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Teilhabe geht anders!

Porträt von Dr. Sigrid Arnade
Dr. Sigrid Arnade
Foto: Birgit Maaßen

Berlin (kobinet) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Behindertenverbände noch kurz vor Weihnachten mit dem Referentenentwurf für ein Teilhabestärkungsgesetz "beglückt". Die Sprecherin der LIGA Selbstvertretung Dr. Sigrid Arnade hat trotz äusserst kurzfriger Zeit zur Stellungnahme der Verbände schon einmal in den Referentenentwurf reingeschaut und auch eine Meinung dazu, die sie in ihrem Kommentar für die kobinet-nachrichten zum Ausdruck bringt.

Kommentar von Dr. Sigrid Arnade zum Teilhabestärkungsgesetz

Es wirkt schon fast zynisch, dass ein Gesetzentwurf mit dem vielversprechenden Namen „Teilhabestärkungsgesetz“ der Zivilgesellschaft zur Stellungnahme in einer Weise vorgelegt wird, die echte Teilhabe unmöglich macht: Wegen der Corona-Pandemie rät die Kanzlerin über Weihnachten/Silvester 20/21 zu Betriebsferien, die meisten Bürger*innen bleiben im engsten Familienkreis zu Hause. Gerade wird der Tannenbaum geschmückt, da platzt am 22. Dezember der Gesetzentwurf herein, in korrigierter Form erst am 23. Dezember. Wenn die laut Gemeinsamer Geschäftsordnung (GGO) der Bundesregierung angestrebte Rückmeldefrist von mindestens vier Wochen gegeben wäre, ließe sich das notfalls verschmerzen. Nicht aber mit einer Frist bis zum 8. Januar 2021. Wer soll sich da wann mit dem Werk auseinandersetzen, wie sollen verbandsinterne Absprachen stattfinden?

Die Botschaft ist eindeutig: „Eure Meinung interessiert uns nicht. Deshalb haben wir es so eingefädelt, dass ihr sie nicht äußern könnt“. Wir schlagen angesichts dieser Teilhabeverhinderungsstrategie einen passenderen Namen für das Gesetzeswerk vor: Politikverdrossenheit-Stärkungsgesetz (PVSG).

Dagegen sind die Inhalte des Gesetzeswerks teilweise durchaus begrüßenswert: So wird der leistungsberechtigte Personenkreis in der Eingliederungshilfe geregelt, ebenso die Begleitung behinderter Menschen durch Assistenzhunde, das Budget für Ausbildung wird erweitert, der Terminus Gewaltschutz findet Eingang ins SGB IX.

Auffällig ist jedoch das, was fehlt: Am diesjährigen UN-Welttag der Menschen mit Behinderungen versprach Minister Hubertus Heil am 3. Dezember 2020 vollmundig, die Ausgleichsabgabe für beschäftigungspflichtige Unternehmen, die nicht einen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, zu verdoppeln. Das würde zwar niemanden wirklich schmerzen, denn auch die doppelte Ausgleichsabgabe würde die Mehrzahl der betroffenen Unternehmen aus der Portokasse entrichten, aber es wäre ein schönes Zeichen. Entsprechend ließ sich der Minister am 3. Dezember feiern.

Man muss kein Politik-Profi sein um zu wissen, dass die SPD als Juniorpartnerin in einer Koalition mit einer ausgesprochen arbeitgeberfreundlichen Partei regiert. Also wird Minister Heil seinen Plan ja wohl mit dem Koalitionspartner abgesprochen haben, bevor er ihn verkündet, sollte man meinen. Hat er vielleicht auch vorgehabt, aber dann doch vergessen? Dumm gelaufen: reine Schaufensterpolitik also?

Bei den behinderten Menschen soll es ja noch einige SPD-Anhänger*innen gegeben haben. Sollen die auch noch vergrault werden? Vielleicht sollte man das Gesetz daher besser als SPD-Schwächungsgesetz (SSG) bezeichnen.

Teilhabe geht jedenfalls anders!

Lesermeinungen

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4 Lesermeinungen
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Arnd Hellinger
02.01.2021 17:06

Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, diesen Referierendenentwurf irgendwo als PDF oder HTML-Dokument zwecks Einsichtnahme zu beziehen?

Arnd Hellinger
01.01.2021 23:08

Man kann als Verband allerdings auch einfach die Bearbeitenden im BMAS zunächst auf die ungünstig gewählte Frist sowie die Gemeinsame Geschäftsordnung der BReg hinweisen und um Verlängerung bzw, Neufestsetzung bitten. Möglicherweise handelt es sich beim „6. Januar 2021“ ja um einen Tippfehler und es ist real der 16, oder 26, gemeint..?

svendrebes
Antwort auf  Arnd Hellinger
02.01.2021 11:19

Wenn das das erste Mal wäre, könnte man das denken und tun. Derartige Anhörungsverfahren sind bei vielen Ministerien aber eher die Regel als die Ausnahme…

Arnd Hellinger
Antwort auf  svendrebes
02.01.2021 16:57

Trotzdem kann es nicht schaden, als anzuhörender Verband einmal offiziell beim BMAS nachzufragen und gleichzeitig unter Hinweis auf Feiertage, hohen Krankenstand oder ggf. auch Resturlaub um Fristverlängerung zu bitten, oder?

Bei dieser Gelegenheit könnte man dann auch um Mitteilung ersuchen, welchen Sinn es denn haben soll, sich erst eine (gemeinsame) Geschäftsordnung zu geben, sich anschließend jedoch um Einhaltung derselben nicht mehr sonderlich zu bemühen. Sofern dahinter tatsächlich System mit dem Ziel des Ausbootens der Verbände steckt, könnte auch angezeigt sein, dieses gewissen in einer badischen Residenzstadt ansässigen Damen und Herren mit der Bitte um Beurteilung zur Kenntnis zu geben…