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Von ratsamen Checklisten und fragwürdigen Gebrechlichkeitsskalen

Jennifer Sonntag im Sessel mit mehreren Schuhen davor
Jennifer Sonntag im Sessel mit mehreren Schuhen davor
Foto: privat

Halle (kobinet) Die Inklusionsbotschafterin Jennifer Sonntag aus Halle macht sich in diesen Tagen viele Gedanken darüber, inwieweit es sinnvoll ist, für die eigenen ganz spezifischen gesundheitlichen Belange Checklisten für eine bessere und sicherere medizinische Behandlung zu entwickeln. So sinnvoll diese sein können, so können sie auch Gefahren in der derzeitigen Triage-Diskussion bergen, wie Jennifer Sonntag in ihrem Kommentar aufzeigt.

Von ratsamen Checklisten und fragwürdigen Gebrechlichkeitsskalen

Kommentar von Jennifer Sonntag

Einerseits finde ich es ratsam, dass Menschen mit Behinderungen / Vorerkrankungen sich eine Checkliste anlegen, die im Falle eines Krankenhausaufenthaltes die wichtigsten Infos zu ihren Einschränkungen, zum Umgang mit ihnen und ihren Medis plus relevante Ansprechpersonen enthält. Es geht ja nicht immer gleich um die Intensivstation, auch vorher kann für manche Betroffene eine Überwachung im Krankenhaus notwendig werden.

Andererseits kann die vermeintliche oder tatsächliche Abhängigkeit oder Hilfsbedürftigkeit, auch eine Kennzeichnung allein durch Stock oder Rollstuhl dazu führen, in eine höchst fragwürdige „Gebrechlichkeitsskala“ sortiert zu werden, wodurch Betroffenen in der gesundheitlichen Versorgung gravierende Nachteile entstehen könnten. Dagegen macht sich jetzt eine große Gruppe behinderter Aktivist*innen stark. Unfassbar wichtig, dass wir solche Tendenzen sichtbar machen!

Da mein Anliegen nicht Panik-, sondern Mutmachen bleiben soll, möchte ich auch bewusst als sozpädagogische Peer Beraterin in die Runde fragen, welches Vorgehen ihr in Sachen Checkliste empfehlen würdet? Hilfreich oder stigmatisierend? Leider habe ich bereits vor Corona die Erfahrung machen müssen, dass einige Kliniken schon am Telefon überfordert waren, als ich sie über meine Blindheit informierte. Meine zusätzlichen Einschränkungen kamen in Anbetracht der vielen Unsicherheiten und Berührungsängste erst gar nicht auf’s Tableau. Ich habe dazu bereits mehrere Artikel publiziert. Fachärzt*innen haben in der aktuellen Situation Menschen mit gravierenden Behinderungen empfohlen, Kontakt zu Einrichtungen aufzunehmen, die sich mit den jeweiligen spezifischen Behinderungsformen auskennen, da Notärzt*innen oder medizinisches Personal hier oft wenig Kenntnisse im Umgang haben. Ist das umsetzbar? Auch deshalb finde ich eine Checkliste „eigentlich“ eine gute Idee, sie könnte beiden Seiten Sicherheit vermitteln.

In Anbetracht der Sortierung nach Gebrechlichkeit bin ich aber unsicher, ob man sich damit nicht eher schadet und in dieser fragwürdigen Skala, sollte sie denn angesetzt werden, selbst nach hinten katapultiert. Konstruktives gern in die Kommentare und hier der Beitrag zu den nicht hinnehmbaren Triage-Empfehlungen!

https://abilitywatch.de/menschistmensch/?fbclid=IwAR1t-3qBNoZoBvn04Y4u9r1SvgNaHDeja1p6_TXTR_eZnhT17Pi6vvqGSgU

Eine Checkliste ist etwas, was wir uns ganz privat anlegen und mitführen könnten. Auch unsere Fachärzt*innen können sie in Form von Notfallbriefen für uns ausfertigen, zum Beispiel bei Anfallsleiden oder relevanten Vorerkrankungen usw. Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) veröffentlichte auf ihren Seiten bereits weit vor Corona wertvolles Material zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen im Krankenhaus, insbesondere bei gravierenden oder Mehrfachbehinderungen. Checklisten können hier medizinischem Personal, Betroffenen und ihren Angehörigen mehr Sicherheit im Umgang und in der richtigen Versorgung vermitteln.

Im Gegensatz dazu steht die aktuell Menschen mit Behinderung gegenüber diskriminierend ausgerichtete „Gebrechlichkeitsskala“ der Divi, und die ist eben leider nicht freiwillig und laut AbilityWatch ziemlich bedenklich.