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Job-Speed-Dating: Erfahrungen haben Erwartungen weit übertroffen

Alexander Ahrens mit dem ISL Logo im Hintergrund
Alexander Ahrens
Foto: Franziska Vu ISL

Berlin (kobinet) Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hat vor kurzem ein Job-Speed-Dating zwischen behinderten Menschen, die Arbeit suchen und Arbeitgeber*innen, die Beschäftigte suchen, in Berlin durchgeführt. Für Alexander Ahrens von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) haben bei den bisherigen Job-Speed-Datings die gemachten Erfahrungen die Erwartungen weit übertroffen. Eine Reihe von behinderten Menschen haben dabei Arbeitsplätze gefunden, wie Alexander Ahrens im Interview mit kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul berichtet.

kobinet-nachrichten: Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hat am 10. September ein Job-Speed-Dating durchgeführt. Was hat es damit auf sich?

Alexander Ahrens: Die Arbeitslosenquote bei behinderten Menschen ist immer noch doppelt so hoch wie bei nicht behinderten Menschen – Tendenz durch die Pandemie ungewiss. Die Bundesregierung hat es in den letzten Jahrzehnten versäumt, die Ausgleichsabgabe für Unternehmen die keine behinderten Menschen bei sich anstellen, zu erhöhen. Außerdem berichten behinderte Menschen sehr oft davon, dass sie trotz guter Qualifikation und Bewerbung selten oder gar nicht für ein Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Mit diesem Format, der direkten Begegnung zwischen Arbeitgeber*innen und Bewerber*innen, können wir mit Gesprächen im Acht-Minuten-Takt die Chance auf ein Bewerbungsgespräch enorm erhöhen.

kobinet-nachrichten: Und wie lief es?

Alexander Ahrens: Ab der ersten Gesprächsrunde waren alle 14 Teilnehmenden sehr konzentriert und euphorisch bei der Sache. So war dies auch bei den vier Job-Speed-Datings, die wir seit 2017 in Berlin durchführen, zuvor auch. Die Bewerber*innen gehen am Ende der Veranstaltung mit einem positiven und gesteigerten Selbstwertgefühl nach Hause. Die anwesenden Arbeitgeber*innen bescheinigen uns stets die gute Vorbereitung und das hohe Engagement der Bewerber*innen. Das war auch dieses Mal wieder so. Wir sind wieder auf die Rückmeldungen aller Teilnehmenden gespannt.

kobinet-nachrichten: Das ist nicht das erste Job-Speed-Dating der ISL, wie Sie ja schon erwaähnten. Wie waren die bisherigen Erfahrungen und vor allem, wie waren die bisherigen Vermittlungserfolge?

Alexander Ahrens: Die Erfahrungen haben unsere Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen. Statt nur Bewerbungsgespräche zu führen, wurden vom Fleck weg ein Viertel unserer Bewerber*innen direkt eingestellt. Statt einem Show-Effekt mit „Zoo-Effekt“ wie bei so manchen anderen Projekten, hat das Job-Speed-Dating einen nachhaltigen Effekt – nämlich das behinderte Menschen selbst in die Lage versetzt werden, es in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen – mit guter Vorbereitung und dieser Begegnungsplattform. Wir versprechen keine Jobs, aber können die Chancen darauf deutlich erhöhen.

kobinet-nachrichten: Wäre ein solches Job-Speed-Dating auch eine Möglichkeit, behinderte Menschen, die bisher noch in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln?

Alexander Ahrens: Mit der richtigen Vorbereitung, Planung und Offenheit sollte es möglich sein. Man muss es einfach mal ausprobieren. Die richtungsweisenden Instrumente gibt es ja bereits u.a. mit dem Teilhabechancengesetz, dem Budget für Ausbildung und dem Budget für Arbeit. Nur müssen Werkstattbeschäftigte, Arbeitsuchende und Unternehmen intensiver darüber von den Trägern und Agenturen darüber informiert werden. Und man kann vor allem mit dem Job-Speed-Dating versuchen zu verhindern, dass ein behinderter Mensch überhaupt erst in einer Werkstatt für behinderte Menschen landet. Denn wenn ein Mensch mit einer Einschränkung erst einmal im System Werkstatt drin ist, dann kostet es viel Kraft, dort wieder herauszukommen. Deshalb sollte man von Anfang an alles dafür tun, dass behinderte Menschen nicht in die Sonderwelt gelangen. Das sollte oberstes Credo sein.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche in Sachen Beschäftigung behinderter Menschen frei hätten, welche wären das?

Alexander Ahrens: Es wäre grandios, wenn wir das Job-Speed-Dating mit Unterstützung der Agentur für Arbeit flächendeckend bundesweit ausrollen können und als feste Instanz in der Arbeitsvermittlung von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen etablieren. Außerdem müsste man schauen was passiert, wenn die Ausgleichsabgabe in Deutschland so hoch wäre, dass es sich automatisch nicht mehr lohnen würde, behinderte Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken bzw. sie als Unternehmen nicht anzustellen. Denn es ist dramatisch, dass es auf der einen Seite so viele gut ausgebildete Menschen mit Behinderungen gibt, die einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen, aber über 100 Tage länger arbeitslos sind wie nichtbehinderte Menschen. Auf der anderen Seite sucht die Wirtschaft und der öffentliche Dienst händeringend nach Auszubildenden und Fachkräften. Das passt nicht zusammen.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Link zum Fernsehbericht der Abendschau des rbb vom 10.9.2021 über das Job-Speed-Dating ab Minute 09:03