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Ilja Seifert zu den Einflüsteren des Bundesgesundheitsministers

Ilja Seifert
Ilja Seifert
Foto: Ilja Seifert

BERLIN (kobinet) Herr Spahn läßt sich gern etwas einflüstern. Wenn es seiner neoliberalen Kosten-Nutzen-Ideologie entspricht, gibt er dem einen wohlklingenden Namen und posaunt es laut in die Welt hinaus. Diesmal also ein „Reha- und Intensivpflegestärkungs-Gesetz“ (RISG). Namens der Heimlobby behauptet er, Kosten im Gesundheitswesen sparen zu wollen. Über alle Medienkanäle läßt er erklären, daß Angehörige Pflegebedürftiger zukünftig kaum noch zur Mitfinanzierung herangezogen würden. Das ist gut für entfernt lebende Kinder. Die pflegenden Angehörigen entlastet es nicht. Ebenso wenig diejenigen, die auf pflegende Assistenz angewiesen sind.

Ihnen rauben andere Teilen des Gesetzentwurfs den Atem. Und zwar lebensbedrohend. Zumindest in ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung.

Ja, auch mit intensivem Pflege-Assistenzbedarf und 24-Stunden Beatmung kann – und will! – man selbstbestimmt leben. Sei es in der Familie, sei es mit persönlicher Assistenz. Der Herr Gesundheitsminister meint aber, daß so „schwere Fälle“ zukünftig nur noch in „spezialisierten Einrichtungen“ untergebracht werden dürften. Intensivpflege und Beatmung sind teurer. Da könnte ja in Privathaushalten Mißbrauch betrieben werden! Nein, dann schanzen wir diese Gelder doch lieber den Heimkonzernen zu. Die sind schließlich über jeden Zweifel erhaben.

Allerdings gibt es dann keine 1:1-Assistenz mehr. Die Rede ist von 1:3 bis zu 1:10-Schlüsseln. Angeblich lauter hochspezialisiertes Fachpersonal. Das kommt aber nicht die Nase putzen, wenn sie läuft, sondern wenn es mal Zeit hat. In einer „spezialisierten Wohngemeinschaft“ ist freie Wahl des Tages- und Nachtablaufs unmöglich. Dort regieren die Hausordnung und der Dienstplan. Falls es also tatsächlich irgendeinen Einspareffekt geben sollte, ginge er ausschließlich zu Lasten der dort auf unmündige Patienten reduzierten Menschen, die ihr Leben gern mit selbst ausgesuchten Assistenten gestalten würden.

Die Veröffentlichung seines RISG-Entwurfs brachte Herrn Spahn zum Tag der offenen Tür den Besuch von über 100 Menschen mit Behinderungen ein. Mindestens ein Dutzend von ihnen mit Dauerbeatmung. Es war pure Angst, was uns dort hin trieb. Neben mir stand lange eine Heranwachsende, die von ihrer Mutter und anderen Familienmitgliedern begleitet wurde. Unermüdlich hielten sie ihr selbstgemaltes Plakat in die Höhe: „Nach dem Abitur ins Pflegeheim? Niemals!“ Die junge Frau bereitet sich also – obwohl sie 24-h-Beatmung braucht – auf eine akademische Laufbahn vor. Ganz selbstverständlich. So, wie Andere ihres Alters auch. Nun befürchtet sie, von Spahns Einflüsterern zur Beute ihrer Raffgier gemacht zu werden.

Einer öffentlichen Debatte mit uns Demonstranten wich der Minister feige aus. Stattdessen sonderte er – abgeschirmt – einige Beruhigungsworte ab. Angeblich verstünden wir alles falsch. Und außerdem sei ja noch gar nichts beschlossen. Wenn da einige Demonstranten – mit Blick auf den unmittelbar bevorstehenden 80. Jahrestag des Hitlerschen „Gnadentod-Erlasses“ – in Todesangst geraten, wiegelt er mit der Bemerkung ab, daß ja eine 36monatige Übergangsfrist „gewährt“ werden könne. Wir befürchten jedoch, daß die Heimbetreiber und Anbieter stationärer Pflege diese Zeit brauchen, um ihre Kapazitäten an „besonderen Wohnformen“ auszubauen. Diese müssen dann gnadenlos „aufgefüllt“ werden. Es sind ja hohe „Investitionen“. Diese müssen sich – möglichst schnell – „amortisieren“. Da muß das Wunsch- und freie Wahlrecht auf Wohnen am selbstgewählten Ort und mit persönlich ausgesuchten Partnern eben zurückstehen. Was scheren uns das Grundgesetz, die UN-Behindertenrechtskonvention oder gar der menschliche Anstand? Wir produzieren lieber funkelnde Hochglanz-Kataloge, in denen wir unsere menschenfreundliche Philosophie und unser alltäglich aufopferndes Sauberhalten der Beatmungsgeräte propagieren.

Da er nicht mit uns reden wollte, verliehen wir dem Herrn Minister eine „goldene Luftpumpe“. Und damit seine Zuflüsterer merken, daß wir uns die Luft zum Atmen auch nicht von einem Selektions-Gesetz rauben lassen, stellen wir jetzt allfreitaglich eine Mahnwache vor das Bundesgesundheitsministerium. Wer unsere Existenz-Ängste versteht und sich mit uns solidarisieren möchte, ist herzlich willkommen.