Wien (kobinet) Nicht nur Deutschland wird im August vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einer Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention unterzeogen. Eine Woche vorher, am 22. und 23. August 2023, ist Österreich an der Reihe. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte daher mit Mag.a Christina Wurzinger, E.MA vom Referat Europa und Internationales des Österreichischen Behindertenrates ein Interview über die Bedeutung der Staatenprüfung für Österreich, entsprechende Erwartungen des Österreichischen Behindertenrates und über den Stand der Vorbereitungen.
kobinet-nachrichten: Eine Woche bevor Deutschland sich am 29. und 30. August 2023 der zweiten Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Genf unterziehen muss, findet die Staatenprüfung Österreichs statt. Was erwarten Sie von dieser Staatenprüfung für den Österreichischen Behindertenrat?
Christina Wurzinger: Ich erwarte mir, dass die Kritik und die Forderungen der Menschen mit Behinderungen in Österreich klar in den Ergebnissen der Staatenprüfung widergespiegelt werden. Der UN-Fachausschuss schließt die Staatenprüfung mit seinen sogenannten Abschließenden Beobachtungen ab. Die darin enthaltenen Empfehlungen muss Österreich bis zur nächsten Überprüfung umsetzen. Schon die erste Staatenprüfung im Jahr 2013 hat gezeigt, dass der UN-Fachausschuss sehr großen Wert auf die Meinung der Zivilgesellschaft legt, die in den Empfehlungen deutlich wiederzuerkennen war.
kobinet-nachrichten: Eine solche Staatenprüfung stellt nicht nur für die Regierung einen großen Aufwand dar, sondern auch für die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Was haben Sie bisher im Vorfeld in Österreich unternommen?
Christina Wurzinger: Wir bereiten uns eigentlich schon seit 2018 auf die 2. Staatenprüfung Österreichs vor. Damals haben wir einen Schattenbericht zu den Umsetzungsmängeln der UN-Behindertenrechtskonvention nach Genf gesendet und waren mit einer zivilgesellschaftlichen Delegation auch vor Ort anwesend, um dem UN-Fachausschuss zu berichten. Im Anschluss daran beschloss der Fachausschuss eine Fragenliste mit den Prüfschwerpunkten Österreichs. Diese Liste hat nicht nur der Staat beantwortet, auch wir haben eine Schattenbeantwortung vor wenigen Wochen nach Genf gesendet. Außerdem werden wir uns in den nächsten Tagen mit dem für die österreichische Prüfung zuständigen Country Rapporteur austauschen. Aktuell laufen die Vorbereitungen für das Treffen mit dem UN-Fachausschuss in Genf, wo wir persönlich anwesend sein werden, auf Hochtouren.
kobinet-nachrichten: Haben Sie schon Pläne, wie Sie die Staatenprüfung n Genf vor Ort begleiten werden, wenn am 22. und 23. August 2023 die Staatenprüfung Österreichs ansteht?
Christina Wurzinger: Ja, das haben wir. Eine vom Behindertenrat koordinierte Gruppe von Vertreter*innen der österreichischen Behindertenorganisationen wird bereits einen Tag vor der Staatenprüfung mit dem UN-Fachausschuss zum sogenannten Private Briefing zusammentreffen. Dafür haben wir ein etwa 20minütiges Statement vorbereitet, in dem wir die größten Umsetzungsmängel in Österreich darlegen. Im Anschluss daran werden die Mitglieder des UN-Fachausschusses Fragen zur österreichischen Situation an uns richten, die wir nach bestem Wissen beantworten werden. Auch bei der tatsächlichen Staatenprüfung wird die Zivilgesellschaft anwesend sein und die Antworten der Staatendelegation aufmerksam verfolgen, um sie allenfalls schriftlich oder im direkten Austausch mit den Mitgliedern des Fachausschusses richtigzustellen. Natürlich werden wir das alles auch medial und pressearbeitstechnisch begleiten.
kobinet-nachrichten: Was sind wichtige Themen in Österreich, wo es mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht oder nur sehr schleppend vorangeht?
Christina Wurzinger: Wir rechnen mit starken Empfehlungen unter anderem zum Recht auf inklusive Bildung, das in Österreich alles andere als umgesetzt ist, aber auch zum Abbau von Institutionen, wofür es weder österreichweite Pläne noch ein koordiniertes Vorgehen gibt. Im Bereich der Bauordnungen kam es sogar – wie auch im Bildungsbereich – zu deutlichen Verschlechterungen seit der letzten Staatenprüfung, was durchaus bemerkenswert ist. Zudem scheitert aktuell die Umsetzung des neuen Gesetzes zum Abbau der rechtlichen Vertretung hin zu unterstützer Entscheidungsfindung kläglich an der Weigerung der Bundesländer, die notwendigen Unterstützungsstrukturen zur Verfügung zu stellen. Generell besteht in Österreich ein großes Problem darin, dass sich die Bundesländer und Gemeinden nicht als Adressaten der UN-Behindertenrechtskonvention wahrnehmen. Ein einheitliches zentral koordiniertes Vorgehen fehlt leider gänzlich.
kobinet-nachrichten: Gibt es Positives in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aus Österreich zu berichten?
Christina Wurzinger: Zwar muss ich bei dieser Frage ein bisschen länger überlegen, aber ja, es gibt auch Positives zu berichten. So wurde zum Beispiel in Aufarbeitung einer Empfehlung aus der letzten Staatenprüfung die deutsche Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention überarbeitet und verbessert. Es gibt jetzt eine offizielle österreichische Übersetzung, in der nicht mehr von Integration, sondern von Inklusion die Rede ist und das Wort Barrierefreiheit anstatt Zugänglichkeit verwendet wird. Auch wurde der Monitoringmechanismus nach Artikel 33 mit einer unabhängigen Struktur ausgestattet. Ebenso wurde ein neues Gesetz auf sehr partizipative Weise geschaffen, das das System der Sachwalterschaften in ein System weitgehender unterstützter Entscheidungsfindung überführen soll. Letzteres scheitert – wie erwähnt – zwar noch an der Umsetzung, dennoch muss der Prozess als Meilenstein partizipativer Gesetzesentwicklung bezeichnet werden.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.
Link zu weiteren Infos zur Staatenprüfung Österreichs des Österreichischen Behindertenrats