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Wie geht’s Klaus Peter Lohest?

Klaus Peter Lohest
Klaus Peter Lohest
Foto: privat

Waldesch (kobinet) Klaus Peter Lohest ist sozusagen mit der Corona-Pandemie in die Altersrente gegangen. Nach seiner zuletzt langjährigen Tätigkeit als Leiter der Abteilung Familie, Kinder und Jugend im rheinland-pfälzischen Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz engagiert er sich nun sozusagen vom Homeoffice aus schwerpunktmäßig in der Kinder- und Jugendhilfe. Im Interview mit kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul betonte er u.a. wie wichtig es ist, die Deutungshoheit über die Gestaltung unseres Gesellschaftssystems zu erringen und aus dieser Krise für ein besseres gesellschaftliches Miteinander entsprechende Lehren zu ziehen.



kobinet-nachrichten: Wie geht es Ihnen in Zeiten der Corona-Krise und wie gestalten Sie nach dem kürzlich erfolgten Eintritt in die Altersrente nun Ihren Alltag?

Klaus Peter Lohest: Als Asthmatiker und 67-Jähriger gehöre ich zur Risikogruppe. Entsprechend vorsichtig gehe ich meinen Alltag an. Regelmäßige Spaziergänge mit meiner Frau und Distanz zu den Enkelkindern gehören dazu. Als Hypochonder achte ich zudem auf jedes Kratzen im Hals und auf etwaige Unregelmäßigkeiten. Und ich frage mich, wie es gehen soll, dass wir eine hohe sogenannte „Durchseuchungsquote“ benötigen, um uns zu immunisieren, ohne dass man persönlich krank wird. Also: Es gibt auch ungute Gefühle und Ängste.

Den Renteneintritt habe ich nicht herbeigesehnt, im Gegenteil wäre ich gerne noch bis zur Vollendung des 110. Lebensjahres erwerbstätig geblieben und hätte mich dann zur Ruhe gesetzt. Vorher war aber schon klar, dass ich an der FernUni in Hagen Mediation studiere. Das nimmt mittlerweile ziemlich viel Zeit in Anspruch, sodass ich froh bin, nicht die Corona-Krise für die Kinder- und Jugendhilfe in Rheinland-Pfalz managen zu müssen. Außerdem zeichnet sich ein Engagement beim Kinderschutzbund ab – in Koblenz, auf Landesebene und in einer Fachgruppe auf Bundesebene. Inhaltlich geht’s vor allem um die Themen Kinderarmut und Kindergrundsicherung. Das sind Aspekte, die mich seit nahezu 40 Jahren beschäftigen. Skandalöserweise muss man sagen, denn dass in einem reichen Land, wie der Bundesrepublik, jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist oder in Armut lebt, ist ein unhaltbarer Zustand. Wir haben zu dem gesamten Themenfeld kein einziges Erkenntnisproblem, aber ein riesiges politisches Handlungsdefizit. Alles liegt auf dem Tisch – die Folgen von Kinderarmut ebenso wie Konzepte zu ihrer Bekämpfung. Ich komme zu dem Schluss, dass die herrschenden politischen Mehrheiten Kinderarmut, die sich bekanntermaßen vererbt, bewusst hinnehmen, um die Privilegien der Mittelschicht zu bewahren. In Deutschland ist der Bildungserfolg wie in keinem anderen OECD-Land vom Einkommen und sozialen Status der Eltern abhängig. Da passt es doch, dass man 20 Prozent Bildungschancen vorenthält, um sie und damit auch größere Berufschancen den übrigen 80 Prozent zu sichern.

Zudem befasse ich mich aktuell mit einer Plattform für die Kinder- und Jugendhilfe in Corona-Zeiten. Doch dazu gleich mehr.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie die aktuellen Nachrichten zur Corona-Krise verfolgen, was treibt Sie da besonders um?

Klaus Peter Lohest: Es gibt viele Fragen, die mich umtreiben. Zum einen verwundert mich, wie schnell man „heilige Kühe“ wie die „schwarze Null“ und die Schuldenbremse schlachtet/schlachten kann. Das alles wäre bereits früher notwendig gewesen, sodass, um nur ein Beispiel zu nennen, die Gesundheitssysteme nicht so schlecht aufgestellt wären, wie sie es sind. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Troika von Griechenland beispielsweise sehr bewusst und zielgerichtet gefordert hat, seine Sozialsysteme zu privatisieren und zu destabilisieren, dann weiß man, dass eine Ursache der Probleme des Gesundheitswesens in der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte liegtt. Deutlich wird das auch in den USA, wo sich ein Großteil der Bevölkerung gar keine Krankenversicherung leisten kann. Dass mehr Schwarze von dem Virus betroffen sind, ist zwangsläufig – sie sind ärmer, wohnen in verdichteten Gebieten, können es sich nicht leisten, nicht zu arbeiten, haben schlechte Jobs ohne Homeoffice-Möglichkeiten. Aber: auch das ist politisch gewollt.

Wir brauchen allerdings nicht nur nach Afrika, Asien, die USA, Griechenland und Italien gucken, auch ein Blick auf unser Gesundheitssystem ist notwendig. Erinnern wir uns daran, dass das Finanzierungssystem auf Fallpauschalen (DRGs) umgestellt wurde, dass kommunale Krankenhäuser privatisiert wurden, dass die Produktion von Medizinprodukten in Billiglohnländer verlagert wurde, dass seit Jahrzehnten die Pflegekräfte schlecht bezahlt werden – welch Heuchelei, wenn ihnen im Bundestag zugeklatscht wird -, um nur einige Beispiele zu nennen. Das alles hat eine Ursache: der neoliberale Mainstream der letzten Jahrzehnte. Unsere gesamte Infrastruktur und unsere Sozialsysteme wurden dem Mythos des freien Marktes geopfert.

Ein weiterer Aspekt, der mich umtreibt, ist, wie schnell und klaglos man in diesem Land, ja weltweit, Grundrechte außer Kraft setzen kann. Ich rede jetzt nicht von den Orbans, Netanjahus, Trumps, Kaczynkis dieser Welt, ich rede auch von unserem Land. Dabei will ich nicht in Frage stellen, dass Kontaktreduzierungen wahrscheinlich ein probates Mittel sind, um das Virus in den Griff zu bekommen, ich kritisiere jedoch, dass das alles ohne Diskurse stattfindet. Julie Zeh, Heribert Prantl und wenige andere sind die einzigen, die sich öffentlich damit auseinandersetzen. Dieses Hinnehmen lässt bei mir die Befürchtung aufkommen, dass man diese Instrumente auch nutzen könnte, wenn es politisch schwierig für die vorherrschende Klasse wird. Man hätte dann schon einmal erprobt, was ginge.

Ein Drittes: Die Solidarität wird hoch gelobt. Auf einmal nutzt man auch Begriffe der Arbeiterbewegung. Aber wie steht es denn wirklich um Solidarität? Noch immer ist keiner der 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die in den griechischen Lagern unter menschenunwürdigen – und im Übrigen auch gesundheitsgefährdenden – Umständen leben müssen, in Deutschland angekommen. Dafür ging es aber schnell, 80.000 Erntehelfer*innen die Einreise zu gestatten. Wie steht es um die europäische Solidarität? Wenn sowohl Keynesianer als auch Neoliberale sich für Corona-Bonds aussprechen, kann es doch nur das Mittel der Wahl sein, um nicht nur die europäische Währung, sondern auch die europäische Staatengemeinschaft zu retten. Zwei reiche Länder – Deutschland und die Niederlande – sprechen sich jedoch dagegen aus und betreiben eine Politik, die die ärmeren Länder Europas in noch größere Probleme bringen wird. Mit Solidarität hat das nichts zu tun, aber viel mit nationaler Besitzstandswahrung und imperialer Politik.

Ich könnte noch Vieles anführen, zum Beispiel das Agieren von Rechtsterroristen mit ihrer Mythen-Bildung, will aber nur ein Letztes sagen: Wo sind die politischen Parteien, die die Krise analysieren und Konzepte für die Zeit nach der Krise entwickeln? Die Grünen schaffen es nicht einmal, öffentlich den Zusammenhang zwischen Umweltvernichtung und Corona zu thematisieren, obwohl das alles auf der Hand liegt. Bei den Sozialdemokraten sind es nur die üblichen Verdächtigen, wie Hilde Matheis, die über die jetzt notwendiger denn je gewordene Umverteilung von Vermögen reden, regierungsamtlich siehe oben Scholz Handeln. Einzig die Linken diskutieren, aber die nimmt niemand wahr.

kobinet-nachrichten: Was wäre Ihrer Meinung nach nötig, damit wir möglichst gut durch diese Krise kommen?

Klaus Peter Lohest: Auf der einen Seite muss gesundheitspolitisch das getan werden, was eine planbare „Durchseuchung“ erfordert, ohne Menschen in Risikosituationen zu gefährden oder sie gar aufzugeben – siehe die Triage-Diskussion. Das ist verdammt schwierig und erfordert viel Kommunikation. Andererseits brauchen wir ab sofort eine Diskussion über die Ursachen und Folgen der Corona-Krise – siehe oben.

kobinet-nachrichten: Und was könnte nach der Krise kommen, bzw. was sollten wir Ihrer Meinung nach aus dieser Krise lernen?

Klaus Peter Lohest: Dazu habe ich schon Vieles gesagt. Meine Befürchtung ist, dass es nach der Krise weiter geht wie zuvor. Gegebenenfalls sogar noch schlimmer, weil sich alle Neoliberalen und Sozialabbauer auf die Kosten der Krise berufen werden, um weitere Einschränkungen zu fordern. Aus der CDU kommt beispielsweise schon der Ruf nach einem Stopp der Grundrente. Andere sprechen sich dafür aus, Umweltauflagen aufzuheben. Richtig und wichtig wäre stattdessen, die Ursachen der Krise zu analysieren, unser imperiales Wirtschaftssystem zu hinterfragen und dazu Alternativen zu entwickeln – zumindest auf europäischer Ebene.

Im „Freitag“ dieser Woche wird der amerikanische Soziologe Mike Davis wie folgt zitiert: „Die politischen Folgen der Epidemie werden – wie alle anderen politischen Folgen – durch Kämpfe entschieden, durch Schlachten um Deutungshoheit, darum aufzuzeigen, was Probleme verursacht hat und was sie löst.“ Darum geht es jetzt. Das ist vor allem auch ein Auftrag an die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), denn von den etablierten Parteien kann man das – leider – nicht erwarten. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit reif für eine Alternative zur imperialen Herrschaftsweise, die sehr konkrete Auswirkungen auf alle unsere Lebensbereiche hat. Die Klimakatastrophe beispielsweise hat unmerklichere Folgen als Corona, aber sie vollzieht sich mit noch größeren Auswirkungen. Corona spüren wir auch in den reichen Ländern und auch als Mittelschicht, deshalb sind wir verängstigt. Die Grundfragen sind aber andere und die müssen jetzt gelöst werden.

kobinet-nachrichten: Sie arbeiten derzeit an einem Projekt zur Kinder- und Jugendhilfe in Corona-Zeiten mit, worum geht es dabei und was könnte man dazu beitragen?

Klaus Peter Lohest: Das Mainzer Institut für sozialpädagogische Forschung, die Universität Hildesheim und die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen haben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein Projekt zum Aufbau einer Plattform für mögliches Handeln der Kinder- und Jugendhilfe in Corona-Zeiten bewilligt bekommen. Die Kinder- und Jugendhilfe ist ja ein Bereich, in dem es besonders auf persönliche Kontakte ankommt. Viele Kindesschutzgefährdungen werden beispielsweise in Kitas oder Schulen entdeckt, aber was ist, wenn diese geschlossen sind? Was, wenn Menschen nicht anrufen können, weil Peiniger sie ständig umgeben. Das gilt für Gewalt in engen sozialen Beziehungen, für Missbrauch und Misshandlung beispielsweise. Auf der Plattform sind Handlungsmöglichkeiten eingestellt, um auch in Zeiten einer weitgehenden Kontaktsperre noch als Kinder- und Jugendhilfe handlungsfähig bleiben zu können. Zudem gibt es allgemeine Informationen, die für die Träger der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe von Interesse sind. Zu finden ist alles unter: https://www.forum-transfer.de/

Da die Probleme in der Eingliederungshilfe sich nicht wesentlich unterscheiden, sind wir auch daran interessiert, von Selbsthilfeorganisationen, Fachkräften und Trägern aus dem Behindertenbereich Informationen und Tipps zu erhalten. Diese können geschickt werden an: [email protected]

kobinet-nachrichten: Gibt es zwei Wünsche, die Sie derzeit hätten

Klaus Peter Lohest: Ein persönlicher: Gesundheit für meine Familie, Freunde und mich. Und ein politischer: Wacht auf Verdammte dieser Erde und lasst uns streiten für unsere Deutungshoheit.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.