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Foto: Christian Hübner
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Foto: Christian Hübner
MUNCHENBERNSDORF (KOBINET) Gestern Abend berichtete Frontal 21 über einen 48-jährigen Mann aus Düsseldorf, der durch einen Skiunfall schwer behindert der von "seinem" Kostenträger in einem Pflegeheim für alte Menschen, noch dazu ohne Kontakt zu den übrigen Bewohnerinnen und Bewohnern festgehalten wird. Er teilt dieses Schicksal mit mehr als 30.000 anderen behinderten Menschen. Als Begründung führte der Kostenträger aus, dass er gut untergebracht und verpflegt sei.
Munchenbernsdorf (kobinet) Gestern Abend berichtete Frontal 21 über einen 48-jährigen Mann aus Düsseldorf, der durch einen Skiunfall schwer behindert der von „seinem“ Kostenträger in einem Pflegeheim für alte Menschen, noch dazu ohne Kontakt zu den übrigen Bewohnerinnen und Bewohnern festgehalten wird. Er teilt dieses Schicksal mit mehr als 30.000 anderen behinderten Menschen. Als Begründung führte der Kostenträger aus, dass er gut untergebracht und verpflegt sei. Das zuständige Sozialamt in Neuss verweigerte ein Interview. Dieses Sozialamt schrieb in einer Stellungnahme: „Der Verlegung in die gewünschte Düsseldorfer Einrichtung konnte das Kreissozialamt nicht zustimmen, da die … Kosten … zum Zeitpunkt der Überprüfung um monatlich 1.300 Euro höher waren als im Krefelder Gerhard Terstegen-Haus“.
Gestern berichteten die kobinet-nachrichten auch über das Münchner Sozialamt, dass ein persönliches Budget und selbst die daraus resultierende Schwankungsreserve kurzerhand zum Vermögen eines Grundsicherungsbeziehers erklärte und die Grundsicherungszahlung einstellte. Beteiligt an der Kampagne ist auch eine Abteilung, die ebenfalls mit einem Teilbudget in dieser Sache involviert ist – und dieses ebenfalls einstellte.
Den Kontrast hierzu bietet das Elf-Punkte-Papier der Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder. Das Ergebnis des Treffens dieser Gruppe zeigt den bestehenden Handlungsbedarf. Vom Sozialminister des Landes Nordrheinwestfalen ist bekannt, dass er sich hinter diese elf Punkte stellt, eine Zusage der anderen 15 Minister, bzw. Senatoren steht noch aus.
Über diesen Kontrast in der gestrigen Berichterstattung sprach kobinet-Redakteur Gerhard Bartz mit Alexander Hübner, Beisitzer in den Vorständen des MMB e.V. und des ForseA e.V.
kobinet: Was empfanden Sie gestern beim Betrachten des ZDF-Beitrages?
Hübner: Das Sozialamt tut gut daran, keine Stellungnahme vor der Kamera abzugeben. Gesichts- und namenlos fällt eine solche Aussage viel leichter. Das Sozialamt unterscheidet sich kaum von anderen. Bestehende Regelungen im SGB XII werden missachtet, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen wohl unbekannt. Vom sicheren Schreibtisch aus lässt es sich gut in andere Schicksale einmischen.
kobinet: Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?
Hübner: Der Mann wurde fünf Jahre lang nicht gefördert. Weder körperlich noch geistig. So was steht anscheinend in einem Pflegeheim, das anscheinend nur noch als Endlager angesehen wird, nicht mehr auf der Agenda. Diese fünf Jahre sind dem Mann nach meiner Ansicht deutlich anzusehen. Für mich ist ein derartiger Umgang mit Menschen – gleich welchen Alters – unmenschlich. Diese Aussage zielt nicht alleine auf das Heim, dort fällt sehr oft die Menschlichkeit zugunsten des Gewinnstrebens des Investors hinten runter. Auch unsere Gesellschaft, die nur noch die jungen, fitten, arbeitsfähigen und konsumfreudigen Menschen fördert, ist schuld daran. Schuldig durch Wegschauen, schuldig deshalb, weil sie nicht aufbegehrt. Schuldig auch, weil sie zulässt, dass behinderte und alte Menschen so weit ausgegrenzt werden, dass sie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Die letzten Fenster in deren Welt, beispielsweise Frontal 21, muss man sich ja nicht antun. Wenn diese Menschen aus der Wahrnehmung verschwunden sind, kann man mit Ihnen nach eigenem Gutdünken verfahren.
kobinet: Käme bei diesem Mensch nicht auch ambulante Assistenz in Frage?
Hübner: Klar, dieser Aspekt wurde gestern leider gar nicht angesprochen. Kein Mensch muss mehr in ein Heim. Ein Heimaufenthalt gegen den eigenen Willen ist für uns unzumutbar. In diesem Fall darf auch der Kostenvergleich nach § 13 SGB XII nicht mehr durchgeführt werden. Und dann gibt es auch noch den Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention, nach dem niemand mehr wegen seiner Behinderung in besondere Wohnformen gezwungen werden kann. Dieses ist in Deutschland seit vier Jahren geltendes Recht. Lediglich die Bundesregierung und in ihrem Kielwasser die Kostenträger versuchen, uns dies auszureden. Vor Gericht werden letztere jedoch scheitern, denn dort kommt die Konvention regelmäßig zum Einsatz. Eigentlich gehört die Regierung als Mitschuldige mit auf die Verliererseite.
kobinet: Gestern haben wir über Ferdinand Schießl berichtet. Das bestätigt Ihre Ansicht von den Kostenträgern doch ebenfalls?
Hübner: Richtig. Das Budget und auch die sog. Schwankungsreserve wird vom Budgetnehmer lediglich verwaltet. Er hat nie das Eigentum daran. Diese Beträge sind zur Auszahlung an die Assistenzpersonen gedacht. Nicht verwendete Mittel sind zwingend zurückzuzahlen. Es fällt schwer, sich nicht auszumalen, wie es zu einer solchen geistigen Fehlleistung beider Sachbearbeiter gekommen ist. Vielleicht hat man sich zur „Schikane der Woche“ verabredet, vielleicht hat man eine Wette gewonnen oder verloren, vielleicht ist die Schwiegermutter zu Besuch. Man weiß es nicht. Tatsache ist, dass es eine solche Entscheidung in Deutschland nach unserem Wissen noch nie so eine Absurdität gab. Eine Absurdität, die Ferdinand Schießl schon seit zwei Monaten plagt und nicht schlafen lässt. Derweil machen „seine“ Sachbearbeiter vermutlich pünktlich Feierabend, genießen ihr Familienleben und schlafen den Schlaf der Gerechten. Wenn es klappt, wird es diesmal jedoch zur Strafanzeige kommen, wenn der Skandal nicht kurzfristig aus der Welt geschaffen wird. Dann geht es auch bis in die Behördenspitze, denn diese scheint ihre Dienst- und Rechtsaufsicht nicht sonderlich ernst zu nehmen.
kobinet: Gegen diese beiden Nachrichten müssen die elf Punkte aus Düsseldorf doch einen angenehmen Kontrast geboten haben.
Hübner: Diese elf Punkte – für die ich mich bei den Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder herzlich bedanke, zeigen in einer komprimierten Form, dass die Menschenrechte für behinderte Menschen in Deutschland kaum existieren. Keine andere Bevölkerungsgruppe wird ihr Leben lang so nachhaltig vom Staat schikaniert und drangsaliert wie behinderte Menschen. Heerscharen von Wissenschaftlern, Medizinern, Sachverständigen, Sachbearbeitern dienen wir der Arbeitsplatzsicherung. Wenn ich doch nur annähernd so viel Hoffnung auf eine Beseitigung meines Handicaps hätte wie diese „optimistische“ Berufsgruppen. Ständig werde ich überprüft, begutachtet, mein Leben umorganisiert. Will ich in ein Konzert, für das ich meinem Assistenten den Eintritt bezahlen muss, bin ich verpflichtet, vorher einen Antrag zu stellen, sonst bekomme ich diese Kosten der notwendigen Assistenz nicht erstattet.
kobinet: Welche Punkte liegen Ihnen besonders am Herzen?
Hübner: Es sind vordringlich drei: Erstens, dass die Pflicht zur Bedarfsdeckung beibehalten wird und dass mir mein Bedarf auch geglaubt wird. Mein Bedarf lässt sich in der Assistenz nicht als Summe der Einzelbedarfe ermitteln. Dies wurde längst vom Bundessozialgericht bestätigt. Erstens kann dieser Katalog nie komplett und stimmend sein, zudem gibt es auch Zeiten zwischen einzelnen Verrichtungen, in denen mal keine Arbeit anfällt und drittens absolviere ich nicht meine kalkulierten fünf Toilettenbesuche hintereinander. Die von den Sozialhilfeträgern reklamierte Bindungswirkung an das SGB XI ist mit der Pflicht zur Bedarfsdeckung nicht vereinbar und wird dennoch immer und immer wieder hervorgezogen. Im Streitfall sollte nicht ein Vertreter der obigen Berufsgruppen entscheiden. Ich glaube, dass behinderte Menschen ein Gespür dafür haben, wenn jemand – aus welchem Grund auch immer – zu viel Assistenz beantragt. Daher sollten Verbände der Behindertenselbsthilfe im Konfliktfall mitentscheiden dürfen. Der Mensch mit Behinderung sollte selbst entscheiden, ob er Beratung benötigt und falls ja von wem. Ich bin mir sicher, dass Kostenträger ihren Ruf als Berater dadurch ruiniert haben, dass sie selten die Interessen des zu Beratenden im Fokus hatten.
kobinet: Und der zweite Punkt?
Hübner: Das ist für mich die Mobilität. Dort, wo ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zurechtkomme oder weil ich diese wegen meiner körperlichen Situation beispielsweise im Winter nicht nutzen kann, werde ich heutzutage noch auf Behindertenfahrdienste verwiesen. Nach dem Urteil des LSG Baden-Württemberg ist dieses nicht mehr so einfach, denn es hat auch in diesem Bereich die Pflicht zur Bedarfsdeckung in einen hohen Rang erhoben. Begründet hat das Gericht auch mit dem § 8 der Eingliederungshilfeverordnung und dem Artikel 20 der Behindertenrechtskonvention. Die Mobilität ist neben der Assistenz ein wichtiger Punkt in meinem Leben. Daher freue ich mich sehr über dieses Urteil, das für mich einen erheblichen Zuwachs an Rechtssicherheit bedeutet. Der dritte Punkt ist der Wegfall der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Menschen mit Behinderung können endlich selbst auf Anschaffungen ansparen, sich selbst eine soziale Absicherung für das Alter aufbauen. Sie können erben und vererben, ja, sie können sogar Partnerschaften eingehen, ohne den Gegenpart automatisch der Armut preiszugeben. Heute würden sich die Sozialhilfeträger sofort über seine Rücklagen hermachen und ihn bis auf einen kleinen Rest von etwa 600 Euro davon befreien. Ausbildung und Arbeit würden sich lohnen, wenn die motivationsbremsende permanente Enteignung durch die Sozialämter abgestellt wird. Und nicht zuletzt die Strafgebühr in Höhe von ca. 32 Euro, die unsere Eltern als „Unterhalt“ an die Sozialämter dafür zahlen müssen, dass wir behindert sind. Auch diese Regelung, die sehr viel Unfrieden in die Familien brachte, weil plötzlich stapelweise Formulare und Erklärungen abzugeben waren, gehört dann der Vergangenheit an.
kobinet: Wie lange wird es noch dauern, bis diese Punkte umgesetzt werden?
Hübner: In dieser Legislatur wird nichts mehr passieren. Aber die neue Bundesregierung – gleich welcher Zusammensetzung – wird nicht umhinkommen, die jahrelange Stagnation in der Politik für behinderte Menschen zu beenden. Vom Persönlichen Budget, selbst das fand weitestgehend nur auf bunten Hochglanzbroschüren statt, mal abgesehen, hat sich seit langer Zeit nichts mehr für behinderte Menschen getan. Behinderung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, wie Krankheit auch, Sie darf nicht dazu missbraucht werden, diese Menschen und ihre Angehörigen in Armut und personellen Abhängigkeiten alleine zu lassen,
kobinet: Herr Hübner, wir bedanken uns für das Gespräch.
weitere Infos:
Artikel über das 11-Punkte-Papier: http://tinyurl.com/pns5hr3
Artikel über Ferdinand Schießl: http://tinyurl.com/oqred3l
Frontal21-Beitrag: http://tinyurl.com/qalfzzk
Zusammenfassung des LSG-Urteiles: http://tinyurl.com/klf6dab