Menu Close

Wie geht’s Christian Bayerlein?

Christian Bayerlein
Christian Bayerlein
Foto: BJOERN LUBETZKI

Koblenz (kobinet) Passend zum Tag der Arbeit sieht Christian Bayerlein in den vorgeschlagenen Regelungen der Bundesregierung für eine Bonuszahlung für Pflegekräfte hauptsächlich Symbolpolitik. Bei genauem Hinschauen hat der in Koblenz lebende Aktivist der Behindertenbewegung und Arbeitgeber seiner Assistent*innen nämlich festgestellt, dass die Regelungen nur für die Altenpflege und nicht für die Pflege und Assistenz in der Behindertenhilfe vorgesehen sind. Diese und weitere Gedanken von Christian Bayerlein sind im Interview zu lesen, das kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul mit ihm geführt hat.

kobinet-nachrichten: Wie geht es Ihnen in Zeiten der Corona-Pandemie und wie sieht derzeit Ihr Alltag aus?

Christian Bayerlein: Mir geht es den Umständen entsprechend sehr gut. Natürlich hat sich einiges verändert, aber im Großen und Ganzen komme ich gut zurecht und habe mich in der Situation mit Corona eingerichtet. Als Beschäftigter im öffentlichen Dienst bin ich froh, ein gesichertes Einkommen zu haben. Meine Arbeit mache ich in dieser Zeit im Home-Office und ich nehme natürlich an den Social Distancing Maßnahmen teil. Meine Freundin und ich sind viel in der Natur unterwegs und nutzen die leeren Straßen und Wege für Ausflüge mit Rollstuhl und Fahrrad.

kobinet-nachrichten: Was beschäftigt Sie in dieser ungewöhnlichen und herausfordernden Zeit besonders?

Christian Bayerlein: Da gibt es vieles. Am Anfang stand natürlich der persönliche Schutz und diese Zeit war auch sehr von Ängsten geprägt. Ich bin froh, dass unsere Regierung konsequent gehandelt hat und die Zahlen der neuen täglichen Infektionen nun abnehmen. So manche politische Diskussion bereitet mir dennoch Sorgen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, ob man Gesundheit und Leben mit wirtschaftlichen Interessen verrechnen kann. Auch die Diskussion um die Triage fand ich sehr belastend. Zwar habe ich das Gefühl, dass die Gefahr einer solchen Situation dank des schnellen Eingreifens mittlerweile relativ klein geworden ist, aber trotzdem hat es wieder einmal meinen Verdacht bestätigt, wie wenig Medizin und Politik vom sozialen Modell von Behinderung wissen und wie sehr das Bild von Behinderung doch durch Assoziationen wie Krankheit oder gar Gebrechlichkeit geprägt ist.

kobinet-nachrichten: Sie leben mit Persönlicher Assistenz in ihrer eigenen Wohnung. Wie gestaltet sich das in Corona-Zeiten?

Christian Bayerlein: An meinem Leben mit Assistenz selbst hat sich relativ wenig geändert. Ich bin froh, dass meine Assistenten und Assistentinnen alle sehr verantwortungsvoll und bewusst mit der Situation umgehen und ebenfalls Sozialkontakte meiden. Sie sind sich meines höheren Risikos durchaus bewusst und handeln dementsprechend auch in ihrer Freizeit. Ich habe den Dienst mal etwas angepasst, sodass ich das Risiko etwas minimiere, bei meinen Assistenten einen infektiösen Zeitpunkt zu erwischen. D. h. die Dienste sind jetzt etwas komprimierter. Allgemein bin ich sehr froh, mit Persönlicher Assistenz leben zu können. Wenn ich mir die Situation in Heimen ansehe, wo viele Menschen zusammenleben und von ständig wechselndem Personal gepflegt werden, was auch noch überschneidende Schichten hat und wie leicht ein Virus dort ausbrechen kann, dann schätze ich mein Risiko glücklicherweise als viel geringer ein. Ich finde, daraus sollten wir auch gesellschaftlich lernen und für mehr Ambulantisierung kämpfen.

kobinet-nachrichten: Pflegekräfte wurden anfangs in der Krise beklatscht und bejubelt und die Bundesregierung will nun ja auch, dass eine Pauschale an Pflegekräfte gezahlt wird. Was halten Sie davon?

Christian Bayerlein: Ich begrüße es sehr, dass Pflegekräfte momentan viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren. Es ist richtig, dass diese Berufsgruppe endlich als systemrelevant erkannt wurde. Ich habe nur etwas Bedenken, dass das Klatschen und Jubeln zu einem Alibi wird und von einem größeren Problem ablenkt: Die Pflege gehört schon seit je her zu den unterbezahlten Jobs. Größtenteils verdienen Assistenten und Assistentinnen nur Mindestlohn. Das hat viele gesellschaftliche Gründe, unter anderem sexistische, weil diese Art von Arbeit hauptsächlich von Frauen geleistet wird. Aber auch die bis vor Corona schlechte Wertschätzung solcher Tätigkeiten spielen dabei eine Rolle. Und nicht zuletzt der Sparzwang der Kostenträger ist ebenfalls maßgeblich.

Meine Assistenten und Assistentinnen leisten hervorragende Arbeit und sind in der Zeit der Krise außerordentlich flexibel. Sie haben außerdem ein erhöhtes gesundheitliches Risiko, weil Schutzmaßnahmen, wie etwa Abstandsregeln, in der persönlichen Assistenz nicht möglich sind.

Nun habe ich mich gestern zunächst sehr gefreut, als ich in den Nachrichten gehört habe, dass unser Gesundheitsminister Spahn ein Kabinettsentwurf auf den Weg gebracht hat, um Pfleger und Pflegerinnen einen Sonderbonus in Höhe von bis zu 1000 € zu gewähren. Leider war ich dann doch etwas enttäuscht, als ich die Details auf den Seiten des Ministeriums gelesen habe. Leider geht es nur um Pfleger und Pflegerinnen in der Altenpflege, Behindertenpflege wird komplett außen vor gelassen, obwohl diese genauso betroffen sind. Das gilt auch für viele Menschen, die ihre Assistenz im Rahmen des Arbeitgebermodells organisieren. Diese fallen komplett unter den Tisch.

Alles in allem sieht das nach einer Maßnahme aus, die zwar in den Medien gut klingt und ich gönne den Beschäftigten in der Altenpflege diese finanzielle Entlastung von ganzem Herzen. Die Maßnahme ist aber nicht wirklich ausreichend wirksam und sinnvoll, sondern greift zu kurz. Mit anderen Worten: Symbolpolitik.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären das?

Christian Bayerlein: Zum einen hoffe ich, wie wahrscheinlich fast alle Menschen, dass diese Pandemie bald vorbei oder wenigstens gut für alle beherrschbar ist. Zum anderen hoffe ich, dass wir nicht das, was wir in Sachen Inklusion erreicht haben, durch utilitaristisch geprägte Debatten wieder verlieren. Ich hoffe aber auch, dass wir durch die Krise viel lernen und die Chancen, die sie uns bietet, nutzen. Zum Beispiel finde ich die Möglichkeit von Online-Konferenzen hervorragend und teilweise viel barrierefreier, als irgendwo vor Ort präsent sein zu müssen. Aber auch die Erkenntnis von Pflege als systemrelevanter Tätigkeit sollten wir uns bewahren und vielleicht sogar weiterentwickeln. Auch die Erfahrung, dass Heime für behinderte und alte Menschen keine Schutzräume, sondern Orte der Gefahr sind, sollten wir für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung nutzen. Ein letzter Gedanke: momentan wird ja viel davon geredet und gefordert, dass die Hilfen zum Wiederaufbau nach der Krise nachhaltig und ökologisch sein müssen. Das ist richtig und ich unterstütze das sehr. Es ist aber genauso wichtig, dass die Hilfen zum Wiederaufbau auch für mehr Barrierefreiheit und Inklusion sorgen. Das waren jetzt wahrscheinlich mehr als zwei Wünsche, aber ich konnte mich bei Wünschen noch nie wirklich zurückhalten.

kobinet-nachrichten: In dieser Zeit dürfen es gerne auch mal mehr Wünsche sein. Vielen Dank für das Interview.