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Hin in überfülltem Zug – zurück zu Fuß auf dem Jakobsweg

Hinweis auf Jakobsweg
Hinweis auf Jakobsweg
Foto: Christina Martinez

Uder/Köln (kobinet) Zum Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen haben eine Reihe von Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen die Barrierefreiheit der Bahn getestet und hatten dazu auch einiges zu berichten. Im folgenden veröffentlicht die kobinet-Redaktion als Beispiel zwei Berichte über Bahnfahrten. Einmal führte es dazu, dass der Rückweg zu Fuß auf dem Jakobsweg angetreten wurde und im andreen Bericht wird deutlich, dass wer mit einem Rollstuhl eine Reise tut, einiges erleben kann.

Christina Martinez berichtete beispielsweise aus Uder: „Heute, am 5. Mai, ist Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Dieses Jahr findet der Protesttag unter dem Motto „Zukunft barrierefrei gestalten“ gestalten statt. Was hat der Jakobsweg damit zu tun? Ich pendel regelmäßig mit dem Regionalzug zu meinem Arbeitsplatz – dies wird für mich häufig zu einer Herausforderung, da es keine Ruheabteile in Regionalzügen gibt. Dieses Wochenende befinde ich mich auf einer Fortbildung. Wir waren anlässlich des Protesttages ebenfalls mit einem Regionalzug unterwegs. Der fehlende Rückzugsort in Form eines Ruheabteils stellte für mich heute eine unüberwindbare Barriere dar und so lief ich acht Kilometer auf dem Jakobsweg, um zu meinem Ziel zu gelangen, anstatt die Bahn nutzen zu können. Es handelte sich hierbei um den Rückweg, wohlgemerkt. Die Hinfahrt in einem überfüllten Zug löste in mir u. a. Panik und Tränen aus. Und das ist nur ein kleines Beispiel aus meiner Perspektive. Ich habe bisher wenig über meine Einschränkungen gesprochen. Aber wenn ich sehe, was meine Kollegen und Kolleginnen tagtäglich in Angriff nehmen, um ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können (zum Beispiel sechs E-Rollis in einem Regionalzug, unangemeldet, ansonsten wäre es keine Protestaktion und wäre in der Form nicht genehmigt worden) möchte ich zumindest heute das Wort ergreifen. Außerdem: Wenn ich weiter schweige, wird sich nichts verändern. In Sachen Barrierefreiheit hat Deutschland noch viel Aufholbedarf.“

Jennifer Westbomke vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln hat den kobinet-nachrichten folgenden Bericht geschickt, den sie diktiert hat:

1. Teil:

Es könnte ja so schön sein. Man will irgendwo hin, kauft sich ein Ticket und springt in den Zug. Nichts da! Schon drei Tage vor Reiseantritt die ersten Stolpersteine. Ich rief beim Mobilitätsservice an und wollte die Ein- und Ausstiegshilfe für die Fahrt sowie die notwendigen Tickets buchen. Ziel: Köln – Amsterdam – und abends wieder zurück. Start 9:38 Uhr Rückfahrt 20.28 Uhr. Prima Service, könnte man denken. Nach den ersten 10 Minuten in der Warteschleife teilte man mir mit: ‚Oh, bei Fahrten ins Ausland verbinde ich Sie mal weiter (eine andere Nummer habe ich nicht gesehen). Nach ca 20 weiteren Minuten in der Warteschleife wurde ich mit einer sehr netten Dame verbunden, die mir mitteilte, dass der Rollstuhlplatz in dem gewünschten Zug schon besetzt sei (neue ICE haben, laut Internet, insgesamt ca 444 Sitzplätze aber im Durchschnitt nur ein bis zwei Rollstuhlplätze). Alternativ könnte sie mir anbieten, einen Zug früher oder später zu fahren. 7.39 Uhr oder 12. 39 Uhr. Option 1: Mit Morgenpflege, Anfahrt und mindestens 20 Minuten Vorlauf für die Mobilitätshilfe ist für mich nicht zu schaffen. Option 2: Ankunft gegen 15:53 Uhr. Lohnt sich nicht, wenn man einen Tagesausflug macht, letzte Rückfahrmöglichkeit 20:28 Uhr. Das macht mir übrigens schon von Anfang an Bauchschmerzen, was ist, wenn da etwas nicht klappt, dann gibt es bis zum nächsten Morgen keine Verbindung mehr, die ich mit dem Rollstuhl nutzen kann, spontan im Hotel übernachten, nicht möglich! Andere Verbindungen können nicht angeboten werden. Diese Verbindungen schließen thalis ein und die können oder dürfen?! von dem Mobilitätsservice nicht gebucht werden. Die Dame suchte nach einer Lösung. „Ich reserviere Ihnen Sitzplätze in der Nähe zum Rollstuhlplatz.“ Ich: „Aber ich kann nicht gehen. Nur umsetzen, wenn ich mit dem Rolli zum Sitz komme, der ist ca 68 cm breit.“ Sie: (recherchiert) „der Gang ist 52 cm breit.“ Recherchiert weiter: „dann setze ich sie ins Bistro.“ Ich: „Ok, wenn das kein Problem ist, dann machen wir das.“ Zur Sicherheit würden die Plätze reserviert, an die ich nicht ran komme. Sie: „Auf der gewünschten Rückfahrt ist es das selbe Problem. Ich geb Ihnen nochmal Musik…..“

Mittlerweile hänge ich fast eine Stunde in der Leitung, um meine Einstiegshilfe zu buchen, unterhalte mich mit meiner Assistenz und fürchte, dass mein Handy wegen der Dauer des Gesprächs einfach auflegt und ich dann vermutlich nicht zurück gerufen werde. Da verstummt die Musik. Die Dame von der Mobilitätszentrale: „Natürlich rufe ich Sie zurück.“ Ich: „Haben Sie mich jetzt die ganze Zeit gehört?!“ Sie: „Ja.“ Ich: „Echt?“ „Ja, nein .. Ich habe eine Lösung gefunden. Jetzt ist der Rollstuhlplatz für die Rückfahrt doch frei.“ „Ich: prima, dann krieg ich jetzt noch die Tickets per Mail und dann ist alles klar.“ Sie: „Jein. Das System mag die Nullerkarte nicht. Die kann nicht per E-Mail verschickt werden.“ Ich: „Das macht ja nichts, die Begleitperson ist ja sowieso frei, das kann ich ja auf dem Schwerbehindertenausweis zeigen.“ Sie: „Nein, das ist Schwarzfahren, Sie brauchen die Nullerkarte.“ Die müsste ich am Automaten abholen. Ich: „Aber das macht ja noch mehr Arbeit und Zeitaufwand, ich komme da ja nicht wirklich dran, deswegen mache ich das ja hier mit Ihnen.“ Ja, dann sage ich dem Service Bescheid, dass Sie Ihnen dabei helfen sollen, aber anders geht es nicht.“ Mein Zug fährt um 9:38 Uhr. Für die Einstiegshilfe müsste ich normalerweise 20 Minuten vorher am Service Point sein. Stattdessen habe ich um 9 Uhr eine Verabredung mit den Mitarbeitern, damit ich auch noch an meine Begleiterkarte komme.

1 Stunde 13 später, habe ich meine Einstiegshilfe erfolgreich gebucht. Im Anschluss bleibe ich etwas verwirrt mit der Frage zurück: Wird einem immer zugehört, wenn man ewig in der Warteschleife hängt? – und frage mich, wie es weitergeht.

Diesen Text zu lesen, hat jetzt sicherlich eine gefühlte Ewigkeit gedauert, da kann man sich vielleicht vorstellen, wie lange das Telefongespräch sich angefühlt hat, nur um eine einfache Einstiegshilfe zu buchen. Barrierefrei ist etwas unter anderem dann, wenn behinderte Menschen das Angebot ohne weiteren Aufwand nutzen können. Wenn das kein ungewöhnlicher Aufwand ist, dann weiß ich auch nicht.

Teil 2:

Pünktlich um 9 Uhr am Bahnhof. Ich stelle mich in die Schlange der Information, um Bescheid zu sagen, dass ich da bin und mein Begleiter-Ticket mit Hilfe der MitarbeiterInnen zu bekommen. Die Mitarbeiterinnen schicken mich weiter zum allgemeinen Service Zentrum. Und sage mir, dass ich spätestens um 9.25 Uhr im richtigen Abschnitt auf dem Gleis stehen muss. Der Zug soll um 9.38 kommen. Im Servicezentrum ist eine riesige Schlange. Ich fummele mich dann doch mit der Hilfe meiner Assistenz durch das Bedienen-Menü des Ticketautomaten. Wir können uns nur gerade noch im Vorbeilaufen ein Brötchen holen und gehen zum Gleis. Wir gehen zum Servicepersonal am Gleis. DB Mitarbeiter*in: „Nee, eine Anmeldung haben wir hier nicht.“ Ich kriege schon Puls. Komme ich jetzt noch in den Zug? Was soll das heißen? Die haben keine Anmeldung, nach dem langen Telefonat und nachdem mir gesagt wurde, dass man oben Bescheid gibt?! Dann kommt es doch, das Hubliftmonster. Zusammen stehen wir dann noch eine Viertelstunde da, bis der Zug einfährt. Da hätte ich lieber noch etwas gefrühstückt.

Begleitet von amüsiertem Glucksen werde ich dann durch pure Körperkraft hochgepumpt. Wupp, wupp, wupp. Deshalb wollte man wohl bei der Mobilitätszentrale auch wissen, ob ich mit Rolli mehr oder weniger als 100 Kilo wiege. Noch so etwas, was vermutlich kein anderer Fahrgast im Zug gefragt wird. Wir sind im Zug. Die Mitarbeiter*innen bemerken, dass für mich im Bistro reserviert wurde und fragen warum. Nacheinander laufen sie umher und kommen zu dem Schluss, dass ich völlig unproblematisch am eigentlichen Rollstuhlplatz sitzen kann. Das sollte selbstverständlich sein und keine Frage, die mehrere Mitarbeiter beschäftigt. Nach einem langen, etwas nassen Tag in Amsterdam, sind wir pünktlich am Bahnhof und auf dem Gleis. Der Mitarbeiter vom Mobilitätsservice ist etwas verwirrt und setzt mich in der falschen Tür des Wagon aus. So habe ich keinen Platz und komme nicht zur Toilette. Er ist gerade noch da, bringt mich wieder raus und zum anderen Eingang wieder rein. (Nebenbei: Der Notruf der Behindertentoilette klingelt ständig sehr penetrant, obwohl kein Notfall vorliegt. Kein*e Mitarbeiter*in kommt und alles guckt mich an …. Supi)

Auch wenn ich bei diesem Abenteuer überwiegend auf nette Leute getroffen bin, gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Barrierefrei ist es nicht! Aufwändig und eine unangenehme Sonderbehandlung ist es schon. Durch barrierefrei Züge und Bahnhöfe (nicht nur für Rollstuhlfahrer*innen) könnten das Recht auf Mobilität und Selbstbestimmung verwirklicht werden und jedem (Fahrgast und Personal) Arbeit ersparen.