
Foto: Alexander Ahrens ISL
Berlin (kobinet) Bei wolkenverhangenem Himmel und kräftigem Wind haben die Aufbauarbeiten für die heutige Aktion der Intereessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen vor dem Brandenburger Tor in Berlin begonnen. Von 10:00 bis 11:00 Uhr zeigen dort behinderte Menschen die Schwächen des Gesetzentwurfs für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auf. Mittels einer Installation eines Geldautomaten mit Stufen wird symbolisch gezeigt, dass beispielsweise das Umfeld von digitalen Angeboten bisher nicht barrierefrei sein muss. Der Gesetzentwurf gehe deshalb und in vielen anderen Punkten an der Lebenswirklichkeit vieler behinderter Menschen völlig vorbei, kritisiert die ISL.
Mit der Protestaktion macht die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) auf das geplante Gesetz für mehr Barrierefreiheit aufmerksam und teilt in Übereinstimmung mit einer Vielzahl weiterer Behindertenverbände# die Auffassung, dass die Lebenswirklichkeit eines Großteils in Deutschland lebender behinderter Menschen vom Gesetzentwurf der Bundesregierung völlig ignoriert wird. Mit einem am Brandenburger Tor installierten Geldautomaten, der nur über Stufen erreichbar ist, zeigt die ISL auf plastische Weise einen zentralen Fehler im sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) auf: Die bauliche Umwelt bleibt bei den gesetzlichen Regelungen außen vor. Etliche Menschen, die einen Rollstuhl oder Rollator nutzen werden symbolisch aufzeigen, was Stufen vor Geldautomaten und Banken konkret bedeuten, heißt es in der Presseinformation der ISL zur Aktion, die heute am 5. Mai von 10:00 bis 11:00 Uhr am Brandenburger Tor stattfindet.
Zwar werde die digitale Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen endlich für private Anbieter im neuen Gesetz angegangen, aus Sicht der ISL aber nur ungenügend. „Es wird ein Gesetzesentwurf zur Barrierefreiheit im Bundestag bearbeitet, das den baulichen Zugang völlig ignoriert, viel zu lange Umsetzungsfristen hat, Barrierefreiheit gewerblich genutzter Software ausschließt, keine zentralisierte und für die behinderten Verbraucher*innen konsequent barrierefreie und transparente Marktüberwachung vorsieht und viel zu viele Zumutbarkeitsausnahmen für die Privatwirtschaft beinhaltet,“ so beschreibt es die ISL-Expertin für Barrierefreiheit Jessica Schröder.
„Wenn sich das nicht ändert, dann werden Millionen von behinderten Menschen, die zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausmachen, weiterhin die nächsten Jahrzehnte von der Gesellschaft im Privat- und Berufsleben ausgeschlossen bleiben. Blinde Menschen werden alle Selbstbedienungsterminal und barrierefreie Bankkonten frühestens ab 2040 benutzen können,“ erklärt Jessica Schröder weiter und appelliert an den Bundestag: „Werte Abgeordnete. Setzen Sie sich für ein gutes Barrierefreiheitsrecht ein, das auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar ist!“
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) basiert auf dem European Accessibility Act (EAA) und wird nur mit den Mindestanforderungen der Europäischen Union (EU) in Deutschland umgesetzt, um ein Vertragsverletzungsverfahren zu umgehen. Das Gesetz soll nur mit minimalen Verbesserungen nach Forderungen der Behinderten- und Sozialverbände voraussichtlich noch im Mai im Bundestag verabschiedet werden. Es wurde dazu keinerlei Debatte geführt und nur eine verkürzte Sachverständigenanhörung im Rahmen des parlamentarischen Partizipationsprozesses für den 17. Mai geplant.
Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) ist eine menschenrechtsorientierte Selbstvertretungsorganisation und die Dachorganisation der Zentren für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen. Sie wurde nach dem Vorbild der US-amerikanischen „Independent Living Movement“ gegründet, um die Selbstbestimmung behinderter Menschen auch in Deutschland durchzusetzen.