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„Mach das weg!“, oder ob es notwendig ist, Barrierefreiheit zu erklären?

Google Screenshot
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Foto: Stephan Laux

Villmar - Weyer (Kobinet) „Terminologisches Imponiergehabe“ ist mein Lieblingsfremdwort!

Es begleitet mich schon, seit Beginn meiner Berufslaufbahn. Konferenzen und Fortbildungen schienen immer wieder, auch unter dem Motto zu stehen: „Ich kenn ein Wort, das Du nicht kennst und das heißt: …“

„Und weil ich es und seine Bedeutung kenne und Du nicht, bin ich Expert*in. Und Du doof!“

Bestimmte Fachbegriffe und gerne auch Abkürzungen sind eben dem elitären Kreis der Expert*innen vorbehalten. Und weil ich mich anfangs nicht traute, die Bedeutung eines, doch so weitverbreiteten Fachbegriffes, bei seinem Benutzer zu erfragen, bin ich bis heute kein wirklich anerkannter Experte.



Darum mag ich das Wort Barrierefreiheit so gerne. Das Schöne an dem Wort Barrierefreiheit, ist seine eindeutige, selbsterklärende Bedeutung! Keine Lateinkenntnisse notwendig, wie bei „Inklusion“. Kein Anglizismus, wie bei „Handicap“. Keine Sozialromantik, wie bei „Teilhabe“. Es ist eigentlich weder ein Fremdwort noch ein Fachbegriff. Und doch wird es allenthalben diskutiert, erklärt, übersetzt und interpretiert.

Im Selbstversuch, bzw. in einem Versuch mit meinem vierjährigen Enkelsohn, als Versuchskaninchen, habe ich die Barrierefreiheit deutlich und begreifbar gemacht. Ich habe ihm die steile Treppe zu unserem Garten mit einem Hindernis verbaut. Dort angekommen, forderte er mich unmissverständlich auf, augenblicklich für Barrierefreiheit zu sorgen: „Mach das weg!“, lautete sein eindeutiger Auftrag! Das nenn ich mal Verständigung auf Augenhöhe, zweier Experten. Dafür bedurfte es keiner Konferenz, keiner Fachliteratur, keines Podcastes, keiner Talkshow, keiner Podiumsdiskussion und keines terminologischen Imponiergehabes.

Wenn man bei Google „zum Thema Barrierefreiheit“ eingibt, erhält man innerhalb von nur 0,3 Sekunden sagenhafte 85 Millionen 600 Tausend Einträge! Hätten die Fragenden mal meinen vierjährigen Enkelsohn gefragt! Vielleicht schicke ich ihn mal zu Markus Lanz?

Jetzt wird mir vielleicht eine Expertin oder ein Experte entgegenhalten, Barrierefreiheit sei viel komplexer. Für Blinde sei der Begriff vollkommen anders besetzt als für Rollstuhlfahrer. Oh! Wer hätte das gedacht? Deswegen werde ich meinem Enkelsohn, beim nächsten „Selbstversuch“ aber nicht die Augen verbinden.

Und die Germanist*innen unter der Leserschaft, werden mir erklären wollen, dass Barriere, sehr wohl ein Fremdwort ist, weil aus dem Französischen entlehnt.

Die Jurist*innen unter den Expert*innen werden mir wahrscheinlich erklären wollen, dass das Ganze auch eine rechtliche Komponente hat. Schließlich gäbe es, seit 2021 ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, neben einem Behindertengleichstellungsgesetz ( BGG ) und einer Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0).

Was steht da drin? Dass es nicht in Ordnung ist, beeinträchtigten Menschen Steine in den Weg zur Teilhabe zu legen?

Vielleicht ist Expertentum, in gewissen Fällen auch eine Barriere? Weil es das Handeln verzögert! Weil es zum Drum herumreden veranlasst!

Auf Barrieren trifft wahrscheinlich jeder und jede in seinem Leben irgendwann, irgendwo, mehr oder weniger! Muss man dann von Expert*innen erklärt bekommen, dass man gerade an einer Barriere angekommen ist? Oder wie der kürzeste Weg um die Barriere herum verläuft? Oder wie man die Barriere weg klagt?

Ohne despektierlich werden zu wollen: „Lieber Verantwortliche, wenn Sie wissen wollen, was Barrierefreiheit bedeutet, leihen Sie sich Betroffene aus. Das sind Expert*innen! Wenn’s sein muss, nehmen Sie sie mit zu einer Begehung! Sie werden Ihnen dann sehr konkret mitteilen, wo sie eine Einschränkung der Barrierefreiheit feststellen.

Und dann: > Machen Sie es weg!<“

Stephan Laux, April 2024

Lesermeinungen

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Silvia Hauser
25.04.2024 15:27

Hallo Stephan,

lass mich Dir für Deine Kolumne das Fremdwortlob aussprechen, sie versprüht Esprit.

Mein Anknüpfungspunkt: Sprache als gesellschaftliches Herrschaftsinstrument zum Zweck der Beherrschung und besseren Lenkzng Unterlegener. Nur ein Aspekt davon, mittles sprachlicher Ersatzhandlungen Tätigkeit, Handlungskompetenz und -macht simulieren, vortäuschen. „Wir tun was“ . – Ein weites Feld und heikel, weil sich auch Behindertenaktivismus und institutionelle Interessenvertretung von Behinderten darauf tummelt. Bei manchen Empowerment-Angeboten frage ich mich, ob ihr gutes Zureden, ihre Überredungskünste nicht hauptsächlich der Anpassung an zweifelhafte Verhältnisse und Verhaltensweisen dienen, statt einer zupackenden Veränderung derselben. Meine persönlichen Erfahrungen mit EUTBs und anderen Beratungsformaten weisen leider in diese Richtung. Sprachliche Ersatzhandlung statt praktische Abhilfe, siehe meine frühere Kolumne „Beratungsbullshit“ Anfang 2023.

Gruß Hans-Willi Weis

Ralph Milewski
24.04.2024 19:01

Ich schließe mich an und frage dann gleich mal „Kann ich rein?“ oder „Kann ich mitmachen?“ – Diese kurze Frage mag simpel erscheinen, aber sie birgt eine tiefgreifende Bedeutung, insbesondere im Kontext der Barrierefreiheit. Sie stellt nicht nur die Frage nach physischem Zugang zu einem Ort, sondern impliziert auch die Forderung nach transparenten Informationen über die Barrierefreiheit einer Einrichtung. Oftmals fehlen klare Auskünfte darüber, ob ein Ort für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist oder nicht. Kurz gesagt >InforMe!<