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Wunschkind bleiben

Michael Zander
Michael Zander
Foto: Daniel Kause

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Foto: Daniel Kause

BERLIN (KOBINET) Kirsten Achtelik analysiert Konflikte zwischen Feministinnen, Behindertenaktivisten und ­fundamentalistischen Abtreibungsgegnern. Unter dem Titel "Wunschkind bleiben" hat Michael Zander in Literatur/Leipziger Buchmesse, Beilage der jungen Welt vom 17.03.2016 eine Rezension zu diesem Buch veröffentlicht, deren Abdruck er den kobinet-nachrichten angeboten hat und die wir im folgenden abdrucken.



Wunschkind bleiben

Kirsten Achtelik analysiert Konflikte zwischen Feministinnen, Behindertenaktivisten und ­fundamentalistischen Abtreibungsgegnern

Von Michael Zander

Vorgeburtliche Untersuchungen sind in der Gynäkologie gang und gäbe: Werdende Mütter und Väter möchten wissen, ob mit dem künftigen Kind, auf dessen Geburt sie warten, „alles in Ordnung“ ist. Und sie hoffen, dass Pränataldiagnostik (PND) ihre Erwartungen bestätigt. Aber was, wenn die Bestätigung ausbleibt? Wenn ihnen zum Beispiel mitgeteilt wird, es bestehe ein Risiko, dass das Kind das „Down-Syndrom“ haben werde? Dann beginnt ein Prozess, an dessen Ende – zum Beispiel im Fall der Trisomie 21 – meist ein Schwangerschaftsabbruch steht.

Was für die Betroffenen zunächst ein persönliches Problem ist, ruft politisch verschiedene Positionen auf den Plan: Viele Feministinnen sehen in der PND und dem Abbruch Mittel und Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung von Frauen; die Behindertenbewegung hingegen kritisiert diesen Trend häufig als „eugenisch“; und christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner, die sich selber „Lebensschützer“ nennen, bedienen sich des Themas, um für ein weitergehendes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu demonstrieren. Dieses komplizierte Konfliktfeld analysiert die Journalistin und Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“, das 2015 im Berliner Verbrecher Verlag erschien.

Das zentrale Streitobjekt zwischen Frauen- und Behindertenbewegung war für lange Zeit die sogenannte embryopathische Indikation. Bis 1995 gestattete der Strafrechtsparagraph 218 einen Schwangerschaftsabbruch im Fall einer „drohenden“ Behinderung des späteren Kindes. Man ist überrascht zu lesen, dass diese Regelung von den Nazis eingeführt, von den Alliierten abgeschafft und später in beiden deutschen Staaten wiederhergestellt wurde. Achtelik zeichnet die Kontroversen in den westdeutschen sozialen Bewegungen nach. Demzufolge hat der Feminismus der 1970er Jahre das Problem der Eugenik nicht wahrgenommen und sich auf die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 konzentriert. Die damals prominente Gruppe „Brot und Rosen“ hat die angeblichen Belastungen, die behinderte Kinder für Frauen nach sich ziehen, sogar als Argument für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts genutzt. In Frage gestellt wurde diese Sichtweise, wie die Autorin herausarbeitet, erst durch die Behindertenbewegung der 1980er Jahre. Führend waren hier die feministischen „Krüppelfrauen“. Diese traten einerseits gegen das Abtreibungsverbot auf, kritisierten aber andererseits selektive Abbrüche und das Vorurteil, wonach Behinderung nicht wünschenswert und mit Leiden verbunden sei.

Achtelik macht deutlich, dass diese historische Kontroverse noch nicht erledigt ist, auch wenn die eugenische Indikation 1995 auf Druck von Behindertenorganisationen abgeschafft wurde. Deshalb kann im Fall eines beabsichtigten Abbruchs heute nicht mit einer vermuteten Krankheit des Embryos, vielmehr muss mit dem Wohl der Frau argumentiert werden. Aktuelle Brisanz erhalten die früheren Debatten dadurch, dass heute zumeist rechtsgerichtete „Lebensschützer“ für eine „Inklusion“ Ungeborener demonstrieren und gleichzeitig PND weiterentwickelt und immer selbstverständlicher wird. Die feministische Position, die den Strafrechtsparagraphen 218 und selektive Abbrüche gleichermaßen ablehnt, untermauert die Autorin, indem sie die Widersprüchlichkeit der jetzigen Praxis analysiert. „So hat die BRD zwar eine der höchsten Ultraschallquoten weltweit, aber eine sehr niedrige Erkennungsquote für fötale Herzfehler. Der ‚genetische Blick‘ sucht nicht nach postnatal behandelbaren Problemen, sondern nach Softmarkern für Behinderungen. (…) Ist es tatsächlich die Bekämpfung der Sorgen von Frauen, die sich das Gesundheitssystem so viel Geld kosten lässt? (…) Die pränatal vorgeblich mögliche Behinderungsvermeidung erlaubt die Projektion gesellschaftlicher Ängste vor Abhängigkeit und Angewiesensein auf den Fötus.“

Im Schlusskapitel des Buchs macht Achtelik Vorschläge für eine „Selbstbestimmung ohne Selektion“. Dazu gehören unter anderem der Kampf gegen den Paragraphen 218 und die „Lebensschützer“, der Ausschluss selektiver PND aus den Kassenleistungen, die Beendigung staatlicher Forschungsförderung für Bluttests und langfristig die Schaffung einer Gesellschaft, die sich an Bedürfnissen von Menschen orientiert und nicht an „Spar-, Sach- und Profitzwängen“. Es gehe nicht darum, resümiert die Autorin, die Fortsetzung ungewollter Schwangerschaften zu erzwingen, sondern darum, das „unbeabsichtigte Ungewollt-Werden von Schwangerschaften“ zu verhindern und zu ermöglichen, dass „Wunschkinder Wunschkinder bleiben und werdende Eltern Eltern werden können“.

Kirsten Achtelik: Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränatal­diagnostik, Abtreibung. Verbrecher Verlag, Berlin, 224 Seiten, 18 Euro