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Damals…

Profil Andi
Andi mit Hund und Regenschirm
Foto: Andreas Vega

München (kobinet) Der Zwangsdienst für den Staat - lange Zeit war das sehr umstritten. Ich selber habe das in meiner Jugend abgelehnt, gleichzeitig aber vom Zwangsersatzdienst profitiert.

Neulich, da traf ich einen älteren netten Landwirt in einer Hobbywerkstatt, in der ich mich für einige Tage eingemietet hatte. Es war der Vater des Betreibers, der auf dem Hof die Hobby- „Schrauberei“ in den ehemaligen Maschinenhallen für die Traktoren des früheren landwirtschaftlichen Betriebes eingerichtet hat. Als ich mangels rollstuhlgerechter Toilette mit der Unterstützung meines Assistenten mein kleines Geschäft in meine dafür vorgesehene Flasche vor meinem Auto verrichtete, blieb der Bauer einfach neben mir stehen und glotzte. Ich wunderte mich schon ein wenig über diese Distanzlosigkeit und dann wollte er auch noch helfen und selber Hand anlegen. Warum?

„Als ich jung war, war ich Zivildienstleistender. Damals, 1971.“

Oh Schreck, so viel Zeit ist in meinem Leben vergangen. Zdler, da war doch was in den alten Bundesländern?

Seit 1968 verbrachte ich die meiste Zeit in Sondereinrichtungen. Der Hauptbestandteil des Personals bestand in den meisten Behinderteneinrichtungen aus Zivildienstleistenden. An diese wurden die Aufgaben der Pflege, also die Drecksarbeiten, delegiert. 1979 erkämpfte ich mir mit anderen aus einer Einrichtung heraus ein Selbstbestimmtes Leben, zunächst in einer Wohngemeinschaft, was ohne Zivildienstleistende in damaligen Zeiten freilich nicht funktioniert hätte. Und auch in meiner ersten eigenen Wohnung, im Jahr 1984, war die Absicherung meiner Assistenz und somit meines Lebens ohne Zivildienstleistende undenkbar. Zdler waren somit in meiner Jugend immer der Hauptbestandteil in meiner Persönlichen Assistenz und mein Fenster zur Außenwelt.

„Ins kalte Wasser wurde ich geschubst, direkt in die Unfallklinik Murnau – ohne Vorbereitung“, erzählte der alte Landwirt weiter. „Es war hart für mich, aber ich möchte diese Zeit nicht mehr missen. Schade, dass die jungen Leute heutzutage sowas nicht mehr machen müssen. Mir hat es die andere Seite des Lebens gezeigt.“

Wie war denn das tatsächlich und warum wurde der soziale Zwangsdienst abgeschafft? In Wikipedia finde ich folgende Erklärung:

„Der Zivildienst in Deutschland war in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit der allgemeinen Wehrdienstpflicht die häufigste Form der Ableistung eines Wehrersatzdienstes für anerkannte Kriegsdienstverweigerer. So leisteten zum Beispiel im Jahr 2009 90.555 Kriegsdienstverweigerer Zivildienst, die meisten im sozialen Bereich, u. a. in Krankenhäusern und Altenheimen.

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 liefen die letzten Zivildienstverhältnisse aus, seit 2012 gibt es in Deutschland keinen Zivildienst mehr.

Der Zivildienst war die meiste Zeit seines Bestehens länger als der Wehrdienst, in der Spitze um volle fünf Monate (20 Monate Zivildienst bei 15 Monaten Wehrdienst im Zeitraum von 1984 bis 1990). Von 2004 bis zur Aussetzung der Zivildienstpflicht im Jahr 2011 war die Dienstdauer identisch.

Die CDU und CSU waren bis 2010 die einzigen Parteien, die sich geschlossen für die Wehrpflicht aussprachen. 2010 begann hingegen eine innerparteiliche Debatte in der CDU/CSU, nachdem sich CSU-Politiker und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für eine Aussetzung der Wehrpflicht aussprach. Die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder sprach sich wegen der Pläne des Verteidigungsministers zur freiwilligen Wehrpflicht im August 2010 auch für einen freiwilligen Zivildienst aus. Demnach müssten sich 35.000 Freiwillige pro Jahr melden, um die damals bestehenden Strukturen erhalten zu können. Dieser solle zwischen 6 und 24 Monate dauern und für Männer und Frauen jeden Alters möglich sein.

Ab Oktober 2010 wurden Zivildienstleistende nur noch auf eigenen Wunsch einberufen. Der letzte mögliche Termin für eine freiwillige Einberufung war der 1. Juli 2011. Am 31. Dezember 2011 endeten die letzten bis dahin noch bestehenden Zivildienstverhältnisse, auch wenn eine Verpflichtung für mehr als sechs Monate gewählt wurde. Seither gibt es in Deutschland auf unbestimmte Zeit keinen Zivildienst mehr.“ *

*aus Wikipedia

Der Zwangsdienst für den Staat – lange Zeit war das sehr umstritten. Ich selber habe das in meiner Jugend abgelehnt, gleichzeitig aber vom Zwangsersatzdienst profitiert. Durchseucht durch die Kontakte zu den Zivis (Vorsicht, in Berlin war das die Bezeichnung für Zivilbullen) habe ich mich damals linksversüfft politisiert und wurde zu einem radikalen Pazifist. Den Wehrdienst lehnte ich sowieso grundsätzlich ab. Mein Blick heute ist etwas differenzierter.

Unsere Gesellschaft verändert sich in diesen Zeiten besonders. Egoismus, Hasskommentare in den sozialen Netzwerken, die Verschiebung der Gesellschaft nach rechts mit den extremen Wahlergebnissen der AfD, „man traut sich wieder“ früher unsagbares zu sagen und die neoliberale Verwandlung in eine totalitäre Ellenbogengesellschaft ihre Ursachen. Eine davon ist, dass die Bürger*innen dieses Landes durch das Aussetzen des Wehrdienstes, und somit auch des Zivildienstes eine Tätigkeit für die Gemeinschaft nicht mehr kennenlernen müssen (dürfen). Gerade der Ersatzdienst hat jungen Menschen andere vermeintlich unschöne Seiten der Gesellschaft gezeigt und hautnah erlebbar gemacht. Heute haben Junge Menschen fast keinen Kontakt mehr zu Menschen mit Behinderung. Im Zivildienst dagegen wurden wichtige soziale Kompetenzen erworben.

Seit Anfang der achtziger Jahre lebe ich nun im Arbeitgebermodell und viele meiner ehemaligen Assistentinnen habe ich durch den Zivildienst kennengelernt und im Anschluss ihrer Dienstzeit angeworben. Viele haben nach der Dienstzeit eine ganze Weile noch als Assistenten weitergearbeitet. Diese Möglichkeit fällt nun seit der Aussetzung des Zwangsdienstes weg und die prekäre Lage im „Assistenzmarkt“ hat seine Ursache auch in der „Aussetzung“ des Zivildienstes. Zum einen durch den Wegfall des Nachwuchses, und zum anderen durch die mangelnde Sozialisierung, die in der Gesellschaft immer mehr um sich greift. Wir behinderte Arbeitgeber*innen müssen feststellen, dass der Beruf der Persönlichen Assistenz nicht besonders hoch angesehen ist. Zwar konnte die Einheit durch den Zustrom sozialistisch geprägter Menschen etwas wettmachen, aber selbst dieser Effekt kommt 30 Jahre nach Mauerfall zum Erliegen. Das mag daran liegen, dass die Entlohnung und die sozialen Leistungen, die die Kostenträger gewähren, nur auf unterstem Niveau stattfinden. Aber soziale Arbeit, zum Beispiel Menschen zu unterstützen die Assistenzbedarf haben, das sind Tätigkeiten, die nicht besonders beliebt und populär sind.

Ich beziehe hier eine klare Position: Einen verpflichtenden Dienst gegenüber dem Staat muss es geben. Die Bedingungen müssen natürlich fair sein, vor allem für die Verpflichteten. Unserer Gesellschaft täte dies gut und es böte für Menschen mit Behinderung eine bessere Chance Sondereinrichtungen zu verlassen und ihr eigenes Leben selbstbestimmt in Richtung Arbeitgebermodell zu gestalten. Freilich wäre zurzeit eine Rücknahme der Aussetzung gar nicht denkbar, eine wackelige Verteidigungsministerin würde sich diese Diskussion vermutlich nur sehr ungern stellen.

Die Wiedereinführung des Wehrdienstes brächte ganz andere Probleme zum Tageslicht, zum Beispiel die mangelhafte Ausstattung der Bundeswehr (siehe die Diskussion über Stiefel). Mittlerweile scheint unsere Berufsarmee von rechten Kräften durchsetzt zu sein. Diese würden sich sicher gegen Zwangsbedienstete Wehrdienstleistende wehren ,die vermutlich gegen eine „völkische Umwandlung“ der Bundeswehr stünden.

Eine erneute Diskussion wäre sehr fruchtbar und wir Menschen mit Behinderung sollten diese anstoßen. Selbst wenn sich die meisten aufgrund ihres höheren Alters keine jungen Zivis in ihrem Haushalt vorstellen mögen. Ich übrigens auch nicht, da ich keine Lust auf Leute habe, die vermutlich nicht einmal ein Spiegelei selbstständig braten könnten. Eine Bereicherung für die Gesellschaft wäre es aber dennoch – und ein Schritt heraus aus unseren Filterblasen.

Lesermeinungen

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Arnd Hellinger
01.09.2019 16:26

Wiedereinführung eines allgemein verpflichtenden – ich nenne ihn mal – „Dienstes an der Gemeinschaft“ nach der Schulzeit. Dieser könnte nach meiner Einschätzung sehr wohl geeignet sein, Jugendlichen wieder jene sozialen Kompetenzen vermitteln, zu deren Erwerb in Zeiten von „Turbo-Abi“ (G8) sowie zeitoptimierten Studien- bzw. Ausbildungsgängen ja kaum noch Gelegenheit besteht.

Natürlich müssten dann – anders als bis 2011 – die verschiedenen Dienstformen (Zivildienst, Feuerwehr, THW, Bundeswehr…) von den Jugendlichen auch wirklich gleichrangig wählbar sein und die erbrachten Leistungen durch die öffentliche Hand angemessen entlohnt werden.

Sven Drebes
Antwort auf  Arnd Hellinger
01.09.2019 22:22

Das wird schwer, so zu bauen, dass es in Karlsruhe Bestand hat. Das gilt besonders dann, wenn der Dienst vernünftig entlohnt wird. Immerhin kann ja schon heute jede*r schon zwischen Schule und Ausbildung / Studium ein Jahr irgendwo jobben.

Sven Drebes
01.09.2019 13:14

Hm, ich bin bei der Zivildienst-Frage auch gespalten. In den ersten 12 Jahren meines Lebens mit Assistenz waren Zivis auch mest Kern meines Teams, und auch vorher in der Sonderschule waren sie kaum weg zu denken.
Die Thesen zu den gesellschaftspolitischen Wirkungen halte ich aber für gewagt. Die große Mehrheit der Leute, die rechttspopulistisch, rechtsradikal oder rechtsextrem denken und handeln, sind – gerade in den 10 Bundesländern, in denen es den Zivildienst schon vor 1990 gab, in einem Alter, in dem sie höchstwahrscheinlich zwangsweise Wehr- oder Zivildienst geleistet haben. Andere sind so alt, dass sie nicht wehrpflichtig waren. Unter den nach 1990 Geborenen ist deren Anteil dagegen mit am geringsten – übrigens auch in den 5 „neuen“ Ländern. Ich vermute da eher eine verzerrte Wahrnehmung, weil eher links denkende Menschen damals deutlich häufiger Zivildienst geleistet haben.

rgr
Antwort auf  Sven Drebes
01.09.2019 15:45

Das Bild einer neuen Generation lebendiger, engagierter, junger Staatsbürger mit sicherem Auftreten, gutem Benehmen und pflegerischer Sorgfalt könnte eine Wende in der Gesundheits- und Sozialpolitik, sowie im Bildungswesen ankündigen. Doch dieser Eindruck ist nur ein Aspekt in einem größeren Geschehen, das die Historiker den kalten Krieg nennen. Meine 62er Generation wusste von den Kriegen auf der Welt und unsere bangen Fragen waren: Wie lange müssen wir uns das noch angucken? Kommen wir da lebendig raus?

rgr
Antwort auf  rgr
01.09.2019 17:43

Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland würde nicht an den Deutschen scheitern. International würde ein solcher Schritt Besorgnisse auslösen.

rgr
Antwort auf  rgr
01.09.2019 18:27
rgr
01.09.2019 12:44

Nie wieder Zwangsdienst

Ich erinnere mich noch an eine Verhandlung vor einem Hannoverschen Gericht in der
zweiten Hälfte der Achziger. Mein Freund hatte gegen den negativen Bescheid einer Begutachtungskommission zur Prüfung des Gewissens des Antragstellers zur Kriegsdienstverweigerung in bereits zweiter Instanz geklagt. Die Verhandlung dauerte geschlagene drei Stunden. Mein Freund, der Kläger, hatte vor dem Richtertisch auf einem Stuhl Platz zu nehmen, ohne das er sich hätte auf einen Tisch abzustützen können, noch das er sich hätte hinter einer Akte verstecken können, noch das er vertraulichen Kontakt zum Anwalt hätte halten können, welcher drei Meter entfernt vom Kläger Platz zu nehmen hatte.

Ich bin ein Mensch. Ich kann mich in andere Menschen hineinversetzen. So auch in die zwei Richter, Besitzer, die Stenotypistin, den Justizwachtmeister und die zahlreich erschienenen Freundinnen und Freunde. Ich gestehe, das Gefühle des Hasses in mir aufkeimten, je länger ich der Verhandlung dieses Gerichtes beiwohnte. Dieses war kein normales Gericht, wie wir es aus Zivilklagen, Familiengerichtssachen, Sozialgerichtsklagen oder Strafprozessen kennen. Dieses Gericht maß sich Dinger an, die in einer zivilisierten, säkularen und auf Verzicht von Zwang und Gewalt bauenden Gesellschaft, schon damals nicht mehr statthaft waren.

Die Geschichte des Zivildienstes in der Bundesrepublik kann nicht erzählt werden, ohne das die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Erwähnung findet. Mehr zur DFG-VK auf ihrer Webseite -> https://www.dfg-vk.de/startseite