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Kritik an Beerdigung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie aus Deutschland

Flagge der EU
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Foto: gemeinfrei

Krautheim / Berlin (kobinet) Die EU-Kommission hat die Antidiskriminierungsrichtlinie aus ihrem Arbeitsprogramm gestrichten. Für den Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) ist dies ein verheerendes Signal für die Gleichstellung und Barrierefreiheit in Europa. Der Verband kritisiert vor allem, dass Deutschland bei der Richtlinie immer auf die Bremse getreten ist und damit einen entscheidenden Beitrag zum Scheitern dieses wichtigen Vorhabens geleistet hat. Auch von der LIGA Selbstvertretung hagelt es Kritik an diesem Schritt der von Ursula von der Leyen geführten EU-Kommission.

Mit großer Bestürzung nahm der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) zur Kenntnis, dass die EU-Kommission die seit 16 Jahren blockierte Antidiskriminierungsrichtlinie dauerhaft aus ihrem Arbeitsprogramm gestrichen hat – ohne jegliche Alternative vorzulegen. Dies sei ein schwerer Rückschlag für die Rechte von Millionen Menschen mit Behinderungen, älteren Menschen sowie Menschen, die aufgrund ihrer Religion oder sexuellen Orientierung Diskriminierung erfahren. Verena Gotzes, Bundesvorsitzende des BSK, kritisiert die Entscheidung scharf: „Die EU-Kommission sendet ein verheerendes Signal an alle Menschen, die täglich mit Diskriminierung konfrontiert sind. Die Streichung dieser Richtlinie bedeutet, dass der Schutz vor Benachteiligung in vielen Lebensbereichen weiterhin lückenhaft bleibt. Es ist unerträglich, dass grundlegende Menschenrechte aus politischer Bequemlichkeit einfach vom Tisch gewischt werden.“

Auch die Grünen-Europaabgeordnete Katrin Langensiepen, Vorsitzende der interparlamentarischen Gruppe von Menschen mit Behinderungen, hat sich enttäuscht über diese Entwicklung gezeigt: „Menschenrechte werden hiermit per Federstrich beerdigt. Antidiskriminierung spielt im Programm von Frau von der Leyen keine Rolle mehr. Erst keine Kommissarin mehr für Gleichstellung, nun auch gleich die ganze Direktive gestrichen.“ Der BSK erinnert daran, dass die Europäische Union die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat und somit verpflichtet ist, Menschen mit Behinderungen rechtliche Rahmenbedingungen zur Durchsetzung ihrer Rechte zu geben. Doch stattdessen ziehe sich die EU-Kommission aus der Verantwortung zur Schaffung eines wirksamen Schutzes vor Diskriminierung zurück.

Zusätzlich wurde während der belgischen Ratspräsidentschaft bis zum 30. Juni 2024 eine erneute Chance vertan, die Richtlinie voranzubringen. Deutschland war erneut zentraler Bremser und hat mit seiner Blockadehaltung, insbesondere durch die FDP-geführten Ministerien, eine bedeutende Gelegenheit verstreichen lassen. Behindertenverbände sind empört über dieses wiederholte Verhindern von dringend benötigten Regelungen zur Barrierefreiheit und Gleichstellung, heißt es vom BSK. Verena Gotzes appelliert an die Bundesregierung sowie an alle Mitgliedstaaten der EU, Druck auf die Kommission auszuüben: „Deutschland und die EU-Mitgliedstaaten dürfen diesen gravierenden Rückschritt nicht hinnehmen. Wir brauchen eine klare gesetzliche Grundlage, die alle Menschen vor Diskriminierung schützt – und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt!“ Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. fordert, dass die Antidiskriminierungsrichtlinie wieder auf die Agenda gesetzt und zügig verabschiedet wird. Die EU muss ihrer Verantwortung gerecht werden und sich aktiv für Gleichstellung und Vielfalt einsetzen – nicht nur mit Worten, sondern mit verbindlichen Rechtsvorschriften.

Für die LIGA Selbstvertretung ist die Entwicklung auf europäischer Ebene Ausdruck des Rechtsrucks auch in der Europäischen Union. Genau deshalb hätte Deutschland die Chance nutzen müssen, rechtzeitig für die Antidiskriminierungsrichtlinie zu kämpfen, statt diese über so viele Jahre hinweg zu blockieren. Diese Entwicklung ist nach Ansicht der LIGA Selbstvertretung ein klares Zeichen dafür, warum es so wichtig ist, dass sich behinderte Menschen in die Politik einmischen.

Lesermeinungen

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Ralph Milewski
14.02.2025 18:25

Genau, der Zeitpunkt könnte nicht passender sein. Inmitten der vielen Krisen, die Europa derzeit erschüttern – sei es die Energiekrise, politische Instabilität oder wirtschaftliche Umbrüche – scheint es fast „logisch“, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen (MmB) und anderen marginalisierten Gruppen in den Hintergrund geraten. Der Druck auf die politisch Verantwortlichen wächst, und unter dem Vorwand, für Stabilität und „Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit“ sorgen zu müssen, wird der Abbau sozialer Rechte und Schutzmaßnahmen einfach umgesetzt.

Krisen bieten immer den perfekten Nährboden für politische Rückschritte: Wenn der Fokus auf wirtschaftlicher Erholung und der Eindämmung von „Unruhen“ liegt, geraten Maßnahmen, die für Menschenrechte und Gleichstellung wichtig sind, schnell ins Abseits. Es ist leichter, sich auf den vermeintlichen „Notwendigkeiten“ der Gegenwart zu berufen, als langfristige, humane Veränderungen voranzutreiben.

Und was die Rechte von MmB und anderen marginalisierten Gruppen betrifft, so ist es gerade jetzt, in einer Zeit der Unsicherheit, besonders einfach, ihre Belange zu ignorieren – die soziale Verantwortung wird in der politischen Rhetorik zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer „Ziele“ ausgeklammert. Das Problem dabei: In dieser ständigen Krise wird der Status quo nicht nur verteidigt, sondern weiter ausgebaut. Wer will sich schon inmitten von Krisen mit Inklusion und Barrierefreiheit beschäftigen, wenn die „Dringlichkeiten“ anderer Themen die politische Agenda dominieren?

Diese Entwicklung ist nicht zufällig, sondern eine bewusst herbeigeführte Entscheidung, die in Krisenzeiten besonders gut funktioniert. Doch genau jetzt müssen Menschenrechte und Inklusion gefordert werden, um nicht in der allgemeinen „Krisenlogik“ unterzugehen.