Menu Close

Kritik am Betreuungsrecht vor Staatenprüfung unterstrichen

Dr. Martin Theben
Dr. Martin Theben
Foto: privat

Berlin (kobinet) Im Vorfeld des Staatenberichtsverfahrens Deutschlands nach den Art. 35 ff. der UN-Behindertenrechtskonvention am 29. und 30. August 2023 in Genf berichtet der Berliner Rechtsanwalt und kobinet-Chronist Dr Martin Theben über seine Erfahrungen mit dem bundesdeutschem Betreuungsrecht. Dabei begrüßt er die Kritik der Parallelberichte an den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen und mahnt ebenfalls grundlegende Veränderungen an.



Bericht von Dr. Martin Theben im Vorfeld der Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Das neue Vormünder- und Betreuungsgesetz ist zu Beginn dieses Jahres in Kraft getreten. Es hat den Anspruch im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention die Rechte der Betroffenen Personen und ihrer Angehörigen zu stärken. Dies ist weder auf dem Papier, noch in der Realität gelungen. Folgerichtig kritisieren die Parallelberichte der UN-BRK-Allianz und der UN-Monitoringstelle dessen Vollzug. Insbesondere die Kritik des Berichtes der Zivilgesellschaft an dem völlig überkommenen Wortlaut der Regelung zur Geschäftsfähigkeit Volljähriger in § 104 Nr. 2 BGB ist mehr als gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift ist geschäftsunfähig, wer sich in einem nicht nur vorrübergehenden Zustand krankhafter Geistestätigkeit befindet. Schon diese, dem 19 Jahrhundert entstammende, Beschreibung diskriminiert Menschen mit Lernschwierigkeiten und psychischen Erkrankungen.

Auch die Formulierung in § 1814 Abs. 2 BGB nach der gegen den freien Willen eine Betreuung nicht eingerichtet werden darf, klingt nur auf den ersten Blick fortschrittlich. Die Rechtsprechung definiert den freien Willen als die Fähigkeit, Einsicht zu zeigen und fähig zu sein, nach dieser Einsicht zu handeln. Allzu oft werden dann Betreuungsbedürftigkeit und Geschäftsfähigkeit auch unzulässig miteinander vermengt. Die hinter dem gesamten Betreuungsrecht stehende Haltung des Staates, Erwachsene, wie Kinder, vor sich selbst schützen zu müssen, widerspricht nicht nur Art. 12 der UN-Behindertenrechtskonvention, auch das Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ist betroffen. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder, zuletzt in einer bedeutsamen Entscheidung zur Zwangsbehandlung Eiwilligungsunfähiger, darauf hingewiesen, es sei mit der Menschenwürde und dem individuellem Selbstbestimmungsrecht unvereinbar, dem Einzelnen ein staatliches Vernunftkonzept überzustülpen. Jeder Mensch sei frei, auch „unvernünftig“ handeln zu können.

Dennoch hält die Bundesrepublik Deutschland an diesem Konzept grundsätzlich fest und erlaubt sogar weiterhin Sterilisationen von Frauen mit Behinderungen. Zwar reicht gemäß § 1830 BGB hier schon der natürliche Wille, also jede Form von mitgeteiltem Widerstand, aus, um die ersetzende Zustimmung des Betreuers durch das anzurufende Betreuungsgericht zu widerrufen. Aber auch dieser natürliche Wille kann durch mangelnde oder nicht barrierefreie Information über die vom Gesetz geforderte Alternativen umgangen werden. Gerade dort, wo Eltern der Betroffenen die Betreuung ausüben, ist die verständliche Sorge um die Folgen einer Schwangerschaft größer als der sicher erforderliche Mut, gemeinsam eine selbstbestimmte Mutterschaft leben zu können. Auch das neue Betreuungsrecht, darauf weisen die Parallelberichte hin, bieten hier kaum Rettungsanker. Aber auch sonst kommt es immer noch viel zu rasch zur Einleitung von gesetzlichen Betreuungen, werden Verfahrensrechte nicht inklusiv ausgestaltet oder auch Angehörige von Betroffenen nicht an den Verfahren beteiligt. An drei Beispielen, mit denen der Autor selbst befasst war, bzw. noch immer ist, sei dies verdeutlicht:

– Seit mehr als acht Jahren wird einem Vater der Kontakt oder auch nur die Beteiligung am Betreuungsverfahren seiner unter Amtsbetreuung stehenden Tochter verweigert. Weder der Amtsbetreuer, noch die befassten Betreuungsgerichte verschaffem dem Vater die Gelegenheit, sich überhaupt nur über das Wohlergehen seiner Tochter informieren zu dürfen; Akteneinsicht wird auch dem Autor dieses Berichts beständig verweigert. Als Grund wird behauptet, die Tochter wünsche dies nicht ohne – ggf. sachverständig – zu belegen, ob diese Aussage zutrifft; bzw. diese zu hinterfragen. Konkrete Vorwürfe wurden gegen den Vater nie erhoben, vielmehr gelang es ihm vor sieben Jahren, auch auf Wunsch seiner Tochter, sie aus der Psychatrie zu holen und vor Zwangsmedikation zu bewahren. Aktuell läuft ein weiteres Beschwerdeverfahren vor dem zuständigen Landgericht.

– In einem anderen Fall wurde trotz zweier Vorsorgebevollmächtigter und mehrerer schriftlicher Erklärungen der betreffenden Person dies weder zu wünschen, noch zu brauchen, eine gesetzliche Amtsbetreuung eingerichtet. Eingeleitet wurde das Verfahren durch das Pflegeheim, in dem die betroffene Person lebte. Informiert darüber, ein Betreuungsverfahren anzuregen, hatte das Heim nicht. Noch als die betroffene Person anwaltlich vertreten war, blieb der zuvor eingesetzte Verfahrenspfleger entgegen der Regelung in § 275 Abs. 5 FamFG im Amt. Er hatte die betroffene Person zunächst nicht gesehen, urteilte aber trotzdem schon über deren angebliche Betreuungsbedürftigkeit und mutmaßte über angebliche finanzielle Interessen eines der Vorsorgebevollmächtigten, um die eigentlich nachrangige gesetzliche Betreuung zu legitimieren. Die vermeintlich unabhängige Gutachterin, die der betroffenen Person quasi vor die Nase gesetzt worden war, um für das Betreuungsgericht das obligatorische Gutachten zu erstatten, tat dies wohl sehr häufig bei Bewohner*innen dieses Heims. In dem Beschluss des zuständigen Amtsgerichts zur Einrichtung der Betreuung wurde all dies nicht gewürdigt. Stattdessen wurde der Person jetzt eine schwere Demenz attestiert, ohne dass dies sonst aktenkundig noch in der Sache auch nur im Ansatz zu begründen gewesen wäre. Auch gegenüber dem Autor zeigte sich die Person – altersbedingt – klar orientiert und äußerte deutlich seinen Unwillen über das Betreuungsverfahren. Während des Beschwerdeverfahrens verstarb die betreffende Person. Nun wird der Versuch unterrnommen, die postmortale Ehre der Person vor dem Bundesverfassungsgericht wiederherstellen zu lassen, denn ihr wurde nachhaltig geschadet.

– Nur durch das rasche Eingreifen des Autors und einer wohl entlastenden Stellungnahme des zuständigen Gesundheitsamtes, so ist es dem entsprechenden Beschluss des Amtsgericht zu entnehmen – konnte ein schon eingeleitetes Betreuungsverfahren schnell wieder eingestellt werden. Angeregt worden war es – ausgerechnet – durch die Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen des Bezirkes. Bei der betroffenen Person handelt es sich um die langjährige und verdiente behindertenpolitische Aktivisten Uschi Lehmann, Mitbegründerin des Spontanzusammenschluss Mobilität für Behinderte und aktiv in zahlreichen Arbeitsgemeinschaften der Senatsverwaltung. Man kann nur sehr hoffen, dass dies nicht der Versuch gewesen ist, eine engagierte Streiterin in Sachen Inklusion mit den Mitteln des Betreuungrechtes einzuschüchtern. Jedenfalls sollte gerade dieses Beispiel keine Schule machen.

Diese Aufzählung kann sicher durch mich und andere Betroffene und deren Angehörige beliebig fortgesetzt werden. Fakt ist: Das Recht der Geschäfsunfähigkeit Volljähriger gehört einer gründlichen Revision unterzogen, da nicht mehr zeitgemäß. Das neue Betreuungsrecht ist im Kern das alte und wird sehr oft, „nach alter Väter Sitte“ interpretiert und vollzogen. Es muss erneut grundlegend überarbeitet werden. Möge die Anhörung der Vertreter*innen vor dem UN-Fachausschuss der kraftvolle Auftakt dafür sein.

Link zur erwähnten Entschheidung Bundesverfassungsgericht – Entscheidungen – Die Beschränkung ärztlicher Zwangsbehandlung auf untergebrachte Betreute ist mit staatlicher Schutzpflicht nicht vereinbar