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Noch 10 Tage bis zur Bundestagswahl

Jens Merkel
Jens Merkel
Foto: ForseA e.V.

GRIMMA (KOBINET) Jens Merkel hat sein Wahlrecht für die Bundestagswahl bereits per Briefwahl genutzt. Wichtig ist ihm vor allem, dass endlich die schon seit über 40 Jahren diskutierte Reform der Eingliederungshilfe bzw. ein Bundesleistungsgesetz verabschiedet wird. Dann müsste er sich wahrscheinlich auch nicht mehr so viel mit seinem Sozialamt herumärgern.

kobinet-nachrichten: Wie wirst du dich am 22. September an der Bundestagswahl beteiligen? Rollst du ins Wahllokal oder nutzt du die Briefwahl?

Jens Merkel: Natürlich werde ich mein Wahlrecht wahrnehmen. Oder besser gesagt, ich habe mein Wahlrecht schon wahrgenommen. Da wir hier in Grimma im Juni wieder ein Hochwasser erleben mussten, sind die Wahllokale leider noch nicht wieder alle zugängig. Die Stadtverwaltung musste hier Alternativen finden. Da mein reguläres Wahllokal nicht barrierefrei ist, hätte ich mir sowieso einen Wahlschein beantragen müssen, damit ich in einem anderem barrierefreien Wahllokal wählen hätte können. So habe ich gleich die Briefwahl genutzt.

kobinet-nachrichten: Welche Themen sind für dich als stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen bei der anstehenden Bundestagswahl besonders wichtig?

Jens Merkel: Natürlich sind die Themen für mich wichtig, bei denen zu erkennen ist, welche Parteien sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen und Menschen mit Assistenzbedarf im Besonderen einsetzen. Dabei geht es vor allem um die Umsetzung des Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention, der ja wie bekannt Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben dort gewährleistet, wo er es möchte und nicht in besondere Wohneinrichtungen, sprich in „Heime“ abgeschoben werden kann.

kobinet-nachrichten: Das Problem, dass du während der Bundestagswahl im Urlaub bist, hast du ja nicht, weil dir dein Sozialamt die Übernahme der anfallenden Kosten für deine Persönliche Assistenz im Urlaub abgelehnt hat. Was ist da genau los?

Jens Merkel: Ja genau! Ich fühle mich schon diskriminiert, denn die Kosten für die notwendige Begleitperson, also meinen Assistenten werden nicht übernommen. Das Sozialamt und auch der Landrat ist der Auffassung, dass eine Finanzierung einer Urlaubsreise für meinen Assistenten nicht erforderlich sei. Weiter ist der Kostenträger der Ansicht, dass „in Zeiten knapper Kassen der Sozialhilfeträger genau abwägen und sein Ermessen ausüben muss, ob einem Antrag auch im Hinblick auf bereits genehmigte Antrage entsprochen werden kann“. Hier muss ich energisch widersprechen. Es kann ja nicht sein, dass wir als Menschen mit Behinderungen nicht auf Augenhöhe mit Menschen ohne Behinderungen behandelt werden. Wenn ich mir als Grundsicherungsempfänger selbst aus den spärlichen Mitteln eine kleine Urlaubsreise zusammenspare, und mir dann die Kosten für meine nun mal notwendige Begleitperson nicht übernommen werden, dann kann das nicht im Sinne des Gesetzgebers sein.

kobinet-nachrichten: Wie schätzt du deine Erfahrungen mit dieser Ablehnung im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention ein?

Jens Merkel: Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt eindeutig vor, dass die deutschen Gesetze im Sinne der Behindertenrechtskonvention auszulegen sind. Das heißt im konkreten Fall, dass das Sozialamt mir nicht verwehren darf, im Rahmen einer Urlaubsreise oder auch mit einer Teilnahme an einer kulturellen Veranstaltung am gesellschaftlichen und kulturellem Leben teilhaben zu dürfen. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass ich nicht nur teilhaben, sondern auch gewissermaßen teilgeben darf.

kobinet-nachrichten: Wäre aus deiner Sicht ein Bundesleistungsgesetz hilfreich, um die Rechte behinderter Menschen, die auf Assistenz angewiesen sind, zu stärken? Und würdest du mit einem solchen Gesetz im Rücken zukünftig in den Urlaub fahren können?

Jens Merkel: Wir Menschen mit Behinderungen brauchen dringend ein Bundesleistungsgesetz. Ich weiß schon nicht mehr, wie lange die Politik über die sogenannte Reform der Eingliederungshilfe diskutiert? Es war ja bereits im Jahr 1973 als die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Antrag in genau dieser Richtung formulierte und ins Parlament einbrachte. Allerdings muss das Gesetz so formuliert werden, dass sich alle behinderten Menschen im Gesetz wiederfinden. Für Menschen mit Assistenzbedarf ist beispielsweise ein Gesetz, ohne das darin die individuelle Bedarfsdeckung geregelt ist, nicht akzeptabel. Und natürlich ist die Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit bei den sogenannten behinderungsbedingten Fachleistungen für ein solches Gesetz Voraussetzung. Damit könnte ich mir dann auch – wenn auch vielleicht nach längerem Ansparen – mal einen Urlaub ins Warme leisten.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.