hochschule Bremen im sogenannten „INAZ-Projekt“ stattgefunden. Hierbei geht es um die Durchführung von Erprobungsseminaren mit dem Schwerpunkt Bewusstseinsbildung als Herausforderung von Lehrkräften des zweiten Bildungsweges für den Umgang mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen im Unterricht und die Chancen des „Universal Design of Learning (UDL)“ für die Vermittlung der Lerninhalte. Ferner sind Fortbildungen zum Thema „Behinderung erfahrbar machen – wie fühlen sich Depression, Ängste und Sucht an?“ im Angebot. Unlängst habe ich meine Ausbildung zum Diversity-Trainer über „Living diversity“ in Berlin abgeschlossen. Mit diesem Wissen habe ich im September ein erstes Seminar zum Thema „conscious/unconscious bias – Anti-Bias-Arbeit“ in Kooperation mit einer CASCO-Kollegin anbieten dürfen. Hier geht es darum, eigene Stereotype, Voreingenommenheiten und Vorurteile in einem Training bewusst zu erkennen, um Methoden zu erlernen, sie wieder bewusst zu verlernen für eine innere Öffnung für eine vielfältige Gesellschaft – für Toleranz und Akzeptanz – gegen Diskriminierungen.

Maria Trümper: Lieber Maik, herzlichen Dank für das offene Gespräch und die vielen Denkanstöße, die du hier gegeben hast. Ich bin mir sicher, dass du noch viel bewegen wirst mit deiner Arbeit!