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Wenn Worten Taten folgen

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul
Foto: Franziska Vu - ISL

Kassel (kobinet) kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul hat sich in dieser Woche einige Nächte um die Ohren geschlagen, um die politischen Entwicklungen in den USA intensiv zu verfolgen. Nach dem Wahlsieg der demokratischen Senatskandidat*innen in Georgia treiben ihn vor allem noch die Ereignisse bei der Erstürmung des Kapitols und der damit verbundene Versuch, demokratische Prozesse gewaltsam aufzuhalten bzw. zu verhindern, um. In seinem kobinet-Kommentar geht er u.a. der Frage nach, wie Worten Taten folgen und was das für uns bedeutet.



Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Wir kennen die Mahnungen zu genüge, die uns die Geschichte bereits ins Stammbuch geschrieben hat und die sich mit „Wehret den Anfängen“ wohl am besten auf den Punkt bringen lassen. Und wir mussten immer wieder erleben, dass Worten des Hasses und der Ausgrenzung auch entsprechende Taten folgen können. Taten, die gerade auch behinderte Menschen missachten, diskriminieren und sogar deren Leben gekostet haben. Die erschreckenden Ereignisse bei der Erstürmung des US-amerikanischen Kapitols in Washington zeigen meiner Meinung nach erneut auf erschreckende Weise, wie schnell es in einer vermeintlich demokratischen Gesellschaft gehen kann, dass diese in ihren Grundfesten erschüttert und massiv bedroht wird. Sie zeigen aber auch, wie wichtig es ist, dass wir demokratiefeindlichen Tendenzen massiv entgegentreten und uns so manchen Worten des Hasses konsequent entgegenstellen müssen.

Als jemand, der fast 18 Monate in den USA gelebt hat, selbst bei Anhörungen zum Americans with Disabilities Act im Kapitol war und das Unwesen von Donald Trump seit seinem Wahlkampf vor vier Jahren intensiv und mit fortwährendem Schrecken verfolgt, klebte ich diese Woche sozusagen vor dem Fernseher und vor allem vor der aktuellen Berichterstattung von CNN. Freute ich mich nach der ersten Nachtschicht zur Wahl der noch ausstehenden beiden Senatsposten in Georgia, dass die Demokraten gegen die Republikaner und damit auch gegen Donald Trump gewonnen haben und nun hoffentlich eine bessere Politik vor allem auch im Umgang mit der Corona-Pandemie gestalten können, kam das Entsetzen sozusagen auf dem Fuße.

Donald Trump und seine besessenen Unterstützer*innen zeigten, welcher Hass und welche verquere Wahrnehmung der Realität sie antreibt. Aufgehetzt von einem Präsidenten, der hauptsächlich mit sich, seinem Egoismus und unersättlichen Machtstreben besessen zu sein scheint, während weitere tausende Menschen in den USA täglich an deb Folgen der Corona-Pandemie sterben und viele Krankenhäuser kaum mehr der Lage Herr werden, setzten seine Anhänger zu einem Putsch an und stürmten den Sitz der beiden Parlamentskammern der USA. Vor allem schafften sie es anscheinend mit Leichtigkeit in äußerst gewalttätiger Art ins tiefste Innere des Kapitols vorzudringen und dort ihr verheerendes Unwesen für Stunden zu treiben. Abgeordnete mussten flüchten und sich verbarrikadieren, nicht wissend, was angesichts der Bewaffnung einiger Eindringlinge passieren wird, bzw. kann. Obwohl dieser terroristische Akt schon fünf Menschenleben gekostet hat und einige Personen verletzt wurden, kann man sich ausmalen, was noch alles hätte passieren können, vor allem im Hinblick darauf, dass nur wenige Blocks entfernt ein Auto mit selbstgebastelten Brandbomben und einer Reihe Gewehren abgestellt war. Zudem waren auch einige mit Waffen ins Kapitol eingedrungen.

In mir kamen da einige Erinnerungen hoch, die ich im Geschichtsunterricht gelernt habe, aber auch Szenen aus den letzten Monaten, die gar nicht so weit weg sind. Hätten die Gewalttäter es geschafft, das Kapitol in Brand zu setzen, die Stimmen zur Präsidentschaftswahl zu verbrennen oder Abgeordnete als Geiseln zu nehmen, bzw. zu verletzen oder gar zu töten, hätte der Amtsantritt von Joe Biden leicht verzögert bzw. vielleicht sogar tatsächlich verhindert werden können. Zumal Donald Trump ím Hintergrund ohnehin wenig Interesse hatte, die Vorgänge schnell zu beenden, zu denen er vorher bei der Kundgebung seiner Fans förmlich aufgerufen hatte. Er hätte in einer solchen Situation wahrscheinlich den Notstand ausrufen können und die nötigen demokratischen Prozesse zur Amtsübergabe enorm behindern können. So weit ist es zum Glück nicht gekommen, aber ausmalen kann man sich einiges, vor allem bei all den Lügen und Falschinformationen, die bereits von diesem leider Noch-Präsidenten verbreitet wurden.

Und damit sind wir bei uns. Erinnern wir uns an die Szenen am Rande der Corona-Demonstration in Berlin als einige die Treppen des Reichstags erstürmt haben. Erinnern wir uns an die Bedrohungen von Abgeordneten, die im Reichstag erfolgten, nachdem AfD-Abgeordnete Demonstrant*innen mit hineinnahmen. Erinnern wir uns daran, wie Hitler die Macht übernommen hat und wie ihm dabei der Reichstagsbrand in die Hände spielte. Und erinnern wir uns an die Folgen solcher hassgeleiteten Putsche, wie wir diese schon in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten und zum Teil mit fatalen Folgen für die Menschen erleben mussten. Jede*r sollte sich also gut überlegen, mit wem er zusammen auf die Straße geht und demonstriert. Denn in den USA war es u.a. diese brisante Mischung aus Rechtsradikalen, die voranpreschten und den vielen, die folgten und mitgemacht haben.

Auch wenn wir in Deutschland derzeit „noch“ recht stabile politische Verhältnisse haben, können wir fast täglich verfolgen, wie schnell es ging, dass rechte undemokratische Kräfte den Einzug in die Parlamente mit menschenfeindlichen Parolen geschafft haben und welches unselige Treiben sie mittlerweile entwickeln konnten. Täglich können wir auch beobachten, welche Verschwörungstheorien von Menschen mit vollster Überzeugung aufgegriffen werden, von denen man das nie gedacht hätte und welche Energie diese Leute entfalten können. Und da ist auch der enorme Hass, der von solchen Menschen freimütig und mit vollster Überzeugung, ähnlich wie von so manchen Trump-Fans, verbreitet wird. Ein Gift, das auch bei uns schon tief in die Gesellschaft eingedrungen ist und wir so schnell wahrscheinlich nicht mehr loswerden. Oftmals sind ernsthafte Diskussionen aufgrund der vielen Falschinformationen und festgefahrenen Denkweisen mit diesen Personen ja kaum mehr möglich.

Deshalb dürfte es in diesen Tagen Sinn machen, sich etwas Zeit zu nehmen und verstärkt darüber nachzudenken, wie wir mit den vielen hasserfüllten Worten und Falschinformationen, die durch die sozialen Medien und so manche Gespräche schwirren, umgehen. Denn gerade behinderte Menschen und ihre Angehörigen haben allen Grund zur Besorgnis angesichts der immer noch tief verwurzelten Behindertenfeindlichkeit bzw. Ausgrenzung in unserer Gesellschaft. Besonders die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen und Verunsicherungen, die die Corona-Pandemie bereits bewirkt hat, bzw. aufgrund der enormen finanziellen Belastungen noch bringen werden, müssen wir auf der Hut sein. Im Wahljahr 2021 wird dabei vielleicht noch einiges unter den Tisch gekehrt, das dann aber nach dem Kassensturz der zukünftigen Regierung sicherlich in irgendeiner Art und Weise auf den Tisch kommen wird. Und wie wenig das Leben bzw. die Selbstbestimmung behinderter Menschen gelten kann, das können wir uns anhand so mancher Erfahrung leicht vorstellen. Wehren wir uns also gegen die hasserfüllten Worte bevor sie zu Taten werden.