Offenburg (kobinet) Ein Bundestag ohne Wolfgang Schäuble - das können sich diejenigen, die das politische Geschehen der letzten 50 Jahre verfolgt haben, kaum vorstellen. Denn der Badener war in dieser Zeit immer im Bundestag mit dabei und hat einige politische Spitzenämter, wie das des Bundestagspräsidenten, bekleidet. Am 26. Dezember 2023 ist Dr. Wolfgang Schäuble, der das politische Leben wie kaum ein anderer in Deutschland, aber auch in Europa, geprägt hat, verstorben. Bundeskanzler oder Bundespräsident ist der CDU-Politiker jedoch nie geworden, was manche Beobachter*innen vor allem dem Fakt zuschrieben, dass Wolfgang Schäuble nach einem Attentat von 1990 einen Rollstuhl nutzte. Ein Fürsprecher bzw. Verbündeter der Behindertenbewegung, wie einige nach dem Attentat gehofft hatten, war er allerdings nie. Lange Zeit war er allerdings der einzige Rollstuhlnutzer im Bundestag bzw. dort zusammen mit Dr. Ilja Seifert von den Linken und seit 2021 mit Stephanie Aeffner von den Grünen vertreten.
Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Spätestens als die Behindertenbewegung Anfang der 90er Jahre begann für ein Antidiskriminierungsgesetz und die Verfassungsänderung mit der Aufnahme eines Benachteiligungsverbotes für behinderte Menschen zu kämpfen, machte sich die Ernüchterung über das fehlende behindertenpolitische Engagement von Wolfgang Schäuble für diese Anliegen breit. Sozialpolitik gehörte nicht zu seinen Hauptpolitikfeldern, als Innen- und Finanzminister beschäftigte er sich mit den Themen, mit denen er es auch vor dem Attentat zu tun hatte. So musste die Behindertenbewegung schon selbst dafür sorgen, dass am Ende Bundeskanzler Helmut Kohl und damit die gesamte Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP in der Zielgerade des Bundestagswahlkampfs 1994 umschwenkte und plötzlich die Aufnahme eines Benachteiligungsverbots für behinderte Menschen unterstützte. Am 15. November 1994 war es dann soweit, dass dieses mit dem reformierten Grundgesetz in Kraft treten konnte, ohne dass Wolfgang Schäuble sich besonders dafür eingesetzt hatte.
Auch bei der bis heute andauernden Diskussion um die Verpflichtung privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit war Wolfang Schäuble keine Hilfe. Die Union blockierte dies, wo sie konnte. Er mischte sich hier nicht ein, obwohl für ihn viele Barrieren in seinem politischen Wirken aus dem Weg geräumt, bzw. ihm mit seinem Rollstuhl über viele Barrieren hinweggeholfen wurde.
Nichts desto trotz darf die Rolle von Wolfgang Schäuble für die Bewusstseinsbildung zum Thema Behinderung nicht unterschätzt werden, denn durch seine Präsenz als Rollstuhlnutzer und vor allem durch sein vielfältiges demokratisches Engagement wurde an vielen Stellen auch deutlich, dass behinderte Menschen eine Vielzahl von Funktionen und Rollen ausüben können, die ihnen oftmals aufgrund von Vorurteilen abgesprochen wurden und häufig immer noch werden. Wolfgang Schäuble war mit seiner Kompetenz, seinem Engagement und seinem Wirken, aber eben auch mit seinem Rollstuhl, den er nutzte, präsent in der Öffentlichkeit.
Nun wird der Streiter für die Demokratie, der in seiner langjährigen politischen Karriere auch seine Höhen und Tiefen im politischen Geschäft erlebt hat, im öffentlichen Bild und vor allem im so notwendigen Streiten für die Demokratie fehlen. Dabei wird er auch der Behindertenbewegung irgendwie fehlen.
Link zum Bericht der tagesschau zum Tod von Wolfgang Schäuble