Bordelum / Dörpum (kobinet) Thomas Koritz wäre in diesen Tagen normalerweise als Sprecher für Gesundheitspolitik der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) viel unterwegs. Coronabedingt agiert er wie viele derzeit aber von Nordfriesland aus, wo er lebt und seine Mutter mitpflegt, hauptsächlich per Telefon bzw. Webkonferenzen. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul hat nachgefragt, wie es ihm geht und was er in Sachen Assistenz und Pflege derzeit wichtig findet.
kobinet-nachrichten: Wie geht es Ihnen in Zeiten der Corona-Pandemie? Wie hat sich Ihr persönliches Leben konkret verändert?
Thomas Koritz: In Nordfriesland sind wir durch die ländliche Lage und den fehlenden Tourismus weit ab vom Trubel um Corona, natürlich gelten die Regeln auch für uns, sind aber nicht so präsent. Aber die Angst vor Corona, auch als Risikopatient, ist da. Mein Leben ist viel ruhiger geworden, aber gerade das ist das Problem, mir fehlen die wöchentlichen Reisen nach Berlin, zum Gemeinsamen Bundesausschuss, zu den Kollegen. Das findet alles per Videokonferenz statt, die zum einen sehr anstrengend sind und zum andern den persönlichen Kontakt auch nicht ersetzen können.
kobinet-nachrichten: Welche Fragen treiben Sie derzeit in Ihrem direkten Umfeld besonders um?
Thomas Koritz: Das ist schon die Angst an Corona zu erkranken und die Frage was dann? Ich pflege mit meiner Schwester und meinem Schwager zusammen meine Mutter. Wir sind deshalb vor 3 Jahren zusammengezogen. Wir sind alle schwerbehindert und gehören zu der Risikogruppe. Eigentlich hilft uns ein Pflegedienst, den haben wir aber, um das Risiko zu minimieren, abgesagt.
kobinet-nachrichten: Als Sprecher für Gesundheitspolitik der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) haben Sie bestimmt Themen, die Ihnen derzeit in Sachen Gesundheit und Pflege besonders auf den Nägeln brennen. Welche sind das?
Thomas Koritz: Im Vordergrund steht für mich zurzeit die Situation der selbst organisierten Pflege! Dabei geht es zum einen um die Pflege und Assistenz im Arbeitgebermodel, aber auch um den in Klammern größten Deutschen Pflegedienst „die pflegenden Angehörigen“. In den Medien und vor allem der Politik geht es immer um die professionelle Pflege. Um Arbeitsbedingungen, um Überforderung, um Bonuszahlungen und die Versorgung mit Schutzmaterialien. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, die Profis machen einen echt tollen Job und haben all das und auch die Aufmerksamkeit verdient. Aber die Pflegebedürftigen, die Ihre Pflege ohne Einrichtungen oder Pflegedienste mit Angehörigen oder Assistenten organisieren, tauchen in der Diskussion und den Maßnahmen praktisch nicht auf und werden alleine gelassen. Wie sollen die Menschen es auffangen, wenn die Tagespflege oder die Behinderten-Einrichtung geschlossen ist, oder wie kommen diese Gruppen zur jetzigen Zeit an ausreichend Schutzmaterialien?
Ich erstelle zurzeit für die ISL einen Forderungskatalog an das Bundesministerium für Gesundheit zur Bewältigung der Corona Krise aus Sicht der Pflegebedürftigen. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei der Facebook Gruppe „Pflegende Angehörige“ bedanken, die mich dabei unterstützt und ihre Sorgen und Probleme einbringen und auch die Chance dieses Interview nutzen und euch bitten, mich zu unterstützen und mir eure Anregungen, Wünsche und die Bereiche, wo Ihr dringenden Handlungsbedarf in der Pflege seht, per eine E-Mail unter [email protected] zu schicken.
kobinet-nachrichten: Haben Sie konkrete Forderungen bzw. Vorschläge, wie man dem derzeitigen Handlungsbedarf begegnen kann?
Thomas Koritz: Ich sehe hier 3 Sofortmaßnahmen, die die Situation schnell und mit wenig Aufwand erleichtern könnten:
1. Zusammenlegung der Verhinderungspflege gemäß § 39 SGB XI (1612€) und 100 % der Kurzeitpflege gemäß § 42 SGB XI (1612€), Verdopplung dieses Betrages und Streichung der Regelungen des § 39 SGB XI für nahe Angehörige. Damit hätten die Pflegebedürftigen dieses Jahr 6448 €, um die Auswirkungen der Corona Krise abzufangen.
2. Den Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI von monatlich 125 € deutschlandweit für die Selbstversorgung freigeben und direkt an den Pflegebedürftigen auszahlen.
3. Die Verdreifachung der Pflegehilfsmittel Pauschale (§ 40 SGB XI) auf 120 €.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären das derzeit?
Thomas Koritz: Das ist einfach: Mein erster Wunsch ist, dass wir alle gesund bleiben und dass es bald einen Impfstoff gibt. Und mein zweiter Wunsch geht an Herrn Spahn: Bitte Herr Spahn, stellen Sie die Interessen und Belange pflegebedürftiger und behinderter Menschen in den Focus und machen Sie Schluss mit so einem Blödsinn wie IPREG etc.!
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.