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Hofgeismar (kobinet) Josef Ströbl vom Vorstand von Mensch zuerst, dem Netzwerk von Menschen mit Lernschwierigkeiten, macht sich gerade in Corona-Zeiten viele Gedanken über das Virus, über sich und andere Menschen mit Lernschwierigkeiten. Vor allem fragt er sich, ob behinderte Menschen diejenigen sind, an die in diesen schwierigen Zeiten zuletzt gedacht wird. Susanne Göbel führte mit Josef Ströbl folgendes Interview für die kobinet-nachrichten.
kobinet-nachrichten: Wie geht es Ihnen in Zeiten von Corona? Wie sieht Ihr Alltag zur Zeit aus?
Josef Ströbl: Erst einmal sieht mein Alltag nicht viel anders aus. Aber es hat sich geändert, wenn ich wo hin gehen muss. Ich kann jetzt nicht einfach einkaufen. In Geschäften muss ich Abstand halten. Das bekomme ich gut hin. Weil ich aber bei vielen Dingen Unterstützung brauche, ist der Kontakt jetzt abgebrochen. Ich muss Abstand halten, um andere nicht zu gefährden. Zum Beispiel: Mein Pflegedienst kommt weiter, aber sie ziehen mir nur die Diabetes-Spritzen auf. Spritzen muss ich selber. Und beim Betreuten Wohnen ist es so: Die können für mich einkaufen. Aber es ist schwieriger, wenn ich einen wichtigen Brief bekomme und eine Frage habe, dann stehe ich auf dem Schlauch. Da haben wir noch keine gute Lösung. Außerdem komme ich auch mit den technischen Möglichkeiten nicht zurecht. Ich habe die Technik, aber ich brauche doch vor Ort Unterstützung für die Technik.
kobinet-nachrichten: Was beschäftigt Sie in dieser Zeit besonders?
Josef Ströbl: Das dreht sich alles: 1.000 Gedanken drehen sich im Kopfe rum. Über Corona, über Familie, Bekannte, Arbeit. Ich versuche mir keine großen Sorgen zu machen – aber das klappt nicht immer. Zum Beispiel meine Erkrankungen von vorher: da will ich eigentlich nicht dran denken, aber je mehr ich versuche, nicht daran zu denken, um so mehr merke ich, dass mir das gesundheitlich nicht gut tut und mir nicht gut geht.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie an andere Menschen mit Lernschwierigkeiten denken, wo sehen Sie da derzeit Probleme?
Josef Ströbl: Ich denke, für sie ist es ganz ganz besonders schwer, um das zu verstehen: Was ist Corona? Warum sind Kontakte weg? Warum können sie nicht arbeiten gehen? Man will ja die Wahrheit sagen, aber manchmal tut die Wahrheit ja eben weh. Man hat große Sorge um Menschen. Zum Beispiel sagt man: „Setz‘ die Maske auf.“ Ich selber rmerke: Wenn ich mit anderen Menschen mit Lernschwierigkeiten rede, ist es schwer. Wie sage ich das richtig? Ich will sie ja nicht bevormunden. Aber ich will erklären, dass es wichtig ist, die Dinger aufzusetzen.
Wenn ich weiter denke, die Öffentlichkeit, die Wirtschaft – alle schreien: Wir brauchen Hilfe und Unterstützung. Und die Politik sagt: Wir müssen auch Hilfe geben. Meine große Sorge: Was ist dann mit uns? Sind wir dann wieder die letzten, an die man denkt? Und wie ist es mit der Medizin und Versorgung, die wir brauchen? Ich habe Angst, dass die Ärzte jetzt entscheiden müssen, wer leben darf und wer sterben muss, wenn nicht genug Versorgung für alle da ist.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären das?
Josef Ströbl: Ich wünsche mir, dass wir aus dieser schweren Zeit lernen. Wir sollten uns zum Beispiel genau anschauen: Brauchen wir wirklich die ganzen Dinge? Brauchen wir wirklich alle Autos? Was ist mit der Umwelt? Der geht es gerade besser. Und brauchen wir unsere Mitmenschen, meinen Nachbarn nicht mehr? Da fällt mir so ein Spruch ein: Durch Abstand zusammen rücken!
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.