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Gegen Einfalt hilft Vielfalt

Roland Frickenhaus
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Foto: Roland Frickenhaus

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UNBEKANNT (KOBINET) Vielfalt ist nicht nur ein Konzept aus dem Methodenkoffer der Sozialarbeit, sondern sie ist auch die Voraussetzung zur Entfaltung menschlicher Einmaligkeit. Das klingt gut und wird vermutlich keinen Widerspruch hervorrufen. Der Konflikt entsteht an anderer Stelle: Da ist auf der einen Seite der Wunsch der auftraggebenden Verwaltung nach großtmöglicher Standardisierung und Vereinheitlichung Sozialer Dienstleistungen und da sind die konzeptionellen Ansätze von "Individualisierung" und "Personenzentrierung" der Dienstleister auf der anderen Seite. Während Vielfalt den (buchhalterischen) Planungs- und Verwaltungsaufwand stört, ist sie der Schlüssel zum Erfolg sozialer Diensteistungen. Ein Konflikt, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat und der weitaus wichtiger ist als ein Frühschoppenthema. Hier geht es um Grundsätzliches.

Denn Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Einmaligkeit können nur dort zur Entfaltung kommen, wo Vielfältige, Unterschiedliche und Einmalige tätig sind. Und dort wo "Empowerte" tätig sind, können sie auch erfolgreich beim Empowern ihrer Klient*ìnnen unterstützen.

Denn Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Einmaligkeit können nur dort zur Entfaltung kommen, wo Vielfältige, Unterschiedliche und Einmalige tätig sind. Und dort wo „Empowerte“ tätig sind, können sie auch erfolgreich beim Empowern ihrer Klient*ìnnen unterstützen.

Letzendlich geht es darum, zu akzeptieren, dass Soziale Arbeit im Kern immer auch politische Arbeit ist.

Mit des Menschen Hilfe hat es auch der liebe Gott geschafft, Äpfel wachsen zu lassen, die alle den gleichen Durchmesser haben. Und dass Gurken, Bananen und Eier endlich ansehnlich und uniform aussehen, hat er ebenfalls seinen Geschöpfen zu verdanken, die offensichtlich ihrerseits auch um ihre eigene Uniformität bemüht zu sein scheinen.

Erst wenn sich Dinge so wenig wie möglich voneinander unterscheiden, sind sie einfach zu handhaben, sind sie leicht zu lenken, kostengünstig zu produzieren, vielseitig nutz- und einsetzbar und, natürlich, gut zu Geld zu machen.

Jeder wird aus seinem Umfeld genügend Beispiele kennen. Man denke nur an die Autoproduktion: Je mehr gleiche Teile in unterschiedlichen Modellen und Fabrikaten verbaut werden, desto kostengünstiger können Autos produziert werden. Die Aufgabe der Designer besteht dann am Ende darin, der Gleichheit ein unterschiedliches Äußeres zu verpassen, um den Kunden die Illusion von Individualität verkaufen zu können.

Aber nicht nur bei der Produktion von Waren ist dieses Streben nach möglichst universell einsetz- und austauschbaren Gegenständen vorfindbar. Auch im Bereich der Sozialen Dienstleistungen hat der Trend zur Vereinheitlichung und Vereindeutigung, der nichts anderes als ein (weiterer…) Ausdruck des neoliberalen Zeitgeistes ist, längst Einzug gehalten.

Die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt fachlich möglich ist und der Komplexität des Menschen gerecht werden kann, wenn individuell einzigartiges Empfinden, Erleben und Verhalten typisiert und einer Vergleichsgruppe zugeordnet wird, ist eine Frage, die mittlerweile nur noch in Nischen-Workshops kritischer Sozialarbeiter*innen diskutiert wird. Wenn überhaupt.

Während das sozialarbeiterische Handwerkszeug genau darin besteht, mit Konzepten wie denen der persönlichen Zukunftsplanung, der Personenzentrierung oder des Individualisierungsprinzips äußerst individuell fokussiert zu arbeiten und möglichst passgenaue und einzigartige und unverwechselbare Hilfesettings zu kreieren, widerspricht dieser Ansatz der Logik des Verwaltungsdenkens.

Zwischen dem Wunsch der auftraggebenden Verwaltung nach Vereinheitlichung von Dienstleistungen einerseits, und den konzeptionellen Ansätzen von Individualisierung und Personenzentrierung der Dienstleister andererseits, besteht ein grundsätzlicher und systemisch angelegter Konflikt, der immer wieder zu Spannungen führt und faktisch nicht aufzulösen ist.

Während Vielfalt quasi der Schlüssel zum Erfolg Sozialer Dienstleistungen ist, erhöht sie den Arbeitsaufwand in Politik und Verwaltung. Und während Verallgemeinerungen und Clusterbildungen der Verwaltung helfen, reduzieren sie die Erfolgsaussichten Sozialer Dienstleitungen. Diversitätskonzepte basieren auf der Grundannahme von Unterschiedlichkeit und Vielfalt und sind überall dort bedroht, wo vereinheitlicht wird.

Wenn aktuell im Spannungsfeld zwischen Vereinheitlichung und Pluralität in den einzelnen Ländern die gesetzlich vorgegebene Aufgabe, Gruppen von Hilfeempfängern mit vergleichbaren Hilfebedarf zu bilden, diskutiert wird, dann ist aufgrund dieses nicht lösbaren Interessenkonflikts 16x nichts anderes als ein Kompromiss zu erwarten. Dabei wäre schon viel gewonnen, wenn es, wie bei einem „guten“ Kompromiss üblich, weder einen eindeutigen Gewinner noch einen eindeutigen Verlierer geben wird. Da jedoch die Rolle der Leistungsträger im Bundesteilhabegesetz (BTHG) deutlich gestärkt wurde, ist wohl eher von sechszehn schlechten Kompromissen auszugehen.

Nicht alle mögen Vielfalt. Auch in der Politik nicht. Und die Damen und Herren, die lauthals von „Überfremdung“ reden und dabei an primitive Angstimpule appellieren, sind eigentlich gegen nichts anderes als gegen „Übervielfältigung“.

Wenn  „Vielfalt“ tatsächlich das Gegenteil von „Einfalt“  sein sollte, und „Vielfalt“ nicht erwünscht ist, dann ist klar, wohin die Reise geht.

Von den in Sozial- und Pflegeberufen Tätigen wird erwartet, dass sie möglichst unaufgeregt und leicht lenkbar ihre Arbeit in meist prekären und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen erledigen. Soziales kostet. Und je weniger aufgemuckt wird, desto preisgünstiger lassen sich Soziale Dienstleistungen einkaufen.

Je uniformer und angepasster eine Gemeinschaft oder Gruppe, desto leichter lässt sie sich steuern und verwalten. Ist es da wirklich verwunderlich, dass wir uns wohl an streikende Lokführer*innen und Pilot*innen gewöhnt haben, aber Streiks im Sozialbereich die Ausnahme sind und so gut wie gar nicht vorkommen? Und während Oma Klawutttke durch einen streikbedingten Flugausfall durchaus der Urlaub vermiest wird, lässt sich die Frage, was Oma Klawuttke durch einen Streik des Betreuungspersonals in einer Wohnstätte, in der Menschen mit Behinderungen leben, vermiest werden könnte, leider viel zu schnell beantworten.

Soziale Arbeit geschieht im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis und damit ist sie mehr als „nur“ ein helfender Beruf, in dessen Fokus der Klient steht. Sie hat immer auch eine politische Komponente!

Von Mechthild Seithe, die von 1993 bis 2011 an der Fachhochschule Jena lehrte, gibt es einen interessanten Aufsatz, in dem sie die „Notwendigkeit der Politisierung der Sozialarbeitenden“ schlüssig darlegt und auch ihr mit viel Leidenschaft verfasster Beitrag „Zur Begründung einer Repolitisierung Sozialer Arbeit“ aus dem Jahr 2011, hat an Aktualität nichts eingebüßt.

Die Frage ist, ob es womöglich gewollt ist und so etwas wie ein dem Wesen Sozialer Dienstleistungen zugrunde liegendes Prinzip sein könnte, dass Soziale Arbeit stets in fragilen Strukturen und unter einem hohen Kostendruck zu agieren hat.

Wer in Angst um die eigene Existenz lebt, macht Kompromisse mit dem eigenen Ich und schert für gewöhnlich nicht aus. Immerhin könnte ein Fördermittelantrag abgelehnt, ein dringend benötigter Zuschuss gekürzt oder gestrichen, der Eigenmittelanteil weiter erhöht, die Kostenzusage nicht verlängert, eine Betriebserlaubnis entzogen oder eine Belegungszusage verweigert werden. Das macht zahm. (Anmerkung: Der zugegeben etwas saloppe Spruch „Er war bis zur Unkenntlichkeit verheiratet“, würde dann übertragen auf unser Thema ungefähr lauten: „Er war bis zur eigenen Unkenntlichkeit Sozialarbeiter, Krankenpfleger, Erzieher, Heilerziehungspfleger, Sozialpädagoge, Heilpädagoge, Altenpfleger, …“)

Und wenn endlich der Bedarf tausender Leistungsberechtigter in einer Handvoll Hilfebedarfsgruppen und die Leistung tausender Mitarbeiter*innen in einer übersichtlichen Anzahl von Tarifwerken abbildbar sind, werden sich diejenigen, die die Steuerungsfunktion innehaben, zufrieden zu Bett legen. Niemand wird ihren Schlaf ernsthaft stören: Keine bittstellenden Klient*innen und keine Sozialarbeiter*innen in prekären Arbeitsstrukturen. Und auch keine Oma Klawuttke.

„Über das Brot, das Dir in der Küche fehlt, wird nicht in der Küche entschieden!“, so lautete einer der Sprüche aus der Zeit, als man nicht nur zum Flanieren auf die Straße ging.

Liebe Kolleg*innen aufgepasst: Es muss dringend lauter und bunter werden. Wir brauchen entschieden mehr Mut zur Vielfalt! Vielfalt, Diversität und Individualität sind weitaus mehr als Fachkonzepte. Sie sind die Voraussetzung für individuelle (und politische) Entwicklung und Veränderung.

Und eine Lebenseinstellung.