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Mühsames Zündeln an den Strukturen des Werkstättensystems

Ottmar Miles-Paul mit Roman Zündeln an den Strukturen
Ottmar Miles-Paul mit Roman Zündeln an den Strukturen
Foto: LB Bremen

Kassel (kobinet) "Zündeln an den Strukturen" lautet der Titel des Roman, den Ottmar Miles-Paul über die Situation in den sogenannten Werkstätten für behinderte Menschen und zu Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschrieben hat. Wie mühsam es in der Realität jedoch ist, diese festgefahrenen Strukturen der Ausgrenzung behinderter Menschen, der Beschäftigung weit unter dem Mndestlohn und der außerordentlich geringen Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aufzuweichen und echte Reformen herbeizuführen, hat sich leider auch dieses Jahr gezeigt. kobinet-Redakteur Hartmut Smikac sprach mit Ottmar Miles-Paul, der in diesem Jahr 20 Lesungen aus seinem Roman mit intensiven Diskussionen über das Werkstättensystem, aber vor allem auch über gute Beispiele der Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchgeführt hat, wie sich die Situation in diesem Bereich Ende 2024 darstellt.

Hartmut Smikac: Als Sie Ende August 2023 Ihren Roman „Zündeln an den Strukturen“ veröffentlicht haben, hätten Sie damals gedacht, dass Sie mit diesem Buch und diesem Thema 2024 so viel bei Lesungen und Diskussionsveranstaltungen unterwegs sein werden?

Ottmar Miles-Paul: Nie und nimmer. Das war für mich die Überraschung des Jahres 2024. Im Jahr 2023 hatte ich zwar eine Präsenzlesung im heimischen Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen in Kassel und eine Online-Lesung für die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführt, die nicht nur sehr gute Diskussionen hervorgebracht haben, sondern auch viel Spaß gemacht haben. Damit dachte ich, dass es das gewesen wäre. Denn da ich weiß, wie aufwändig und anstrengend die Reiserei und die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen zuweilen sein kann, wollte ich damals gar keine Lesetour durchführen.

Hartmut Smikac: Das kam dann aber ganz anders. Immerhin haben Sie im Jahr 2024 20 Lesungen mit anschließenden Diskussionen zur Situation in Werkstätten für behinderte Menschen und Alternativen dazu im In- und Ausland durchgeführt. Wie kam es dazu?

Ottmar Miles-Paul: Wie so oft kam das Eine auf das Andere, ohne dass dies vorher geplant war. Angefangen hat es mit einer Online-Lesung Mitte Januar 2024 für das in Hamburg ansässige Zentrum für Disability Studies (ZeDiS) und geendet hat es mit einer tollen Lesung in der Stadtbibliothek in Erlangen auf Einladung der Erlanger Stadtbibliothek und des Erlanger Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen.

Hartmut Smikac: Und was war dazwischen?

Ottmar Miles-Paul: Nach der Online-Lesung im Januar 2024 hat sich das Team des Landesbehindertenbeauftragten von Bremen gemeldet und im März eine tolle Veranstaltung mit über 130 Teilnehmenden im Quadrat, einem Veranstaltungsgraum einer Bremer Werkstatt für behinderte Menschen, durchgeführt. Die lebhafte und zum Teil auch kontroverse Diskussion hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich dann nicht mehr Nein sagen konnte, wenn Anfragen kamen. Im Mai ging es richtig ab und ich war mit meiner tollen Leseassistentin Sabine Lohner bei Lesungen in Marburg, Mainz, Berlin, Potsdam und Hamburg. Trotz der damit verbundenen Anstrengungen, aber aufgrund der interessanten Diskussionen konne ich auch nicht Nein sagen, als Anfragen aus Oberaudorf, München, Hannover, Luxemburg, Wien, Bonn, Stuttgart, Kaiserslautern, Frankfurt und Erlangen und für weitere Online-Lesungen kamen.

Hartmut Smikac: Das klingt spannend, aber auch anstrengend. Sie haben ja auch noch einen Job und viele andere ehrenamtliche Aktivitäten am Laufen. Ist jetzt zum Jahresende die Müdigkeit eingekehrt?

Ottmar Miles-Paul: Wenn mir etwas Spaß macht und vor allem, wenn ich darin einen politischen Sinn sehe, dann war ich immer bereit, dafür früh aufzustehen, mehr zu arbeiten, so manchen Reisestress auf mich zu nehmen und auch die Nervosität vor Veranstaltungen zu überwinden. Anstrengend wurde es aber im Herbst als mich massive Ischias- und Hüftschmerzen so plagten, dass ich zum Teil nur noch wenige Schritte laufen konnte und jede Unternehmung zum Abenteuer wurde, ob ich durch komme. So musste ich mich zum Teil schon sehr quälen, die geplanten Termine durchzuhalten. Das hat mich auch gelehrt, dass auch ich Grenzen habe. Daher bin ich nun sehr zögerlich, weitere Anfragen für Lesungen anzunehmen. Getrieben hat mich dabei aber immer die Chance, dass wir politisch etwas verändern können, um das Werkstättensystem zu verändern und vor allem echte Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mehr behinderte Menschen zu ermöglichen.

Hartmut Smikac: Das Thema ist ja auch sehr aktuell, aber rausgekommen ist bisher noch nichts?

Ottmar Miles-Paul: Oh ja, das Thema der Reform des Werkstättensystems war lange Zeit richtig heiß. Vor allem nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Anfang September 2023 die Ergebnisse einer Studie über das Werkstattentgelt und zu Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt veröffentlicht hat. Ich wusste, dass diese Studie veröffentlicht wird und habe mich daher mit der Veröffentlichung meines Romans sehr beeilt, um diese Diskussion auf eine andere Weise mit prägen zu können. Deshalb bin ich auch auf Lesetour gegangen. Denn ich habe schnell gesehen, wie stark die Lobby der Beharrungskräfte des herkömmlichen Werkstättensystems sind und wie gut diese in die Politik hinein verquickt und vernetzt sind. Fakten, wie das Durchschnittsentgelt von 226 Euro im Monat für behinderte Menschen, die in Werkstätten arbeiten, oder die geringe Vermittlungsquote von jährlich 0,35 Prozent auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wurden in der Diskussion schnell frei nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich bloß nicht naß“ an den Rand gedrängt. Trotzdem gab es die Hoffnung, dass wenigstens ein bisschen im Sinne behinderter Menschen verbessert werden könnte. Zumal ca. 27.000 behinderte Menschen aus Werkstätten für behinderte Menschen bereits auf ausgelagerten Arbeitsplätzen bei Arbeitgeber*innen arbeiten. Dort bekommen sie aber weiterhin ein geringes Werkstattentgelt weit unter dem Mindestlohn. Und das obwohl das Budget für Arbeit mittlerweile eine Reihe von Möglichkeiten für eine sozialversicherungspflichtige inklusive Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bietet.

Hartmut Smikac: Ich kann mir gut vorstellen, wie angesichts dieser Diskussionen die Lesungen vor Ort gelaufen sind. Aber was bleibt nun zum Ende des Jahres und vor allem angesichts des Bruchs der Ampelregierung von den Plänen der Regierung übrig?

Ottmar Miles-Paul: Kurz zusammengefasst leider so gut wie nichts. Es wurde viel Energie in eine Studie gesteckt, viel Papier produziert, Beteiligungsprozesse vonseiten des Bundesministerium für Arbeit und Soziales durchgeführt, Ideen für einen Maßnahmenplan entwickelt und sehr sehr viel geschwätzt. Geblieben ist leider nichts, denn das Thema wurde wie viele andere behindertenpolitische Themen letztendlich zu lange auf die lange Bank geschoben und nicht ernsthaft angepackt. Die fortwährenden Vertröstungen, dass in dieser Legislaturperiode noch einiges kommt, sind dann dem Aus der Ampelregierung zum Opfer gefallen. So stehen diejenigen, die am System der Werkstätten für behinderte Menschen ernsthaft etwas im Sinne der behinderten Menschen ändern und die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorantreiben wollen, weitgehend mit leeren Händen da. Das ist vor allem deshalb sehr frustrierend, weil bei der CDU/CSU kein ernsthafter Wille zu erkennen ist, an der systematischen Ausgrenzung behinderter Menschen in diesem Bereich etwas zu verändern. Ganz im Gegenteil: die Pressemeldungen aus Bayern feiern regelmäßig die Werkstätten als Teil des inklusiven Arbeitsmarktes und pumpen viele Millionen Euro weiterhin in dieses ausgrenzende System.

Hartmut Smikac: Das klingt düster. Waren die Lesungen damit auch für die Katz?

Ottmar Miles-Paul: Auf den ersten Blick könnte man das sagen, wenn man sich an der Gesetzgebung orientiert. So wichtig die Strukturen und gesetzlichen Regelungen auch sind, ist ein entscheidender Faktor in Sachen Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch, was die verschiedenen Akteur*innen dafür tun. Dass es hier viele engagierte Menschen gibt, die neue Wege gehen bzw. gehen wollen, dass es auch inzwischen eine ganze Reihe von behinderten Menschen gibt, die den Sprung in den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft haben und beispielsweise das Budget für Arbeit nutzen, das gibt mir Hoffnung und Antrieb am Thema dran zu bleiben. Es ist und bleibt aber ein Kampf gegen Windmühlen, bei dem sich diejenigen, die Inklusion wollen, unendlich abstrampeln müssen, während der Sog in die Aussonderungssysteme nach wie vor groß ist und in weiten Bereichen als selbstverständlich gilt.

Hartmut Smikac: Dann darf man gespannt sein, wie es in Sachen Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter geht?

Ottmar Miles-Paul: Auf jeden Fall, denn so schnell geben wir nicht auf. Seit vielen Jahren kämpfen wir für faire Arbeitsbedingungen für behinderte Menschen und Inklusion und 2025 wird dies weitergehen. Hoffnung geben mir dabei die behinderten Menschen, die neue Wege gegangen sind bzw. gehen. Sie können gute Vorbilder für andere sein und zeigen, was geht, wenn dies gewollt ist.

Der gedruckte 286 Seiten umfassende Reportage-Roman Zündeln an den Strukturen kann zum Preis von 17,00 Euro plus 2,95 Euro Versandkosten und das E-Book zum Preis von 5,95 Euro im Internet beim Verlag epubli unter folgendem Link bestellt werden:

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Mit der ISBN-Nummer 9783757579388 gibt es das Buch im Buchhandel. Die ISBN-Nummer für das E-Book lautet: 9783757579760

Link zu Infos zum Roman „Zündeln an den Strukturen“ und wo dieser gekauft werden kann

Link zur kostenfreien Möglichkeit zum Lesen und zum Download des Romans in der Online-Volltextbibliothek bidokbib