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Manövriert sich die CDU/CSU ins behindertenpolitische Abseits?

Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Foto: Michael Gerr

Berlin (kobinet) Bei den diesjährigen Inklusionstagen, die am 8. und 9. Mai unter reger Beteiligung und mit engagierten Debatten in Berlin zum 10. Mal stattfanden, ging es zwar um ein barrierefreies und inklusives Gesundheitswesen. Über der Veranstaltung schwebte aber die Frage, ob die Bundesländer, die von der CDU und CSU regiert werden, das am 20. April bereits vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts am 12. Mai im Bundesrat mit Gegenstimmen bzw. Enthaltungen blockieren. Denn diejenigen, die keine Arbeit finden oder in Werkstätten für behinderte Menschen arm gehalten werden, haben oft mehr Probleme mit ihrer Gesundheit. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul fragt daher in seinem kobinet-Kommentar, ob sich die CDU/CSU mit ihrer Blockade im Bundesrat ins behindertenpolitische Abseits manövriert und ihre behindertenpolitische Glaubwürdigkeit verliert.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Geredet habe man nun genug, nun müsse man endlich handeln, um die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umzusetzen und ein barrierefreies und inklusives Gesundheitswesen sicherzustellen. Darin waren sich viele Teilnehmende der Inklusionstage einig. Und auch Wilfried Oellers und Hubert Hüppe von der CDU fordern von der Regierungskoalition schnelles und konsequentes Handeln ein. Die Zeit bloßer Sonntagsreden geht also für die derzeit auf Bundesebene regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu Ende – aber auch für die CDU/CSU. Denn vieles, was heute beklagt wird, hat die CDU/CSU über Jahre nicht angepackt oder blockiert – in ihrer 16jährigen Regierungsverantwortung in unterscheidlichen Konstellationen. Der ehemalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn hat mit dem Intensivpflegegesetz (IPReG) sogar viele Menschen, die beatmet werden müssen, in die Defensive getrieben und bedroht deren selbstbestimmtes Leben.

Und nun droht die Blockade des am 20. April vom Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschlossenen Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts durch die CDU/CSU-regierten Bundesländer im Bundesrat. Die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Betriebe, die trotz Verpflichtung keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, scheint für die CDU/CSU anscheinend zu viel des Guten zu sein. Frei nach dem Motto „Wasch mit den Pelz, tu der Wirtschaft aber bloß nicht weh!“

Dass die unionsregierten Länder mit Enthaltung oder Ablehnung des Gesetzes drohen, wird von vielen behinderten Menschen mit großem Ärger zur Kenntnis genommen. So müssen die Verbände ein Gesetz, das viele Wünsche offen lässt und weit davon entfernt ist, einen wirklich inklusiven Arbeitsmarkt zu fördern, sogar noch massiv verteidigen und für die Zustimmung im Bundesrat werben, damit überhaupt etwas vorangeht. Dabei liegt der CDU/CSU weniger am Herzen, die Abschaffung der Möglichkeit der Erhebung von Bußgeldern für die Nichtbeschäftigung behinderter Menschen zu verhindern, sondern vielmehr daran, Arbeitgeber*innen bloß nicht weh zu tun. Und hier muss sich die CDU/CSU endlich entscheiden, ob sie sich auf die Seite der Benachteiligten stellt oder auf die der Benachteiliger. Der 12. Mai ist also eine Nagelproble für die Glaubwürdigkeit der CDU/CSU in Sachen Behindertenpolitik.

Mit bloßem Appellieren, mit bloßem Aufklären und mit bloßem Hoffen auf die Einsichtigkeit der Arbeitgeber*innen doch bitte behinderte Menschen einzustellen, lässt sich heutzutage nicht mehr viel erreichen. Klare Regeln sind gefordert. Dagegen sträubt sich die CDU/CSU übrigens nicht nur bei der Erhöhung der Ausgleichsabgabe, sondern auch bei der Barrierefreiheit. Wenn große Veranstaltungen zum Thema Barrierefreiheit von der CDU durchgeführt werden, aber man die privaten Anbieter von Dienstleistungen und Produkten nicht zur Barrierefreiheit verpflichten will, dann ist das eine Herangehensweise des letzten Jahrtausends und hat mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht viel zu tun. Behinderte Menschen bleiben weiter im Abseits, so wie sich die CDU/CSU ins behindertenpolitische Abseits begibt, sollten die unionsregierten Länder wirklich den 12. Mai zum Tag ihrer Unglaubwürdigkeit durch die Blockade des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts im Bundesrat machen.

Hintergrund:

Am 12. Mai um 9:30 Uhr beginnt die Bundesratssitzung, die auch im Livestream übertragen wird. Bereits auf Tagesordnungspunkt 1 geht es um das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Sollte sich heirfür keine Mehrheit finden, ist das Gesetz erst einmal gescheitert und der Vermittlungsausschuss kann angerufen werden, so dass längere Verhandlungen zwischen Bund und Ländern drohen, während behinderte Menschen weiterhin darauf warten, endlich einen Job zu bekommen.

Link zur Tagesordnung des Bundesrates am 12. Mai 2023