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Selbstbestimmung statt Partizipation in der Gesamt- bzw. Teilhabeplanung

Ulrich Niehoff
Ulrich Niehoff
Foto: privat

Berlin (kobinet) "Partizipation ist in aller Munde. Und das ist auch gut so. In der individuellen Teilhabeplanung jedoch, bei der es um die Planung des eigenen Lebens geht, kann eine Beteiligung oder Partizipation der Klienten nicht ausreichend sein. Hier muss es im Prinzip um Selbstbestimmung gehen." Das findet Ulrich Niehoff, dessen Zwischenruf die kobinet-nachrichten im folgenden veröffentlichen.

Zwischenruf von Ulrich Niehoff

Selbstbestimmung statt Partizipation in der Gesamt- bzw. Teilhabeplanung

Partizipation ist in aller Munde. Und das ist auch gut so. In der individuellen Teilhabeplanung jedoch, bei der es um die Planung des eigenen Lebens geht, kann eine Beteiligung oder Partizipation der Klienten nicht ausreichend sein. Hier muss es im Prinzip um Selbstbestimmung gehen.

Doch zunächst zur Würdigung von Partizipation. Die Wahrnehmung von Beteiligungsmöglichkeiten an relevanten Entscheidungsprozessen ist anerkanntermaßen ein Mittel gegen die erlernte Hilflosigkeit vieler Menschen mit Beeinträchtigung (Martin E.P. Seligman) und damit Empowerment. Wenn Menschen von Entscheidungen in ihrem Leben ausgeschlossen sind und keine Kontrolle haben, ziehen sie sich oft zurück und werden zunehmend passiv. Individuelle Teilhabebeeinträchtigungen werden dann durch gesellschaftliche Barrieren immer größer: ein Teufelskreis der sich gegenseitig verstärkenden Schwierigkeiten setzt ein. Partizipation, in wie immer kleinen Schritten auch begonnen, ist das Gegenmittel. Sie beweist Selbstwirksamkeit und bringt Motivation, sich in Zukunft weiter und vermehrt für die eigenen Interessen einzusetzen.

Partizipation wird in demokratisch-politischen Prozessen als auf Freiwilligkeit beruhende Einbindung von Personen und/oder Organisationen (Vereinen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen) beschrieben. Frühzeitige Beteiligung (z. B. Bürgerbeteiligung) erhöht die Akzeptanz und Qualität von zu treffenden Entscheidungen und ist befördernd für eine demokratische Kultur. In Bezug auf Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung werden durch Partizipation Beteiligungsprozesse an Entwicklungen und Entscheidungen in Verbänden und Institutionen von Alltagssituationen bis zu strategisch-konzeptionellen Entscheidungen, aber auch darüber hinaus an politischen Sachverhalten beschrieben. Pointiert zusammengefasst hat dies die internationale Selbstbestimmt-Leben-Bewegung behinderter Menschen: „Nothing about me without me!“, oder deutsch: “Nichts über mich ohne mich!“

In der UN-Behinderten-Rechts-Konvention (UN-BRK) ist an 17 Stellen von 50 Artikeln von „participation“ die Rede. Der Begriff wird allerdings mit „Teilhabe“ ins Deutsche übersetzt. Dabei geht der Aspekt der Mitbestimmung verloren, der mit „Teilhabe“ nicht unbedingt verbunden ist. H-G Heiden schlägt in seiner aufschlussreichen Handreichung zur Umsetzung des Gebotes der „Partizipation“ der UN- Behindertenrechtskonvention vor, auch im Deutschen den Begriff der Partizipation zu nutzen, um der umfänglicheren Qualitäten im Vergleich zum Begriff Teilhabe nicht verlustig zu gehen http://www.nw3.de/index.php/115-schluss-mit-der-alibi-beteiligung-neue-standards-zur-partizipation-vorgelegt .

Partizipation/Beteiligung reicht bei der Gesamt- bzw. Teilhabeplanung nicht aus

Deutlich geworden ist schon bis hierhin, dass es sich bei Partizipation und Beteiligung immer um die Einbeziehung von einzelnen Personen in Gruppenprozesse handelt: seien dies Entscheidungsprozesse in Institutionen (Werkstatt, Wohnstätte), in Organisationen (Vereine, Kirchen), in Parteien und in anderen politischen Organisationen (Gewerkschaften, Bürgerinitiativen). Seinen „Part“ oder sein „Teil“ hat man in Gruppen. Es geht nicht primär um Partizipation oder Beteiligung im eigenen Leben. Wenn es um das eigene Leben geht, reicht Partizipation, Teilhabe oder Beteiligung nicht aus. Hier ist die Maßgabe Selbstbestimmung, wie sie prominent in der UN-BRK und im Bundesteilhabegesetz (BTHG) hervorgehoben wird – zum Beispiel im § 1 „Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“. Diese Paragraphenüberschrift bringt die zwei Hauptziele des neuen BTHG auf den Punkt: Selbstbestimmung und Teilhabe.

Das entfaltete Recht auf Partizipation ist innovativ, weil es neue Mitbestimmungsrechte für behinderte Menschen in sozialen Gruppen und Netzwerken ausbuchstabiert. Es bleibt aber unbefriedigend, wenn es bei der individuellen Lebensplanung nur um Beteiligung der betreffenden Person in ihrem eigenen Leben ginge. Das kann nicht hingenommen werden. In der englischen Sprache ist die Unterscheidung zwischen „person centred“ und „person driven“ hilfreich. Übersetzt würde dies bedeuten, die Unterscheidung zu treffen, ob Planungen „personenzentriert“ sind, oder ob sie von den betreffenden Personen ausgehend und von Ihnen (wie weitgehend und mit wieviel Unterstützung auch immer) gesteuert sind. Selbstredend ist der Anspruch der Subjektsteuerung bei der Hilfeplanung zum Beispiel im Gesamtplanungsprozess des BTHG ein hoher. Zunächst einmal geht es aber um eine grundsätzliche Frage der Herangehensweise und des Menschenbildes. Steht der Mensch im Zentrum der Planungsprozesse (…..“und damit jedem im Wege“, wie es ein alter Kollege von mir bewusst wohlwollend-ironisch ausgedrückt hat) und in Gefahr, Objekt eines Verwaltungsverfahrens zu werden? Oder verstehen sich alle Beteiligten im Planungsprozess im Prinzip als Unterstützer des leistungsberechtigten Subjekts – und damit in einer bewusst weit bescheideneren Position?

Die Frage müsste dann sein: welchen Lebensentwurf hast Du eigentlich? Welchen Lebensstil möchtest Du entwickeln und leben? Was ist dir in Deinem Leben wirklich wichtig. Was ist Dein Wille? Welche Vision hast Du für Dein Leben? Und wie können wir dich darin unterstützen, diese Ziele auch zu erreichen? Dazu ist es keineswegs ausreichend, nach den Wünschen einer Person zu fragen. Erstens sind Dienstleister der Behindertenhilfe nicht einfach „Wunscherfüller“. Das wäre zu trivial. Und zweitens sind Wünsche im Vergleich zum Willen einer Person, zu seiner Vision und zu seinem Lebensentwurf schlicht zu oberflächlich. Welches aber die authentischen, tiefliegenden, bedeutenden, nachhaltigen und seriösen Lebensziele einer Person sind, das liegt nicht auf der Hand. Das muss manchmal auch erst in einem längeren Prozess erarbeitet werden.

Die Persönliche Zukunftsplanung als angemessenes Planungsinstrument

Die „Persönliche Zukunftsplanung“ bietet hierzu hervorragende Methoden an. Ihr Ziel ist nicht primär Kompetenzerwerb (es sei denn explizit im Prozess erwünscht), Verselbständigung, Abbau von Defiziten durch Förderung, Pädagogik und Therapie. Ihr Ansatzpunkt ist die „Stärken-Perspektive“ und Lebensqualität, ihr Ziel Selbstbestimmung statt Selbstständigkeit. Sie ist „person driven“, indem das Subjekt planende Person ist, und Unterstützer bzw. ein Unterstützerkreis sie in ihrer Planung bestärken. (vgl. hierzu die ausgesprochen hilfreiche website https://www.persoenliche-zukunftsplanung.eu/persoenliche-zukunftsplanung/was-ist-persoenliche-zukunftsplanung.html ). Es wäre unangemessen, im Prozess der Persönlichen Zukunftsplanung nur von der Beteiligung der planenden Person zu sprechen. Sie ist die Impulsgeberin, der Ausgangs- und Mittelpunkt, das Subjekt des Prozesses, auch wenn es mitunter viel Unterstützung in der Wahrnehmung dieser Position erfordert.

Die Aussagen des BTHG zur Beteiligung des Menschen mit Beeinträchtigung bei der Teilhabe- und Gesamtplanung reichen in diesem Verständnis nicht aus. So heißt es etwa im §117 „Gesamtplanverfahren“ in Abs. 1.1. „Beteiligung des Leistungsberechtigten in allen Verfahrensschritten, beginnend mit der Beratung“ und in Abs. 1.2. „Dokumentation der Wünsche des Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistung“. Das Gewähren von Beteiligung im Prozess und die Dokumentation der Wünsche ist aber nach dem bisher Gesagten zu wenig, die Dokumentation von Wünschen lapidar. Die Ausführungen im BTHG kennzeichnen einen personenzentrierten Ansatz, keinen, der von einem von der Person (ggf. auch mit viel Unterstützung im Sinne einer unterstützten Entscheidungsfindung) gesteuerten Prozess ausginge.

Ein Ansatzpunkt, um der Person mit Beeinträchtigung die zentrale Position des handelnden Subjekts in der Planung des eigenen Lebens einzuräumen, kann im §78 „Assistenzleistungen“ Abs. 1 gesehen werden. Dort sind Leistungen für „die persönliche Lebensplanung“ vorgesehen. So sind personelle Ressourcen für die mitunter umfangreiche und lohnende „Persönliche Zukunftsplanung“ refinanzierbar. Ggf. können die dort erarbeiteten, authentischen persönlichen Lebensziele dann auch in einen formalisierten Gesamtplanungsprozess einfließen.