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Crip Storytelling Matters – Behindertengeschichten zählen! „Wie geht’s?“ Ein Beitrag über die Depression von Stephan Laux

Depression
Felder im Herbst, blattloser Baum am rechten Rand, bewölkter Himmel. Schwarz/weiß Fotografie
Foto: Ralph Milewski

Berlin (kobinet) „Immer so weiter!“, würde ich als Antwort empfehlen, wenn mich jemand in meiner beruflichen Eigenschaft als Berater fragen würde. Dass sich mit so einer pauschalen Antwort bei einem Stundenhonorar von 100 €, als Berater nicht viel Geld verdienen lässt, ist vielleicht einer der Gründe, warum ich mit dem Job kein Vermögen ansammle. Ich selbst würde ja gerne erwidern: „Wie meinst Du das? Gesundheitlich, finanziell, beruflich, familiär, gerade im Moment oder im Allgemeinen oder wie jetzt?“ Aber wer will schon während des Wocheneinkaufs an der Supermarktkasse ins Detail gehen?

„Gerade geht’s so, mit der Depression.“ liegt mir manchmal auf der Zunge. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass mein Gegenüber dann noch einen dringenden Termin hat oder ungläubig fragt: „Wie? Du hast eine Depression?“

Die Schlange an der Supermarktkasse scheint nun wirklich nicht der passende Ort zu sein, das auszudiskutieren. Zumal ich mich gleich auf die unausweichliche Frage der Kassiererin konzentrieren muss, ob ich Treuepunkte sammle.

Ich hatte schon mal Heulkrämpfe in Supermärkten, kann aber nicht spontan damit dienen.

Einmal als ich meine 4-jährige Tochter eineinhalb Jahre nicht sehen konnte, weil mir ihre Mutter als unverheirateter Vater in den 80er Jahren das Umgangsrecht verweigerte, während mir ein etwa gleichaltriger Vater mit seiner Tochter im Einkaufswagen über den Weg lief.

Und einmal ca. 25 Jahre später, als ich während einer depressiven Episode in einem riesigen Supermarkt vor einem Wurstregal stand und feststellte, dass es dort 8 Sorten Bierschinken gab. 8 Sorten! Gelagert in Kühlregalen mit etwa 10 Plastikverpackungen hintereinander. Mit einer Mindesthaltbarkeit von durchschnittlich einer Woche. Außerdem gab es noch Sorten mit Bierschinken am Stück und die 3 Sorten an der Frischetheke. Das Gleiche galt für alle anderen der vielleicht 30 Wurstsorten im Angebot. Abgesehen von den Käsesorten und anderen Brotbelägen und Aufstrichen. Es gab 3 Supermärkte dieser Größe in einem Ort mit etwa 3000 Einwohner*innen…

Dass die Depression im Spektrum der Beeinträchtigung von Menschen auf relativ wenig Verständnis stößt, liegt auch daran, dass es die Diagnose Depression so eigentlich nicht geben dürfte. Sie ist so individuell wie der Mensch, den sie beeinträchtigt.

Wie mein Beispiel zeigt, steigert sich ein Gemütszustand, ausgehend von einer ziemlich banalen und alltäglichen Tatsache oder Begebenheit, in ein schier unlösbares Problem und überträgt sich auf andere Tatsachen und Begebenheiten. Was sich wiederum zu einem Berg von unlösbaren Problemen, Hilflosigkeit und Verzweiflung anhäuft, der einen völlig handlungsunfähig zurücklässt.

In einem solchen Zustand sind übrigens Ratschläge u.a. auch von sogenannten Experten, wie: „Viel bewegen! Einfach die Probleme und schlechten Gedanken an der frischen Luft herauslaufen“ oder „Wichtig ist viel drüber reden“, total „hilfreich“.

Eine depressive Episode kann man weder wegtrainieren noch wegdiskutieren, behaupte ich jetzt einmal aus eigener Erfahrung. Vielleicht nutzt es bei manchen als begleitende Maßnahme oder präventiv. Aber dazu muss man sich erst mal aufraffen. Gespräche über Depressionen und deren eventuellen Auslösern, können Situationen, die dazu geführt haben, leicht re – inszenieren und Symptome verstärken.

Manch eine Betroffene oder ein Betroffener ist versucht, die Depression kognitiv zu bewältigen. Die Einsicht, dass die Ursache mit Botenstoffen oder Hormonen zusammenhängt, kommt einem Eingeständnis, dass man seine Gedanken, Gefühle und Gemütszustände nicht aus eigener Kraft und damit selbstbestimmt steuern kann, gleich.

Depressionen belasten Partnerschaften und das Familien- und Berufsleben stark. Menschen mit nicht sichtbaren Beeinträchtigungen müssen sich vielleicht noch subtiler erklären als Menschen mit offensichtlichen Beeinträchtigungen. Ob im Berufsleben, dem Partner, der Partnerin oder an der Supermarktkasse. Dabei kann man sich Krankheitsbilder, wie die Depression als Betroffener, selbst kaum erklären.

Einem, dem das ganz gut gelingt, ist Torsten Sträter. Depressive Menschen sind ja bekannt dafür, dass sie oft grübeln. Vielleicht ist das eine Ressource dieser Beeinträchtigung. Der eine grübelt im Kabarett, der andere in Kolumnen und Büchern über die Behindertenhilfe.

„Macht’s gut!“

Stephan Laux Oktober 2024

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Silvia Hauser
27.10.2024 18:22

Lieber Stephan,
ein Freund, der Zeit seines Lebens depressive Phasen erlebt, sagte mir mal: Wer heutzutage, bei diesem WAHNSINN, den du auf der Welt bezeugen kannst ( z.B. die vollgefüllten Supermarktregale mit x Sorten von ….etc.), wer bei diesem Irrsinn keine Depressionen hat, mit dem stimmt was nicht.

Ich sage, diejenigen, die klaren (und weinenden) Auges es sich zugestehen, sind auf dem WEG!

Silvia