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Hoffnung auf neuen Schwung für Inklusion bei Entwicklungszusammenarbeit

Veronika Hilber
Veronika Hilber
Foto: CBM

Berlin (kobinet) Mit der Hoffnung auf eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Defiziten und auf neuen Schwung für Inklusion in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe reisen Veronika Hilber und Michael Herbst von der Christoffel Blindenmission (CBM) Ende August 2023 zur Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nach Genf. Die beiden Mitarbeiter*innen der CBM werden dabei besonders kritisch die Fragen des Ausschusses und die Antworten der Bundesregierung in Sachen Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe verfolgen, wie in ihrem gemeinsamen Statement für die kobinet-nachrichten im Vorfeld der Staatenprüfung am 29./30. August deutlich wird.



Statement von Veronika Hilber und Michael Herbst von der Cristoffel-Blindenmission (CBM) zur Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) am 29. und 30. August 2023 in Genf

Deutschland stellt sich der Staatenprüfung unter der UN-BRK: Hoffnung auf eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Defiziten und auf neuen Schwung für Inklusion in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe

Ende August wird Deutschland das erste Mal seit 2015 wieder bei den Vereinten Nationen in Genf durch einen Ausschuss von Menschenrechtsexpert*innen, den UN-BRK Fachausschuss, geprüft, wie es bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorankommt.

Ein seltenes Ereignis, das nicht zuletzt die CBM mit Spannung und Hoffnung erwartet. Seit 2015 ist aus Sicht der Nichtregierungsorganisation, die sich für die Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen in von Armut betroffenen Weltregionen einsetzt, von der Bundesregierung viel zu wenig für Menschen mit Behinderungen getan worden.

Die Verpflichtung Deutschlands, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten, zu schützen und zu verwirklichen, gilt auch für die internationale Zusammenarbeit. Deutschland hat sich mit der UN-BRK verpflichtet, seine internationale Zusammenarbeit inklusiv zu gestalten und seine Partnerregierungen dabei zu unterstützen, die Konvention umzusetzen. Darüber hinaus soll es dabei partnerschaftlich mit der Zivilgesellschaft, insbesondere Organisationen von Menschen mit Behinderungen zusammenarbeiten.

Schon bei der ersten Staatenprüfung 2015 hatte der Fachausschuss Deutschland wichtige Empfehlungen mitgegeben, wie es diese Aufgabe angehen sollte. Dabei ging es zum Beispiel darum, dass die Bundesregierung angemessene Mittel zur Finanzierung inklusiver Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen muss, dass sie objektiv messbar machen muss, ob sie Fortschritte macht und dass Inklusion kein Randthema sein darf, sondern bei Verhandlungsprozessen auf allerhöchster internationaler Ebene von der Bundesregierung eingebracht werden muss. So sollte Deutschland einen aktiven Beitrag zur inklusiven Gestaltung und Umsetzung der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung leisten. Für die humanitäre Hilfe regte der Fachausschuss die Entwicklung einer Inklusionsstrategie durch das Auswärtige Amt an, für die Entwicklungszusammenarbeit gab es zum Zeitpunkt der Prüfung immerhin schon einen Aktionsplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Die Zeichen standen gut. Ein Jahr nach der Staatenprüfung nahm sich das BMZ bei den Inklusionstagen des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vor, eine Inklusionsstrategie zu entwickeln. Ein weiteres Jahr später, 2017, lag eine Evaluierung des BMZ Aktionsplans Inklusion vor. Die daraus hervorgegangenen Empfehlungen boten eine gute Basis für eine Strategie, die zu einer besseren Verankerung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der deutschen internationalen Zusammenarbeit beitragen konnte. Das BMZ arbeitete für die ersten Entwürfe der Strategie zunächst eng mit der Zivilgesellschaft zusammen.

Dann jedoch folgte unerwartet ein jahrelanger Stillstand. Erst Ende 2019 veröffentlichte das BMZ auf seiner Website die Inklusionsstrategie, tat dann aber nichts weiter, um sie umzusetzen. Es werden weiterhin keine Ressourcen bereitgestellt, um inklusive Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen, insbesondere gibt es keine Budgetlinien, die ihre Finanzierung sicherstellen. Keine der Empfehlungen aus der Evaluierung des BMZ-Aktionsplans wurde vollständig umgesetzt.

Erst seit dem 2. Global Disability Summit 2022 in Norwegen kommt jetzt endlich wieder Bewegung in die Debatte. Deutschland hat sich bereitgefunden, den nächsten Gipfel 2025 gemeinsam mit Jordanien und der International Disability Alliance auszurichten. Auch wird das BMZ ab 2024 endlich die Inklusionskennung der OECD einführen. Damit kann nachvollzogen werden, wie viel (oder wenig) Deutschland in inklusive Entwicklungsprogramme investiert. Dies ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Transparenz und hoffentlich ein Anstoß, künftig mehr als die zuletzt 2022 von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) identifizierten Projekte mit Inklusionsbezug aufzusetzen, die nicht einmal 10 Prozent der Programme der GIZ ausmachen.

Deutschland hat also einerseits außer Versprechungen bisher nicht viel vorzuweisen und darf sich auf kritische Fragen des UN-BRK Fachausschusses im Rahmen des Konstruktiven Dialogs gefasst machen. Andererseits hat es aber die Möglichkeit, sich vom Fachausschuss gute Anregungen geben zu lassen, um es in Zukunft besser zu machen. In den Ratschlag des Fachausschusses fließen dann, so hofft die CBM, auch Vorschläge aus der Zivilgesellschaft ein. Die CBM hat sich am Schattenbericht der Zivilgesellschaft über die deutsche Umsetzung der UN-BRK seit 2015 beteiligt und Empfehlungen für die nächste Phase der Umsetzung formuliert. Die CBM wird in Genf mit zwei Personen bei der deutschen Staatenprüfung vertreten sein und steht bereit, den Fachausschuss weiter mit Informationen und CBMs Expertise zu inklusiver Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe zu unterstützen.

Wir hoffen, dass Deutschland sich beraten lässt und Genf hoch motiviert verlässt, in den nächsten Jahren in der internationalen Zusammenarbeit für und mit Menschen mit Behinderungen führend zu werden. Der Anspruch ist mit der Übernahme des Hostings des 3. Global Disability Summit schon formuliert, nun müssen diesen Worten auch Taten folgen. 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderungen weltweit, von denen die Mehrheit in armen Ländern lebt, warten dringend darauf.

Hintergrund:

Nach der ersten Staatenprüfung Deutschland von 2015 hatte der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen Deutschland folgendes ins Stammbuch geschrieben:

Internationale Zusammenarbeit (Art. 32)

59. Der Ausschuss ist besorgt über die mangelnde Beachtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen in den Politikkonzepten und Programmen des Vertragsstaates auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit und Entwicklung, insbesondere im Zusammenhang mit den Millenniums-Entwicklungszielen.

60. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat,

a) einen auf den Rechten von Menschen mit Behinderungen aufbauenden Ansatz in Bezug auf internationale Entwicklungsverpflichtungen, einschließlich der Post-2015-Entwicklungsagenda, aufzustellen;

b) einen Rahmen für die Überwachung und Rechenschaftslegung mit geeigneten behinderungsspezifischen Haushaltstiteln zu schaffen, die in Politikkonzepten und Programmen Menschen mit Behinderungen gezielt berücksichtigen und die geeignet sind, die Post-2015-Entwicklungsagenda durchzuführen und zu überwachen;

c) eine umfassende, integrierte Datenbank über die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen in allen allgemeinen Programmen und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit einzurichten und Kriterien einzuführen, anhand derer der Stand der Verwirklichung der Rechte systematisch analysiert und beurteilt werden kann. Er empfiehlt außerdem, dass die gesamte Entwicklungszusammenarbeit für Menschen mit Behinderungen inklusiv gestaltet wird, auch im Hinblick auf die Erhebung statistischer Daten.

Link zu den Abschließenden Bemerkungen des Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 13. Mai 2015