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Vorausschauen und barrierefrei Bauen: Inklusion als allgemeiner Standard für Neubauten

Franz-Josef Hanke
Franz-Josef Hanke
Foto: Franz-Josef Hanke

Marburg/Lahn (kobinet) Einen Mangel an barrierefreiem Wohnraum beklagen Betroffene seit vielen Jahren. Gleichzeitig diskutieren Architektinnen und Architekten über eine Absenkung von Qualitätsstandards beim Bauen. Diese Situation veranlasste den Journalisten Franz-Josef Hanke zu folgendem Kommentar für die kobinet-nachrichten zum barrierefreien Bauen. Dabei weist er daraufhin, dass auch nichtbehinderte Menschen im Sinne der Inklusion ein großes Interesse an barrierefreiem Wohnraum haben sollten.



Kommentar von Franz-Josef Hanke

Einen Mangel an barrierefreiem Wohnraum beklagen Betroffene seit vielen Jahren. Gleichzeitig diskutieren Architektinnen und Architekten über eine Absenkung von Qualitätsstandards beim Bauen. Mit dem sogenannten „Standard E“ wollen sie überflüssige Anforderungen an Neubauten wie auch beim Umbau und der Sanierung von Bestandsgebäuden über Bord werfen. Damit wollen sie Preise für Neu- und Umbauten absenken sowie klimafreundlichere Bauten ermöglichen. Im Zuge dieser durchaus sinnvollen Debatte sollten Baufachleute aber auch über einen neuen „Standard B“ nachdenken.

Der Buchstabe „B“ steht dabei für „Barrierefreiheit. Sinnvoll wäre sicherlich, Neubauten grundsätzlich mit einem rollstuhlgängigen Erdgeschoss zu errichten. Die geringen Mehrkosten dafür stehen in keinem Verhältnis zu dem immensen Aufwand einer nachträglichen Umrüstung im Fall einer später auftretenden Beeinträchtigung.

Nur 2 Prozent aller Wohnungen und Einfamilienhäuser in Deutschland sind annähernd barrierefrei. Lediglich jedes zehnte Gebäude lässt sich stufenlos erreichen. Darin sind auch alle öffentlichen Bauten mit erfasst.

Mehr als 10 Prozent der Menschen sind jedoch schwerbehindert. Viele von ihnen haben eine motorische Beeinträchtigung. Für sie sind barrierefreie Wohnungen hilfreich oder sogar unerlässlich.

Aber auch alle anderen Menschen sollten im Sinne der Inklusion eigentlich barrierefrei wohnen. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe, die im Ergebnis dazu führen, dass auch Nichtbehinderte barrierefreien Wohnraum bevorzugen sollten.

Zum Einen treten viele Behinderungen und Beeinträchtigungen erst im fortschreitenden Leebensalter auf. Wer dann in einer barrirefreien Wohnung lebt, kann dort bleiben und muss nicht mehr entweder umziehen oder die Wohnung nachträglich zu hohen Kosten barrierefrei umgestalten lassen, was oft überhautp nicht möglich ist. Die barrierefreie Wohnung verringert also die Folgen und damit die begründete Besorgnis, im Alter eine Behinderung oder Beeinträchtigung zu erleben.

Zum Zweiten sollte jeder Mensch angesichts der statistischen Häufigkeit einer Behinderung auch im Bekanntenkreis Menschen haben, die behindert sind. Wenn sie nicht zu Besuch kommen können, ist das eine unangenehme Ausgrenzung dieser Leute von Geburtstagsfeiern oder privaten Treffen. Wer barrierefrei wohnt, lebt leichter zusammen mit anderen Menschen, die im Alter vielleicht nur noch schwer über Stufen und Treppen hinüberkommen.

Bereits 1982 haben die Grünen Hessen in ihrem Landesprogramm die barrierefreie Ausgestaltung aller Erdgeschosse von Neubauten eingefordert. Das wollten sie damals in der Hessischen Bauordnung (HBO) verankert sehen. Doch seither ist in diesem Punkt weiter nichts gescheehen.

Angesichts der viel zitierten „alternden Gesellschaft“ und der Erkenntnis, dass Inklusion in erster Linie den Nichtbehinderten zugute kommt, wäre die Forderung nach der Verankerung barriefreier Zugänge zu allen neu errichteten Erdgeschossen in den neuen Baustandards nicht nur wünschenswert, sondern im Endeffekt auch eine sinnvolle Einsparmöglichkeit. Dann nämlich wäre später die Auswahl an barrierefreien Wohnraum deutlich größer und die Wohnungssuche für Menschen mit einer Behinderung wesentlich leichter. Wie wunderbar wäre es wohl, hätte inklusives Bauen bereits vor 40 Jahren ein allgemeiner Standard bei Neubauten werden können!