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„Lost in the bubble“ ein Albtraum von Stephan Laux. Und der Versuch einer Deutung.

Bubble
Seifenblasen im Vordergrund. Einem gepflasterten Parkplatz eines Kirchengebäudes. Schwarz weiß Fotografie
Foto: Ralph Milewski

Villmar - Weyer (kobinet) Neulich wachte ich schweißgebadet morgens gegen 4 Uhr auf. Senile Bettflucht, nennt das mein Hausarzt. Ich aber saß, regungslos, kerzengerade, wahrscheinlich mit weit aufgerissenen Augen in meiner Bettstadt und fand nur allmählich zurück in die Realität. Am Tag zuvor hatte mir ein Kumpel einige Screenshots von einer Inklusions-Instagram-Seite geschickt. In einer Collage von bunten Fotografien vieler Menschen tauchte auch ein Porträt von mir auf. Bekannterweise bin ich selbst nicht in den sozialen Medien aktiv. Ich fürchte mich davor. Das bestätigte mir auch der Albtraum, der mich an diesem Morgen aus dem Schlaf gerissen hatte.

In diesem Traum fand ich mich unvermittelt in einer Art Blase wieder. Ein waberndes Etwas, umhüllt von einer Art undurchlässigen, milchglasfarbenen Membran. In dieser Blase tummelten sich etliche bunt gekleidete Menschen, die gegenseitig Visitenkarten austauschten. Vereinzelt schlüpften weitere Menschen durch die Membran. Manche von den Blasenbewohner*innen waren mir bekannt. Ausnahmslos im Zusammenhang der Behindertenhilfe und dem Aktivismus um die Behindertenhilfe herum. Oh Gott! Im Getümmel entdeckte ich meinen ehemaligen Chef! Bloß nicht hinschauen. Ich suche intuitiv nach einem Ausgang. Aber die Membran der Blase öffnet sich nur in einer Richtung. Von außen nach innen.  Am Eingang hängt ein Schild: „Willkommen in der Inklusionsblase! Eintritt frei!“

Panik ergreift mich. Und die Angst, mal wieder in eine depressive Episode zu rutschen.

Mitten in der Inklusionsblase stoße ich auf einen Stapel handlicher Backsteine, mit der Aufschrift „… die Lösung“. Ich ergreife sofort einen von Ihnen und schleudere ihn gegen die Membran. Doch die ist so stabil, dass der Stein von ihr zurückprallt. Ich nehme den nächsten und den übernächsten. Schleudere sie fester und zielloser. Einer streift beim Zurückprallen fast das Haupt meines ehemaligen Chefs! Was, wenn eines meiner Geschosse den oder die falsche trifft?

Plötzlich erfüllte ein strahlend helles Blitzlicht meinen Traum. Zum Schutz halte ich die Hände vor meine Augen.

Als ich sie wieder öffne, stehe ich außerhalb der Blase. Alle anderen befinden sich noch darin. Neben mir steht schweigend Hans Willi Weis, reicht mir eine überdimensional große Nadel und nickt mir ermunternd zu.

Ich steche zu und die Blase platzt mit einem lauten Knall. Alle Blaseninsass*innen purzeln durcheinander und landen in einem Raum. Einer Art Klassenzimmer. An der Tafel des Klassenraumes steht in großen Kreidebuchstaben:

„Willkommen in der Realität! Erste Stunde: Inklusion“

Nachdem meine Mitschüler*innen und ich uns letzte Reste der schleimigen Inklusionsblasenmembran von den Schultern und den Klamotten gewischt haben, nehmen wir unsere Plätze ein.

Da kommt Raúl Krauthausen vor die Klasse gerollt.

„Mein Name ist Raúl Krauthausen und ich bin heute Ihr Klassenlehrer. Sie dürfen mir jetzt eine Frage zur Inklusion stellen, die Sie sich bisher nicht getraut haben.“

Mein Arm schnellt wie ferngesteuert in die Höhe und Raúl fordert mich auf: „Ja bitte!“

„Raúl! Du hast einen imposanten Rollstuhl. Was kann der alles?“

Unmittelbar danach wache ich auf! Und dann: siehe oben …

Der Versuch einer Deutung:

Da sitzt man der Galionsfigur der aktuellen Behindertenbewegung gegenüber. Darf ihm die alles entscheidende Frage zur Inklusion stellen und dann frage ich, was sein Rollstuhl alles kann???

„Wie blöd kann man selbst im Traum sein?“ Aber dazu später mehr. Lassen Sie uns mit dem Anfang beginnen.

In Träumen verarbeiten wir ja Erlebtes, das wir uns im Wachzustand nicht recht erklären können. Vielleicht war das bei mir etwas zu viel in der letzten Zeit.

 

Soziale Medien

Soziale Medien exkludieren nicht nur mich. Man sollte nicht unterschätzen, wie viele Menschen durch soziale Medien, wie Instagram, Facebook und Co überfordert sind. Vor einiger Zeit ließ sich ein Freund von mir in ein psychiatrisches Krankenhaus einweisen. Ich vermute, ein Grund dafür könnte die übermäßige Konfrontation mit diesen Medien sein. Mich würde das wahnsinnig machen. Auf solchen Kanälen wie auch auf Kongressen, von denen ich berichten durfte, treffen sich Insider*innen. Sie haben überwiegend die gleiche Meinung: Inklusion (was immer das auch sein soll) ist gut, notwendig und zu wenig!

Kongresse und Sport:

In der zweiten Jahreshälfte hatte ich mich auf verschiedene Veranstaltungen rund um das Thema Inklusion eingeladen. Alles begann mit einem Ehemaligentreffen einer großen Heilerziehungspflegeschule. Ein wertvoller und interessanter Event, auf dem ich sogar aus meinem Buch lesen durfte. In bleibender Erinnerung ist mir ein weiterer Referent geblieben, der von einem inklusiven Projekt eines Zweitliga-Fußballvereins berichtete. Mannschaften mit kognitiv beeinträchtigten Spieler*innen spielten in einer Art eigener Liga. Was daran genau inklusiv sein sollte, war meine erste Frage, dieser 2. Jahreshälfte, die unbearbeitet bleiben sollte. Stattdessen berichtete mir der durchaus engagierte junge Mann von seinem Sportwissenschaftsstudium, in dem u.a. auch ein sog. „Inklusionskoffer“ bereitgestanden habe. Wir kamen nicht mehr dazu, den Begriff zu erläutern. Eine Art „Erste-Hilfe-Koffer für Inklusion“? Eine der anderen, bis heute unverarbeiteten Fragen.

Im September gingen dann die Paralympics zu Ende. Ich habe sie nur peripher verfolgt, weil mir dieses Großereignis einfach zu oft mit dem Begriff Inklusion in Verbindung gebracht wird. Natürlich waren die Paralympics spannend, unterhaltsam und für die Athlet*innen ein wichtiges Ereignis in ihrem Sportler*innen-Leben. Sie entsprechen aber allem anderen als meiner Definition von Inklusion. Warum ist Rollstuhlbasketball keine eigene olympische Disziplin? Warum laufen beinamputierte Menschen nicht zusammen mit „Zweibeinern“ im olympischen 100 Meter Finale. Warum gibt es im Mannschaftssport keine Mannschaften, die einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden? Also z.B. 50 % Frauen, 50 % Männer, davon 10 % Menschen mit Behinderung? Weil es organisatorisch nicht möglich, bzw. zu aufwendig und zu teuer ist! Und ist das die Antwort auf die alles entscheidende Frage, warum Inklusion nicht gelingt? Weil es organisatorisch nicht möglich, bzw. zu aufwendig und zu teuer ist!

Mein ehemaliger Chef:

Mein ehemaliger Chef in der Inklusionsblase steht vielleicht für die Leitungen von Sondereinrichtungen. Sie stehen in einem Zwiespalt. Kämpfen Sie doch in einem System von Parallelgesellschaften und Sonderwelten für Inklusion, obwohl diese Systeme doch eigentlich Inklusion ausschließen. Ihre Verzweiflung macht manche von ihnen irgendwann taub und blind für offenen Diskurs und konstruktive Kritik.

Backsteine:

Der „Steinwurf von Mönchengladbach“ hat nicht nur die Betroffenen stark, sondern auch mich nachhaltig traumatisiert. Ist dieser Fall noch im Bewusstsein der Öffentlichkeit? Ist er schon aufgeklärt? Und wenn Ja, was haben die Täter ausgesagt? Wenn ich Leute aus der Inklusionsblase auf den Fall anspreche, sagen sie so etwas wie: „Ja, das war schlimm!“ Das ist auch eine häufige Reaktion auf die 12 Opfer einer Sondereinrichtung im Ahrtal oder auf die Auswirkungen der Coronakrise. Irgendwie hat man es geschafft, solche Krisen einstweilen zu überwinden. Aber was hat man daraus gelernt? Was macht man beim nächsten Mal anders? Die Membran der Inklusionsblase verstärken?

Raúl Krauthausen:

Warum bin ich ihm nicht innerhalb der Inklusionsblase begegnet? Vielleicht, weil ich mich noch nicht ausgiebig genug mit ihm beschäftigt habe. Er rollt mir während meiner Recherchen immer mal wieder über den Weg. Da ist er fast unausweichlich, dann aber eine beeindruckende Persönlichkeit. In seiner Sendung „face to face“ mit Phil Hubbe hat er so etwas gesagt wie: „Ich fühle mich in meiner Rolle als sog. Berufsbehinderter nicht immer wohl!“ Mit Ralph Milewski, der in seinem Gastbeitrag auf kobinet eindrücklich seine Sicht auf den Begriff Inklusion darstellt, bin ich im regen und freundschaftlichen Austausch. Er war auch nicht in der Blase. Vielleicht, weil wir in letzter Zeit viel darüber reden, ob Ralph mehr als Künstler mit Beeinträchtigung oder als Künstler gesehen wird. Wir glauben, dass wir beide außerhalb der Inklusionsblase besser aufgehoben bzw. besser inkludiert sind.

Die alles entscheidende Frage:

  • Darf man Raúl Krauthausen fragen, was sein Rollstuhl kann?
  • Was hat das mit Inklusion zu tun?
  • Und warum ist die Frage eine entscheidende?

Vielleicht bin ich in meinem Traum einer kindlichen Intuition gefolgt. Ganz losgelöst von meiner Sozialisation und von political correctness. Kleine Kinder fragen so etwas. Sie sind noch nicht in Blasen gefangen, solange man es vermeidet, ihnen den Mund zu verbieten. Vielleicht ist es auch ein mehr oder weniger kindliches, technisches Interesse, das mich zu dieser Frage veranlasste. Anscheinend gibt es ja technische Lösungen, um Barrieren zu überwinden oder ihre Überwindung zu erleichtern. Barrieren abzubauen, ist die eine Sache. Inklusion eine andere. Sie lässt sich nicht technisch bewerkstelligen. Oder vielleicht doch? Mittels einer Nadel? Über Inklusion innerhalb einer Blase zu diskutieren, bringt sie nicht voran.

So! Gähn! Jetzt ist es doch spät geworden. Ich wünsche allen eine gute Nacht und angenehme Träume.

Stephan Laux November 2024

Lesermeinungen

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Stephan Laux
03.11.2024 12:47

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen Bericht des Magazins „andererseits“ hinweisen.
Anhand der Flutkatastrophe im Ahrtal macht dieser Videobeitrag die Katastrophe der Inklusionsblase anschaulich. Inklusiver Journalismus vom Feinsten. Unbedingt ansehen! https://www.andererseits.org/rette-sich-wer-kann/
Beste Grüße
Stephan Laux