Menu Close

Rolle rückwärts bei Barrierefreiheit in Nordrhein-Westfalen?

Wappen Nordrhein-Westphalen
Wappen Nordrhein-Westphalen
Foto: Gemeinfrei, public domain

Düsseldorf (kobinet) Während sich behinderte Menschen auf Bundesebene für ein gutes Barrierefreiheitsgesetz einsetzen und auf die entsprechenden Regelungsvorschläge der Bundesregierung warten, bahnt sich in Nordrhein-Westfalen eine Rolle rückwärts in Sachen Barrierefreiheit an. Die geplante Novelle der Landesbauordnung führe nach Ansicht eines Bündnisses von Behindertenverbänden nicht zu den dringend nötigen Verbesserungen für dringend gebrauchte barrierefreie Wohnungen, sondern zur Absenkung der Standards.

Gemeinsam fordert daher in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis verschiedener Organisationen von der nordrhein-westfälischen Landesregierung endlich ein klares Bekenntnis zur Barrierefreiheit im Wohnungsbau. Zu viele ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen in NRW leben nach Ansicht der Verbände in Wohnungen, die nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Beim Bau der erforderlichen Wohnungen hinke das bevölkerungsreichste Bundesland hinterher. „Die Landesregierung muss den barrierefreien Wohnungsbau daher im Eiltempo und mit Entschlossenheit vorantreiben, um den Bedarf zumindest perspektivisch zu decken. Die geplante Novelle der Landesbauordnung führt stattdessen zu einer Absenkung der Standards“, heißt es in einer Presseinformation des Bündnisses.

Laut der geplanten Novellierung der Landesbauordnung 2018 in Nordrhein-Westfalen sollen Wohnungen zukünftig nur noch „im erforderlichen Umfang“ barrierefrei sein. Die Einfügung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs würde laut der Verbände zu erheblicher Unsicherheit führen, da völlig unklar ist, was mit dem Begriff gemeint ist. Wohl auch deshalb haben weder die Musterbauordnung noch die Bauordnungen anderer Bundesländer diese Formulierung in Bezug auf barrierefreie Wohnungen eingeführt. Nordrhein-Westfalen würde damit einen Sonderweg beschreiten, der vor allem zu Lasten von älteren und behinderten Menschen ginge.

Ein Absenken des Standards auf einen „erforderlichen Umfang“ wäre eine offenkundige Abkehr vom Ziel des barrierefreien Wohnungsbaus auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt. Es ist für die Verbände nicht hinnehmbar, dass zukünftig nur noch „wesentliche Barrieren“ im Wohnungsbau vermieden werden sollen. Eine Abstufung zwischen wesentlichen und weniger wesentlichen Barrieren würde der Lebensrealität von behinderten Menschen nicht gerecht werden. Vielmehr wäre damit eine weitere Verschlechterung bei der Wohnungssuche für all diejenigen, die barrierefreie Wohnungen benötigen, verbunden. Denn was für den einen gar keine oder nur eine kleine, leicht zu überwindende Barriere ist, stelle für den nächsten eine unüberwindliche Barriere dar. Die sowieso schon bestehenden Wettbewerbsnachteile wohnungssuchender Menschen mit Behinderungen auf einem angespannten Wohnungsmarkt würden sich noch weiter verschärfen und der Mangel an barrierefreiem Wohnraum endgültig zu einem individuellen Problem umgedeutet, für dessen Lösung der Staat nicht verantwortlich ist.

Nach der aktuellen Wohnungsmarktprognose des Landes Nordrhein-Westfalen müssten bis 2040 672.320 „altersgerechte“ Wohnungen neu entstehen, ob durch Neubau oder Bestandsmaßnahmen. Gemessen am gesamten prognostizierten Neubaubedarf von knapp über einer Millionen Wohnungen wären dies zwei Drittel aller Wohnungen. Anders ausgedrückt: von 2018 bis 2040 müsste die Mehrheit aller neu errichteten Wohnungen barrierefrei sein. Die Realität hingegen sehe anders aus. Die Ergebnisse des Mikrozensus 2018 zeigten, dass seit 2011 nur 18 Prozent aller Wohnungen in dieser Art und Weise errichtet wurden. Wenn man dann auch noch beachte, dass die Wohnungsmarktprognose die Bedarfe von Menschen mit Sinnesbehinderung, die gerade unter älteren Menschen sehr verbreitet sind, völlig außer Acht lässt, werde deutlich, wie hoch der Bedarf an barrierefreien Wohnungen in Nordrhein-Westfalen wirklich ist – für ältere Menschen ebenso wie für behinderte Männer und Frauen, mit oder ohne Familie. Die Erkenntnisse der Wohnungsmarktprognose 2040 müssten daher als dringender Appell für eine Kehrtwende beim barrierefreien Wohnungsbau gewertet werden. „Wir fordern die Landesregierung auf, in der Landesbauordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass zukünftig Wohnungen im Neubau generell barrierefrei gemäß der Definition von Barrierefreiheit gebaut werden“, heißt es in der gemeinsem Erklärung der folgenden Verbände: Arbeiterwohlfahrt NRW, Blinden- und Sehbehinderten Verband Nordrhein e.V. (BSVN), Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen e.V. (BSVW), Caritas in NRW, Caritasverband für die Diözese Münster e. V., Der Paritätische NRW, Deutscher Mieterbund NRW e.V., DGB Bezirk NRW, Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V., LAG Selbsthilfe NRW e.V , LAG Wohnberatung NRW, Landesverband Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben NRW e.V., Landesseniorenvertretung NRW e. V., LBR NRW, Lebenshilfe NRW e.V., MOBILE „- Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V., Neues Wohnen im Alter e.V. – auch als Regionalstelle des Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V., PRO RETINA Deutschland e.V., Sozialverband Deutschland Landesverband NRW, Sozialverband VdK NRW e.V., WohnBund-Beratung NRW GmbH.