
Foto: Julia Lippert
Berlin (kobinet) Psychiatrische Zwangsmaßnahmen stehen in wesentlicher menschenrechtlicher Kritik. Der UN-Fachausschuss spricht sich gegen den Einsatz von Zwangsmaßnahmen aus und je nach Auslegung, setzt die UN-BRK klare Normen.
Verrücktheitserfahrungen ließen mich intensive Bekanntschaft mit der psychiatrischen Versorgungslandschaft machen, gepaart mit Zwangshandlungen gegen meinen Willen. Immer begründet durch die mir attestierte sogenannte „krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit“ und der Vermutung, ich könnte mich selbst oder andere gefährden, was dem zwanghaften Vorgehen rechtlich seine formale Grundlage gab. Ich habe im Zuge dessen verschiedenste Diagnosen bekommen, u.a. „Bipolar Störung und schizoaffektive Psychose“. Ich gelte also nach diesen Diagnosen als „schwer chronisch psychisch Kranke“.
Das Thema Zwangsmaßnahmen, ruft viele berechtigte verzweifelte Emotionen hervor. Die am meisten Leidtragenden dieses Versorgungsdenkens und -handels sind die betroffenen Menschen. Uns wird nicht erflaubt zu entscheiden. Entschieden wird über uns.
Ich stehe dazu, dass es mir selbst nicht leicht fällt einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn von „schwer chronisch psychisch Kranken“ gesprochen wird. Ich selber werde diesem Personenkreis zugeordnet, mit der Ansage, den Rest meines Lebens Psychopharmaka nehmen zu müssen, um sogenannt gesund zu leben. Ich nehme diese Substanzen seit ca. 5 Jahren nicht mehr. Ob ich nach Einschätzung der damals mich behandelnden Ärztinnen und Ärzte heute „psychisch gesund“ bin, ist mir nicht wichtig.
Auch bei professionell tätigen Menschen und bei Angehörigen löst das Thema Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie Unbehagen aus. Zwangsmaßnahmen müssen kritisch und grundlegend geprüft und abgeschafft werden.
„Horrorszenarien“ oder Extremfälle sollten nicht als Grundlage zu Legitimationsfragen von Zwang herhalten dürfen. In der Rechtsbestimmung und -anwendung vom Einzelfall auf die Allgemeinheit zu schließen, halte ich für einen fatalen Fehler. Nicht selten wird behauptet, die Normen der UN-BRK würden die sogenannt schwer chronisch psychisch Kranken und ihre angeblichen besonderen Bedarfe missachten, sie würden hinten runter fallen. Ich denke es ist genau anders herum. Weil unser Versorgungssystem in vielen Punkten nicht den Standards der Menschenrechte entspricht, fallen wir „schwer chronisch psychisch Kranken“ hinten runter. Dazu später mehr.
Psychiatrische Zwangsmaßnahmen stehen nicht erst seit der UN-BRK in grundlegender Kritik. Aber ohne Frage bietet die UN-BRK eine wichtige rechtliche Grundlage: freiheitsentziehende, weitere freiheitseinschränkende und medizinische Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der betroffenen Personen in Frage zu stellen.
Ethisch kann es meiner Meinung nach keine Rechtfertigung für Zwangsmaßnahmen geben. Hierzu gehören beispielsweise: die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka und Elektroschocks mit direktem oder indirektem Zwang, Fixierung, Isolierung oder unfreiwillig erhaltene Diagnosen.
Aber Zwang in dieser Form, ist nur die Spitze des Eisberges von Denkweisen, Handlungen und Regelungen, die soziale Situationen so zuspitzen, dass es zur Anwendung von rechtlich legitimierten Grundrechtseingriffen kommt. Bevor es zu diesem Ausmaß an Eingriffen in die Freiheitsrechte eines Menschen kommt, finden wir auf verschiedenen Ebenen der Versorgungslandschaft Phänomene, die eine Zuspitzung verursachen: Von der Fragmentierung von Unterstützungsangeboten, die sich ausschließlich auf medizinische Modelle stützen, über besondere Wohn- und Arbeitsformen, die bestimmte Verhaltenserwartungen an die Nutzer*innen stellen, bis hin zu stationären Einrichtungen die mit zuweilen rigiden Behandlungsmustern nach und nach bei den betroffenen Menschen das Gefühl erzeugen, nicht mehr selbst entscheiden zu dürfen und um im schlimmsten Fall zu der Selbsteinschätzung zu gelangen, man sei zu keiner selbstbestimmten Entscheidung mehr in der Lage.
All diese Ebenen eingeschränkter Wahlmöglichkeiten lassen die Spitze des Eisberges „psychiatrische Zwangsmaßnahmen“ erklimmen.
Auch wenn Begriffe die „wohltätiger Zwang“ [1] durch den Deutschen Ethikrat etabliert wurden, kann es meiner Ansicht nach in einer demokratischen, auf Freiheits- und Selbstbestimmungsrechten aller Menschen fußenden Gesellschaft kaum eine ethische Rechtfertigung für Zwangsmaßnahmen geben.
Ich will mich aber nicht auf ethische Fragen konzentrieren, sondern menschenrechtliche und politische Dimensionen zu diesen beladenen Themen aufzeigen.
Menschenrechte existierenden nicht einfach so, sondern für sie müssen sich Menschen immer wieder einsetzen. Für sie muss gekämpft werden. Auch unser Verein, viele engagierte betroffene Menschen, engagierte professionell Tätige sowie Angehörige weltweit, verstehen sich in dieser Tradition.
Ich selbst kann aus eigener Erfahrung sagen, dass der Einsatz von Gewalt in keiner Weise der Idee einer heilenden Behandlung entsprang: in einer Unterbringung die damit begann, dass ich aus Platzgründen, eingeschlossen zwischen zwei gläsernen Türen und einer großen Glasscheibe zum Aufenthaltsraum der Beschäftigten, auf dem Flur eingeschlossen war und später dort fixiert wurde. In diesem von allen zu beobachtenden räumlichen Verhältnissen, kann ich wohl behaupten, keinen Ort der Ruhefindung erhalten zu haben. Und meine Geschichte ist kein Einzelfall.
Weshalb überall immer noch Zwangsmaßnahmen? Wovon hängt ihre Legitimation und Berechtigung ab? Warum sind sie immer noch rechtlich zulässig und werden nicht selten als medizinisch notwendig betrachtet? Wie kann sich ein Versorgungssystem, dass teilweise mit unmenschlichen Verwahrungsroutinen arbeitet, erlauben Menschen Grundrechte zu entziehen und mit Gewalt tief in die Persönlichkeitsrechte einzugreifen? Heiligt der vermeintliche Zweck (Wiedererlangung Freiheit) das Mittel (Zwang)? Laufen diese Mittel nicht dem Ziel zuwider? Kann man mit Zwang Freiheit bewirken?
Um der Beantwortung der Fragen näher zu kommen, möchte ich 3 Ebenen, die sich gegenseitig beeinflussen, betrachten: die Rechtmäßigkeit, die Profession und die Haltung.
Beginnen möchte ich zunächst mit Kernaussagen der UN-BRK: in dem Bewusstsein, dass je nachdem welche Artikel und Absätze herangezogen werden, sich auch die Diskussion um Zwangsmaßnahmen maßgeblich ändert. Ich argumentiere hier aber als Vertreterin meines verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts.
Im deutschen Grundgesetz gibt es das Bekenntnis zu den allgemeinen Menschenrechten unter Artikel 1 Abs. 2 GG. Die UN-BRK ist seit 2009 geltendes Bundesrecht und das BVerfG zieht die UN-BRK als Auslegungshilfe in seinen Entscheidungen [2] heran.
Bereits Theresia Degener schreibt darüber, dass die ersetzte Entscheidungsfindung und Zwangsmaßnahmen, zwei der vier Hauptkonfliktlinien bei der Ausarbeitung der UN-BRK waren. [3] Die Spannbreite der Diskussion, reichte von einem Verbot solcher Maßnahmen bis zu der Argumentation, dass die ersetzte Entscheidungsfindung und Zwangsmaßnahmen der Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeiten der betroffenen Menschen dienen und entsprechend der Schutzpflicht der Staatengemeinschaften unterlägen.
Die UN-BRK enthält zwar kein konkretes Verbot solcher Eingriffe, so wie es der UN-Fachausschuss unnachlässig fordert, aber gerade der Artikel 12 und 14 machen hier klare Normen.
Artikel 12 Gleiche Anerkennung vor dem Recht
Absatz 2 lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.“
Mir ist klar, dass in der deutschen Debatte gerade Abs. 4 des entsprechenden Artikels herangezogen wird. Dann heißt es, die Zwangsmaßnahme diene als angemessenes Mittel, die rechtliche Handlungsfähigkeit betroffener Menschen, die ja auch erst durch Ärzt:innen, Gutachter:innen und Gerichte aberkannt wurde, wiederherzustellen, und dass die Novellierung des BGB 2013 [4] und 2017 [5] ausreichten, die Sicherung vor dem Gebrauch unrechtmäßiger Zwangsmaßnahmen zu gewährleisten.
14 Freiheit und Sicherheit der Person
„(1) Die Vertragsstaaten gewährleisten,
a) dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit genießen;
b) dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird, dass jede Freiheitsentziehung im Einklang mit dem Gesetz erfolgt und dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.“
Was hier immer wieder sowohl von den Gerichten als auch dem Gesetzgeber bekräftigt wird, ist das Argument die Freiheitsentziehung, so wie sie in Deutschland reguliert ist, finde im Einklang mit dem Gesetz statt und die derzeitige Gesetzeslage entspräche dieser Norm des Art. 14. Entsprechend sei die Gesetzeslage menschenrechtskonform.
Zur Freiheitsentziehung auf Grund von Behinderung: letzter Satz Abs.1 b):
Der Gesetzgeber argumentiert an dieser Stelle, dass es sich nach der derzeitigen Rechtslage nicht um eine Diskriminierung auf Grund von Behinderung handele. Die durch die Sondergesetze zulässigen Zwangsmaßnahmen seien, durch die Voraussetzung des zusätzlichen Vorhandenseins der sogenannten Selbst- oder Fremdgefährdung sogenannt psychisch Kranker, BRK-konform. [6]
Zwang werde also nicht ausgeübt wegen der psychischen Erkrankung an sich, sondern die mutmaßliche Gefährdung der betroffenen Person oder Dritter rechtfertige die Maßnahme gegen ihren Willen.
Die Normen der UN-BRK, wie es auch im Vertragstext steht, sind in Zusammenhängen zu betrachten. Einer der entscheidenden Beschlüsse des BVerfG 2011 bezieht sich aber in seiner Argumentation nur auf Artikel 12 [7]. Es wären aber noch weitere Artikel der UN-BRK zu nennen.
Art. 15 „Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“.
Abs. 1 Satz 2: „Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.“
Artikel 16 Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch
Abs. 1: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial-,Bildungs- und sonstigen Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wohnung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen.“
Artikel 17 Unversehrtheit
„Jeder Mensch mit Behinderungen hat gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit.“
Artikel 19 Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft
„Menschen mit Behinderungen (sollen) gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen (…)“
Artikel 25 Gesundheit
„Insbesondere:
d) erlegen die Vertragsstaaten den Angehörigen der Gesundheitsberufe die Verpflichtung auf, Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie anderen Menschen angedeihen zu lassen, namentlich auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, indem sie unter anderem durch Schulungen und den Erlass ethischer Normen für die staatliche und private Gesundheitsversorgung das Bewusstsein für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen schärfen.“
Psychiatrischen Zwangsmaßnahmen gelten aber im deutschen Recht und in der psychiatrischen Praxis, wie bereits erläutert und im Gegensatz zu den genannten Artikeln der UN-BRK, als geeignete Maßnahmen der Wiederherstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit und rechtlichen Handlungsfähigkeit.
Der BGH stellt 2015 heraus, dass die medizinische Zwangsmaßnahme als eine „den Betroffenen begünstigende Maßnahme der staatlichen Fürsorge“ [9] zu definieren sei…
Zwangsmaßnahmen als Schutzmaßnahmen für Betroffene zu rechtfertigen, ist aus einer menschenrechtlichen Perspektive, schlicht menschenrechtswidrig. Dies betont auch eindeutig die UN-Sonderberichterstatterin bis Ende des Jahres 2020 Catalina Devandas Aguilar [10].
Auch der UN-Fachausschuss betont, dass gerade das funktionelle Verständnis von Selbstbestimmungfähigkeit, einhergeht mit dem Entzug rechtlicher Handlungsfähigkeit. [8] Das bedeutet: Menschen werden ihre Rechte entzogen. Dabei ist die rechtliche Handlungsfähigkeit unbeugsam.
Rechtmäßigkeit
Die Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit psychiatrischer Zwangsmaßnahmen wird im deutschen Recht durch Gesetze geregelt.
1. BGB Zivilrecht § 1906 und 1906a (mit der anstehenden Reform des Betreuungsrechts werden sich die Nummern der Paragraphen ändern und die Begrifflichkeit „zum Wohl“ gestrichen) [11]
3. StGB § 34 Rechtfertigender Notstand
Das Bundesverfassungsgericht selbst bewertet psychiatrische Zwangsbehandlung und Fixierung als schwerwiegende Verletzung [12] von Art. 2 Abs. 2 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Damit sind Zwangsmaßnahmen massive Eingriffe in die Grundrechte. Jetzt heißt es aber in Artikel 2 GG weiter „In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Diese Gesetze, zum Eingriff in die Grundrechte, hat der Gesetzgeber 2013 und 2017 gerade erst wieder neu geschaffen. Die erwähnten Gesetze legitimieren also, nach deutschem Recht, den Entzug von Grund- und Menschenrechten.
Profession
Welche Personen oder Personengruppen sind berechtigt, Zwang einzufordern, zu genehmigen und auszuüben? Sicherlich zähle ich hier nicht alle Personengruppen auf, zu dem gibt es auf Grund der landesgesetzlichen Regelungen unterschiedliche Konstellationen, beteiligt an der Einleitung von Zwangsmaßnahmen sind aber:
Richter:innen, Betreuer:innen, Ärzt:innen, Ordnungsämter, Polizist:innen, sozialpsychiatrische Dienste, Pflegekräfte und Gutachter:innen
Von all diesen Berufen ist ständig zu hören: zu wenig Geld, zu wenig Zeit. „Eingriffe in die Grundrechte dürfen aber in keinem Fall der Kompensation von Versorgungsdefiziten dienen, wobei die BRD als verhältnismäßig reiches Land entsprechend hohe sozial- und behindertenpolitische Standards erfüllen muss„, so auch der UN-Fachausschuss. [13]
Trotz vieler Konzepte, Programme, Forschungsprojekte, Aktionspläne, viel Geld im System allgemein … gibt es nach wie noch nicht einmal vergleichbare, bundesweite Zahlen zur Häufigkeit und zu Anlässen von Zwangsmaßnahmen [14] [15]. Die Anzahl der Betten in klinischen, psychiatrischen Einrichtungen ist nach wie vor hoch [16] , ebenso die Zahl von Betreuungen und Diagnosen [17]. Verordnungen von Psychopharmaka steigen ständig [18]. Und generell kommt es zu mehr Berentungen durch sogenannte psychische Krankheiten [19]. Aufgrund der Chronifizierung psychischer Probleme, aufgrund von Rezeptorenveränderungen, Toleranzbildung und vermutlich Tachyphylaxis (d.h. trotz Dosiserhöhung ausbleibende Wirksamkeit von Psychopharmaka) steigen auch die Zahlen verabreichter Elektroschocks [19a].
Wieso sind die Forderungen nach Menschenrechten und innovativen Ideen so unwirksam? Ich kann es nur erahnen. Ich halte es für extrem wichtig, Gelder umzuverteilen und sinnvoller einzusetzen, Forschungsprojekte mit wirkungsvoller Betroffenenbeteiligung zu fördern (die wirkliche Alternativen zur Ausübung von Zwang etablieren und mit dem Ziel Zwang abzuschaffen), Projekte von Betroffenenorganisationen und Angebote der Selbsthilfe und Selbstvertretung barrierearm finanziell und strukturell zu unterstützen. [19b]
Meine größte Angst bei der Idee vielleicht mal wieder Verrücktheitserfahrungen zu machen, ist, nach wie vor, wieder in einer psychiatrischen Einrichtung zu landen und nicht die Verrücktheitserfahrung selbst. Ich würde immer noch Psychopharmaka verweigern. Dieser Wunsch und dieses Recht, hat meinen bisherigen Erfahrungen nach, aber dazu geführt, dass diese Maßnahmen gegen meinen Willen durchgeführt wurden, legitimiert durch das gegenwärtige Psychiatrierecht.
Was wünsche ich mir also auf einer menschlichen Ebene und damit komme ich zur Haltung.
Haltung
Üblich heißt es:
Ein Mensch kann auf Grund seiner psychischen Krankheit nicht frei entscheiden. Er zeigt keine Einsicht, dass er eine Krankheit hat. Weil er krank ist, kann er nicht verstehen, was gut für ihn ist. Würden Sie gesagt bekommen wollen, was gut für Sie ist? Würden Sie wollen, dass Sie jemand zwingt ein Leben lang Psychopharmaka zu nehmen? Wenn sie ihre Krankheit nicht einsehen, sind sie krankheitsbedingt einsichtsunfähig, wenn sie ihre Krankheit einsehen, müssen sie sich mit den Folgen anfreunden, Psychopharmaka nehmen und ihre Selbstbestimmung aufgeben. Ein Teufelskreis.
Das habe ich selber erlebt. Meiner 220 Seiten starken Behandlungsakte ist zu entnehmen und jetzt wortwörtlich: „nach der Fixierung war Frau Lippert bereit, die Medikamente zu nehmen.“ Es wurde sogar dokumentiert, wie mir Psychopharmaka aufgezwungen wurden. Eine äußere Instanz entzieht mir meine Selbstverantwortung und entscheidet über kurz oder lang für mich und mein vermutetes „Wohl“.
„Die individuelle Autonomie und die Fähigkeit von Menschen mit Behinderungen, Entscheidungen zu treffen, müssen aber jederzeit, auch in Krisensituationen, geachtet werden.“ [20] So auch der UN-Fachausschuss.
Klar ist viel Geduld und Engagement von Nöten, um Eskalationspotentiale zu entspannen. Wenn es die beruflichen Rahmenbedingungen nicht hergeben, müssen auch Mitarbeitende für ihre Rechte kämpfen. Auch sie müssen für ihre Rechte auf faire Arbeit einstehen. Vorgesetzte müssen ihre Mitarbeitenden schützen und ihre Mitarbeitenden stärken neue Wege zu gehen. Aus unseren Projekten weiß ich, dass auch innovative, engagierte Mitarbeitende hier immer wieder auf Granit stoßen.
Abschluss-Bemerkungen
Manchmal muss ich zusehen, nicht in Verzweiflung zu versinken. Angesichts der derzeitigen Entwicklung fällt mir das nicht leicht. Kostenersparnis und Ökonomisierung haben schon lange im Gesundheitssystem Einzug gehalten und alle – außer den Entscheidungsträger:innen, den Pharmafirmen und Aktionär:innen – kommen unter die Räder, selbst professionell Tätige. Um die angedeuteten Widersprüche aufzulösen, bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Eines Aufschreis. Eines Paradigmenwechsels.
Ich möchte mit einem Zitat aus einem Gutachten im Auftrag des Komitees für Grundrechte und Demokratie anlässlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 in Sachen Zwangsbehandlung enden:
„Gewalt- oder Zwangsgebrauch mag auf den ersten, naiven, also unerfahrenen Blick punktuell begrenzbar erscheinen. Der Blick trügt. Das Gewaltmittel durchdringt die Sicht der Wirklichkeit. Es wird Teil des Habitus, mit Problemen umzugehen. Dessen an erster Stelle, der zwingt oder Zwang gestattet. Und Zwang verletzt die Personen, die behindert sind. (…) Wenn Sicherheit nicht human, sozial und kontextspezifisch relativ gefasst wird, sondern Sicherheit risikolos garantiert werden soll, dann stehen Menschen als humane Störfaktoren zur Disposition. An erster Stelle trifft das Menschen, die a-normal zu sein scheinen, obgleich sie zumeist in ihren Behinderungen von der jeweils herrschenden Normalität produziert worden sind.“ [21]
Julia Lippert. Diagnose: „Mensch mit Idealen“, keine Heilung gewünscht