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BERLIN (kobinet) Die Diakonie Deutschland und der Evangelische Bundesfachverband für Teilhabe (BeB) begrüßen die Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die Evaluation zeigt, dass das BTHG noch lange nicht vollständig umgesetzt ist und es große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Teilhabeleistungen werden oft noch nicht gewährt, obwohl dies im Gesetz vorgeschrieben ist. Angesichts dieser Ergebnisse appellieren die beiden Verbände an die künftige Bundesregierung, die Umsetzung des geltenden Rechts im Dialog mit den Bundesländern zu beschleunigen.
Menschen mit Behinderung müssen sich in ganz Deutschland darauf verlassen können, dass sie die Leistungen erhalten, die ihnen nach dem Bundesteilhabegesetz zustehen.
Anmerkungen zu den zentralen Erkenntnissen der Evaluation:
Wunsch- und Wahlrecht: Das Wunsch- und Wahlrecht, insbesondere bei der Wohnform, ist oft nicht gegeben. Gewünschte Leistungen dürfen häufig nicht mehr kosten als alternative Angebote, was zu Interessenkonflikten führt.
Bedarfsermittlung und Gesamtplanung: Die neue ICF-basierte Bedarfsermittlung wird in den Ländern unterschiedlich angewendet und führt oft nicht zu den entsprechenden Leistungen. Dies gilt besonders für Menschen, die in besonderen Wohnformen, den früheren stationären Einrichtungen leben.
Kosten der Eingliederungshilfe: Die Evaluation zeigt, dass das Bundesteilhabegesetz bisher nicht wesentlich zu den Kostensteigerungen in der Eingliederungshilfe beigetragen hat.
Gesamteinschätzung: Zwischen dem sozialpolitischen Anspruch, der mit dem Bundesteilhabegesetz verbunden ist, und der Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung besteht nach wie vor eine große Diskrepanz. Leistungsträger und Leistungserbringer müssen diese Lücke zwischen Rechtanspruch und Realität gemeinsam schließen.
Elke Ronneberger, Diakonie-Bundesvorständin Sozialpolitik erklärt dazu: „Das Bundesteilhabegesetz muss konsequent umgesetzt werden. Es ist die gesetzliche Grundlage dafür, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt wohnen, sich bilden und arbeiten können. Auch wenn uns die Entwicklung in den letzten Jahren, von der Corona-Pandemie bis zu den aktuellen weltpolitischen Konflikten vor große Probleme stellt, dürfen wir in dem Bemühen nicht nachlassen, Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.“
Und der stellvertretende Vorsitzend des BeB Dr. Christian Geyer fügt an: „Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass das BTHG nachgesteuert werden muss. Der Nachteilsausgleich ist ein Rechtsanspruch und soll der gleichberechtigten Teilhabe dienen. Stattdessen geht es nur noch um Ausgabedynamiken und den Ausbau der Bürokratie. Wir müssen sicherstellen, dass die Teilhabe im Fokus bleibt und gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet garantiert werden.“
Das BTHG war nie eine echte Reform, sondern eine bürokratische Umstrukturierung, bei der die Leistungsträger ihre alten Methoden einfach in die neue Gesetzeslogik gezwängt haben. Es ging nicht darum, tatsächliche Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen, sondern darum, bestehende Kontrollmechanismen und Kostengrenzen zu erhalten.
Die angebliche „Individualisierung“ durch die ICF-basierte Bedarfsermittlung hat in der Praxis nicht dazu geführt, dass Menschen mit Behinderung mehr Wahlfreiheit oder echte Unterstützung bekommen. Stattdessen werden sie weiterhin in vorgefertigte Versorgungsmodelle gepresst – nur mit neuen Begrifflichkeiten. Die Leistungsträger argumentieren weiterhin mit Kosten und verweigern Leistungen, indem sie sich auf bürokratische Details berufen.
Statt einer Neuausrichtung des Systems haben wir eine Reform, die nur verwaltet, aber nicht gestaltet. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich an Regelungen, der weder Transparenz noch Verlässlichkeit bietet. Im Endeffekt bleibt das BTHG ein Umsetzungsproblem – nicht weil es so revolutionär wäre, sondern weil es nie wirklich als Systemwandel gedacht war.