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Vergleich zu Teilhabeanspruch in Freizeitpark

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Foto: kobinet

KERNEN-ROMMELSHAUSEN (KOBINET) Der Rechtsanwalt Dr. Horst Rieth aus Kernen-Rommelshausen berichtet in Absprache mit seinem Mandanten über einen interessanten Vergleich zum Teilhabeanspruch eines behinderten Menschen mit dem Freizeitpark Rust. Der Vergleich im Rahmen des jahrelang währenden Zivilprozesses gilt zwar nur zwischen den Parteien, die Einigung könnte aber eine Signalfunktion für die Teilhabe in anderen Freizeitparks haben.

„Mein Mandant, Jahrgang 1962, hat aufgrund einer im Mutterleib erlittenen Schädigung durch das Arzneimittel Contergan nur stark verkürzte Arme. Im Juni 2014 war er im Europapark Rust an der „Schweizer Bobbahn“, einer nicht schienengebundenen Achterbahn, vom Betriebspersonal aufgefordert worden, die Bahn vor dem Start wieder zu verlassen. In der Diskussion mit dem an diesem Tag zuständigen Parkleiter wurde ihm eine Liste von zwanzig Attraktionen übergeben, die er aufgrund seiner Behinderung nicht benutzen dürfe“, berichtet Dr. Horst Rieth. „Auf der Homepage des Europaparks heißt es zu diesen Attraktionen jeweils: ‚Menschen mit Handicap – Gemäß TÜV-Bestimmungen nicht geeignet für Menschen mit Handicap‘.“

„Nach kurzer Vorkorrespondenz haben wir eine Klage gegen den Europapark vor dem Amtsgericht Ettenheim eingereicht, gerichtet auf die Teilhabe des Klägers an diesen Attraktionen, hilfsweise darauf, dass der Europark verurteilt werde, die Teilnahme durch entsprechende Maßnahmen zu ermöglichen. Wir haben uns dabei im Schwerpunkt auf die Art. 1, 5, 30 der Behindertenrechtskonvention sowie auf § 19, 21 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz berufen. In dem lang andauernden Rechtsstreit ging es um die Frage, ob der Kläger bei der Nutzung der Attraktionen oder bei einer ggf. notwendigen Evakuierung eine konkrete Gefahr für sich oder andere darstellen würde, was den Europapark gem. § 20 AGG berechtigt hätte, die Teilnahme zu untersagen. Wir haben in der Teilnahme des Klägers, bezogen auf die einzelnen Attraktionen, keine konkreten Gefahren gesehen, vor allem keine solchen Gefahren, die das Risiko aller anderen Besucher übersteigen. Es war uns ein zentrales Anliegen, dass die Risiken, die der sonstige Besucher für sich eingehen darf, auch beim Kläger als Behinderten in seiner eigenen Entscheidungsfreiheit stehen. Bei einem großen Teil der diskutierten Fahrgeschäfte haben wir keinerlei Risiken gesehen und die verweigerte Nutzung als im besten Fall übervorsichtig, aber auch als grundlos bevormundend gewertet. Auch in den Fällen, in denen die Beklagte, etwa bei schnellen Achterbahnen mit Überkopf-Loopings, Korkenzieher-Passagen etc., Gefahren dadurch sah, dass sich der Kläger aufgrund der verkürzten Arme nicht am Haltebügel festhalten und stabilisieren kann, haben wir gefordert, dass dann eine zusätzliche Rückhaltevorrichtung, etwa ein zusätzlicher Rennfahrersicherheitsgurt zum Einsatz gebracht werden sollte, weil die Beklagte auch verpflichtet ist, Benachteiligungen des Klägers durch zumutbare Maßnahmen zu vermeiden“, berichtet Rechtsanwalt Dr. Horst Rieth. 

Nach langwierigem und zähem Austausch von Schriftsätzen, Vorortbesichtigung und einem gerichtlich bestellten technischen Gutachten für zwei Attraktionen sei es nunmehr gelungen, einen Vergleich zu schließen: „Darin ist geregelt, dass die Beklagte dem Kläger die Nutzung von 17 der eingeforderten Attraktionen gestattet, entweder ohne weitere Voraussetzungen oder in anderen Fällen bis zu einem gesetzten Termin bis spätestens 01.05.2021, nur jeweils abhängig davon, dass der TÜV in Wahrnehmung der behördlichen Funktionen diese Nutzung gestattet. Sollten Bedenken des TÜV nicht auszuräumen sein, verpflichtet sich die Beklagte, für den Kläger ein sekundäres Rückhaltesystem (z.B. den diskutierten Gurt) zum Einsatz zu bringen“, berichtet der Anwalt.

In zwei Fällen hätten sie die Bedenken des beklagten Europaparks akzeptiert, eine weitere streitbefangene Attraktion (Piraten von Batavia) ist zwischenzeitlich abgebrannt, so dass darüber nicht mehr entschieden werden konnte.

„Mit diesem Vergleich wurde der Anspruch des Klägers auf gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in weitem Umfang realisiert. Nach unserer Kenntnis war dies der erste Rechtsstreit, in dem dieser gemäß Behindertenrechtskonvention und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz einklagbare, individuelle Anspruch eines Behinderten auf Beseitigung einer Benachteiligung für den Fall der Teilhabe im Freizeitpark verhandelt und durch den vereinbarten Vergleich realisiert wurde“, so das Resümee von Dr. Horst Rieth.