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Berlin (kobinet) "Mein Leben findet nicht in einer Bundesbehörde, sondern da draußen statt", so brachte es Nancy Poser aus Trier auf den Punkt, warum Barrierefreiheit als Voraussetzung zur Inklusion umfassend geregelt werden muss. Sie war eine der Sachverständigen, die heute am 19. April vor dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales Stellung zu den vorgeschlagenen Regelungen zum Teilhabestärkungsgesetz und zu Anträgen der Oppositionsfraktionen bezogen haben. Neben dem Thema der Barrierefreiheit ging es u.a. auch um Assistenzhunde, Gewaltschutz, das Budget für Ausbildung und den Zugang zu Leistungen zur Eingliederungshilfe.
Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Um bei Nancy Poser zu bleiben, so machte sie auch deutlich, dass sie Teil der Gesellschaft sein müsse und das gehe nun einmal nicht ohne die Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit. Sie verwies auf Regelungen in Österreich und schon lange vorliegende Vorschläge des Forums behinderter Juristinnen und Juristen, wie das in Deutschland geregelt werden müsste. Selbstverpflichtungen im privaten Bereich würden hier nicht ausreichen, das zeigten viele Erfahrungen, wie Constantin Grosch ergänzte. Nancy Poser war von den LINKEN zur Anhörung geladen worden, Constantin Grosch von Bündnis 90/Die Grünen.
Die CDU/CSU und FDP interessierte sich während der Anhörung hauptsächlich für das Thema Assistenzhunde, zu dem im Teilhabestärkungsgesetz zwar eine Reihe von Regelungen vorgesehen sind, das Problem aber nur ansatzweise gelöst wird. Dabei sei es wichtig, dass nicht zwischen Assistenz- und Blindenführhunden unterschieden werde, wie Roswitha Warda vom Verein Pfotenpiloten betonte. Sie hatte während der Anhörung richtig viel zu tun. Der Aspekt, dass behinderte Menschen, die einen Assistenzhund nutzen, einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen öffentlichen Angeboten haben müssen, wurde bei den tierischen Fragen aber eher vernachlässigt.
Beim Thema Gewaltschutz herrschte weitgehende Einigkeit darüber, wie wichtig dieser ist, auch wenn es im Detail und bei den konkreten Maßnahmen noch Diskussionsbedarf gibt. Denn so wichtig eine Verankerung zur Verpflichtung von Leistungserbringern zu Gewaltschutzkonzepten ist, genauso wichtig ist es, dass dies auch mit konkreten Maßnahmen unterfüttert wird. Eine bundeseinheitliche Beschwerdestelle sei hierfür beispielsweise eine wichtige Maßnahme. Constantin Grosch betonte dabei zu den Fragen der Assistenz, wie wichtig es ist, dass die Assistenz für behinderte Menschen schnell geregelt werden. Denn wenn man in einer Gewaltsituationen lebe, müsse schnell klar sein, wie die Assistenz geregelt ist, um diese schleunigst verlassen zu können. Hier hapere es noch kräftig und vor allem auch daran, dass behinderte Menschen ihr Leben stets in verschiedene Assistenzbereiche aufsplitten und immer wieder begründen müssten.
Und dabei sind wir auch bei der Frage, die Nancy Poser aufgriff, was im sogenannten Teilhabestärkungsgesetz noch alles fehle. Es seien einige Dinge geregelt, bei denen es breite Zustimmung gäbe, die grundlegenden Probleme, die beim Bundesteilhabegesetz nicht angepackt wurden, würden auch nun wieder ausgeklammert. Das Wunsch- und Wahlrecht müsse gestärkt werden, die Anrechnung des Einkommens und Vermögens müsse dringend abgeschafft werden. Sie berichtete, dass sie nur keine Mehrkosten durch die Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes habe, weil sie noch nach altem Recht bewertet werde. Für behinderte Menschen, die etwas mehr verdienen und Pflegestufe 4 oder 5 hätten, sei das eine Verschlechterung.
Für eine Regelung zur Assistenz im Krankenhaus warb Corinna Rüffer in ihrer Frage, denn dafür habe der Bundestag aufgrund einer Petition bereits dringenden Regelungsbedarf angemahnt. Constantin Grosch betonte die unbestrittene Notwendigkeit für eine umfassende Regelung zur Assistenz im Krankenhaus. Es sei völlig unsinnig, dass die Assistenz für behinderte Menschen nach bestimmten Lebensbereichen unterschieden werde. In diesem Fall fehle eine klare Regelung für die gesundheitliche Teilhabe. Warum das bei denjenigen gehe, die ihre Assistenz selbst im Arbeitgebermodell organisieren und bei anderen nicht, diese Logik verstehe man nicht. Nancy Poser betonte, dass es den Betroffenen egal ist, wer die Assistenz im Krankenhaus zahlt, wichtig sei, dass das klar geregelt ist, am besten bei dem Träger, bei dem die sonstige Assistenz finanziert wird. Wenn man ins Krankenhaus komme, sei die Sicherheit der Finanzierung der Assistenz entscheidend.
Auch in Sachen Ausgleichsabgabe waren sich viele Sachverständige einig, dass diese gerade für beschäftigungspflichtige Betriebe, die keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, dringend nötig ist. In Sachen Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe betonte Antje Welke von der Lebenshilfe, wie wichtig die derzeit im Gesetzentwurf aufgenommene Regelung zu § 99 SGB IX ist und dass dies auch so bleiben müsse, wenn der Personenkreis der Leistungsberechtigen nicht eingeschränkt werden soll, was völlig unverständlich wäre.
Was die Abgeordneten nun aus dieser Anhörung machen und welche Änderungsanträge sie noch bis zur bereits am Mittwoch, den 21. April, stattfindenden Ausschusssitzung entwickeln und dann in der 2. und 3. Lesung des Bundestages am 22. April beschließen, steht noch in den Sternen. Zu beobachten war allerdings, dass gerade die Abgeordneten der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD in Sachen Partizipation behinderter Menschen bei solchen Anhörungen noch erheblichen Nachholbedarf haben. Constantin Grosch und Nancy Poser waren nur dabei, weil die LINKEN und Bündnis 90/Die Grünen sie geladen hatten. Sonst wäre das leicht zu einer Anhörung unter dem Motto „Alles über uns ohne uns“ ausgegangen.