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BERLIN (KOBINET) Statt den menschenrechtlichen Anspruch auf volle und gleichberechtigte Teilhabe anzuerkennen, ist der Gesetzgeber nach Ansicht des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) beim Bundesteilhabegesetz auf dem besten Weg, die Strukturen für ein einheitliches Rehabilitationsrecht aufs Spiel zu setzen, die Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe massiv einzuschränken und viele Menschen aus dem System herauszudrängen. Christiane Möller, Rechtsreferentin des DBSV, macht dies anhand von sechs Beispielen deutlich.
Weg von der Sozialhilfe, hin zur gleichberechtigten Teilhabe für Menschen mit Behinderung: Diesen Paradigmenwechsel sollte das Bundesteilhabegesetz (BTHG) bringen. Der Arbeitsentwurf, der seit Anfang des Jahres kursiert, deute aber genau in die entgegengesetzte Richtung, schreibt Christiane Möller im Newsletter DBSV direkt und führt folgende Beispiele an:
„1. Viele Menschen mit Behinderung, die am ersten Arbeitsmarkt tätig sind, müssen sich auf eine wirtschaftliche Verschlechterung einstellen. Wenn sie jährlich mehr als 30.000 Euro brutto verdienen und Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen, führt der neu festgesetzte Eigenbeitrag dazu, dass sie unabhängig von ihrem Bruttoeinkommen monatlich nur noch 1.600 bis 1.800 Euro netto auf ihrem Konto verbuchen können. Leistung soll sich für behinderte Menschen offenbar gar nicht mehr lohnen.
2. Das Recht auf Selbstbestimmung wird missachtet. Wer Unterstützung beim selbstständigen Wohnen braucht, kann noch weniger als bisher wählen, wie, wo und mit wem er leben will. Bislang galt: ambulant vor stationär. Jetzt entscheidet das billigste Angebot. Und noch schlimmer: Wenn die gemeinschaftliche Inanspruchnahme von Leistungen kostengünstiger ist, haben individuelle Lösungen keine Chance mehr. So kann Inklusion nicht gelingen. Die Abschaffung stationärer Einrichtungen gibt es zwar auf dem Papier, nicht aber in der Realität.
3. Die freie Wahl der Schule wird ausgehebelt. Wenn Eltern ihr Kind auf eine Blinden- und Sehbehindertenschule mit Internat schicken wollen, droht ihnen ein Leben auf Sozialhilfeniveau. Bisher waren die Kosten auf die häusliche Ersparnis in Folge der Internatsunterbringung begrenzt, jetzt muss das gesamte Einkommen und Vermögen oberhalb der engen Sozialhilfegrenzen eingesetzt werden. So werden Blinden- und Sehbehindertenschulen durch die Hintertür abgeschafft.
4. Der Leistungskatalog für die Teilhabe an Bildung ist nicht mehr offen formuliert und wird deutlich eingeschränkt. Eine Regelung zur Hilfsmittelversorgung fehlt vollständig, was gerade für blinde und sehbehinderte Menschen notwendig ist, um überhaupt Bildungsangebote wahrnehmen zu können. Hilfen für einen Masterstudiengang gibt es nur noch, wenn der Bachelorstudiengang nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Erwachsenenbildung und außerschulische Bildungsangebote bleiben vollkommen unberücksichtigt. Lebenslanges Lernen bleibt damit eine Illusion.
5. Sehbehinderte Menschen drohen aus der Eingliederungshilfe herauszufallen, insbesondere dann, wenn sie nur in einem Lebensbereich Unterstützung brauchen. So müssen sehbehinderte Studierende ihre studienbedingt notwendige und oft sehr teure Hilfsmittelausstattung oder ihre Vorlesekraft künftig selbst finanzieren. Die freie Berufswahl wird damit zu einer Frage des Geldes.
6. Die Blindenhilfe landet auf dem Abstellgleis. Blindengeldempfänger haben weiterhin nur dann Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe, wenn sie nicht mehr als 2.600 Euro angespart haben. Für die Eingliederungshilfe dagegen liegt die Vermögensgrenze ab 2017 bei 25.000 Euro und ab 2020 bei 50.000 Euro.
In der kommenden Woche soll der lang angekündigte Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes erscheinen. Bleibt zu hoffen, dass dieser noch deutliche Verbesserungen erfährt, denn ein Spargesetz, das zulasten von Menschen mit Behinderung geht, ist nicht akzeptabel“, betont Christiane Möller.