
Foto: AbilityWatch
Berlin (kobinet) "Hallo Politik", unter diesem Motto hat die Bundesregierung an diesem Wochenende die Bürger*innen zu insgesamt zwei Tagen der offenen Tür in ihre Ministerien und Dienststellen eingeladen. Heute haben dies auch viele behinderte Menschen genutzt, um der Politik nicht nur "Hallo" zu sagen, sondern ganz konkret ihren Unmut gegen die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums auszudrücken, wonach intensiv beatmete Menschen zukünftig nur noch in absoluten Ausnahmefällen in ihren eigenen vier Wänden leben sollen.
Kommentar von Ottmar Miles-Paul
„In diesem Jahr feiern wir eine Reihe runder Jubiläen: 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 70 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Mauerfall. Das sind Meilensteine in der Geschichte unseres Landes. Doch ein Jubiläumsjahr wie dieses lädt nicht nur zum Rückblick ein, sondern regt auch zum Nachdenken darüber an, in welcher Verfassung sich unser Land heute befindet und was zu tun ist, um in der Welt von morgen möglichst gut leben und zusammenleben zu können. Wohl jeder und jede hat eigene Antworten darauf“, so kündigte die Bundesregierung ihren Tag der offenen Tür an, der am 17. und 18. August bereits zum 21. Mal veranstaltet wurde. Diese Einladung haben dieses Mal besonders auch behinderte Menschen angenommen, die die Selbstbestimmung beatmeter Menschen durch einen Referentenentwurf der Bundesregierung massiv bedroht sehen. Daher bevölkerten über 100 von ihnen heute Morgen das Bundesgesundheitsministerium und stellten Jens Spahn zur Rede, warum die Intensivpflege für beatmete Menschen zukünftig nur noch in Ausnahmefällen in den eigenen vier Wänden gefördert werden soll und die Betroffenen über 18 Jahre in Sondereinrichtungen verwiesen werden sollen.
Nachdem die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums erst am vergangenen Mittwoch bekannt geworden sind, haben die Betroffenen vor allem unter der Federführung der Initiative AbilityWatch innerhalb von vier Tagen fast 50.000 Unterstützer*innen für eine entsprechende Petition gegen die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums mobilisieren können. Und trotz erster Versuche des Ministeriums, die im Referentenentwurf ziemlich offenherzig beschriebenen Pläne mit einem Einsparvolumen eines dreistelligen Millionenbetrages herunterzuspielen und die Gruppe der Betroffenen auf die reine 24-Stunden-Beatmung einzugrenzen, schwappte heute die Welle der Empörung über diese menschenrechtsverachtenden Pläne direkt ins Bundesministerium für Gesundheit. Bereits zum Auftakt des heutigen Tages der offenen Tür waren über 100 Betroffene aus verschiedenen Teilen Deutschlands spontan nach Berlin gekommen, um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und seine Mitarbeiter*innen zur Rede zu stellen.
Unter der Überschrift „Minister Jens Spahn sichert Gespräch zu“, berichtete AbilityWatch über die Wirkung des Protestes im Ministerium und über das kurze Gespräch von Raul Krauthausen mit dem Minister: „Es ist nur ein kleiner Teilerfolg, aber Herr Minister Spahn sicherte am Rande des Protestes gegen das #RISG Gespräche in den nächsten Wochen zu. Nicht nur heute, sondern auch im Gespräch werden wir ihm deutlich unsere Meinung sagen: #NichtMeinGesetz. Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Minister und versprechen Ihnen, das wir unabhängig vom Gespräch nicht locker lassen werden“, vermeldete AbilityWatch am Nachmittag auf Facebook.
In seiner Ansprache an die behinderten Besucher*innen des Tages der offenen Tür vor dem Ministerium hatte Raul Krauthausen bereits zum Auftakt des Ministeriumsbesuches deutlich gemacht, worum es bei der Kritik am Referentententwurf des Gesetzes geht:
Link zur Rede von Raul Krauthausen
Auch bei der Bürger-Pressekonferenz von Jens Spahn am Nachmittag vor der Bundespressekonferenz waren die Betroffenen präsent und haben den Minister mit seinen Plänen konfrontiert. In alter Manier, wie schon in der damaligen Argumentation der Bundesregierung gegen die Kritik am Bundesteilhabegesetz, warf Jens Spahn den Betroffenen Angstmacherei in den sozialen Medien vor. Als Zeichen dafür, dass das #RISG-Gesetz nicht so schlimm sein kann, verweist der Minister in seiner Antwort auf den Sozialverband VdK Deutschland e.V.. Später stellte er heraus, dass Gesetzesentwürfe mitunter schwierig zu lesen seien. Er wolle niemanden aus seinen Familien reißen, wie AbilityWatch auf Facebook berichtet.
Link zur Antwort von Jens Spahn vor der Bundespressekonferenz
AbilityWatch antwortet darauf auf Facebook:
„Herr Spahn:
1. Wir sind kompetente und fähige Menschen. Es ist ehrlich von Ihnen, dass Sie Gesetzesentwürfe als nicht sehr verständlich einschätzen. Beim Verstehen Ihrer geplanten Regelungen sind wir gerne behilflich.
2. Das einzige was Angst macht, ist Ihre geplante Regelung und das sie vorher nicht das Gespräch gesucht haben und dieses auch jetzt nur widerwillige führen wollen.
3. Die Verbände repräsentieren die Betroffenen nur unzureichend. Die Expertise von z.B. der Wachkoma-Initiative liegt in anderen Bereichen, als die von uns Betroffenen hierbei. Andere Verbände werden in den nächsten Tagen deutlichst Stellung gegen Ihr Gesetz beziehen.“
Was von dem heute zum Teil sehr bewegten Tag der offenen Tür für diejenigen bleibt, die von den geplanten Regelungen des Bundesgesundheitsministeriums betroffen sind, ist die Hoffnung, dass es eine wache Bewegung gibt, die wieder einmal Flagge gegen eine menschenrechtsfeindliche Behindertenpolitik gezeigt und Mut bewiesen hat. Auch wenn das für den Anfang schon eine ganze Menge mutiger Menschen vor Ort waren, wird es in den nächsten Monaten noch viel mehr engagierte Menschen brauchen, um den Plänen der Beschneidung der Selbstbestimmung beatmeter Menschen entschlossen entgegen treten zu können. Ein großer Dank also an alle, die vor Ort waren, die sich eingemischt haben und auch an die, die die Petition unterstützen.
Was aber auch bleibt, ist enormer Ärger über eine Bundesregierung, die in Sachen Behindertenpolitik anscheinend immer noch nichts verstanden hat. Immer wieder verfallen die Zuständigen in finstere Zeiten der Behindertenpolitik zurück und machen enorm aufwändige und kräftezehrende Abwehrkämpfe nötig. Als ob behinderte Menschen und ihre Angehöringen nicht schon genug um die Ohren hätten. Sei es bei der Blamage in Sachen Wahlrechtsänderung, bei der die Regierungskoalition zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtes brauchten, um allen behinderten Menschen das Wahlrecht zuzugestehen. Sei es das Angehörigen-Entlastungsgestz, in dem es versäumt wird, auch behinderte Menschen, die die Hilfen in Anspruch nehmen müssen in gleichem Umfang zu entlasten oder nun der Hammer aus dem Bundesgesundheitsministerium. Von dieser Bundesregierung sind inzwischen so Viele genervt – und das hat sie sich selbst zuzuschreiben.