Berlin (kobinet) "Sprache prägt unser Denken und schafft Realitäten", so titelt der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Jürgen Dusel die neueste Ausgabe seines Inklusions-Newsletters. "Nicht erst seit diesem Jahr stelle ich mir die Frage, welche Wirkung die Bezeichnung 'geistige' Behinderung auf Menschen hat. Deshalb habe ich mit Fachleuten aus den Bereichen der Rechts- und Sozial- und Sprachwissenschaften sowie der Pädagogik und Medizin, vor allem aber mit Expert*innen in eigener Sache, ein Fachgespräch darüber geführt, ob die seit den sechziger Jahren verwendete Bezeichnung noch zeitgemäß ist oder ob es eine bessere Bezeichnung braucht", berichtet Jürgen Dusel.
„Die Auffassung der Expert*innen in eigener Sache, die den Begriff mehrheitlich als abwertend und stigmatisierend beschreiben, wurde von fachlicher Seite untermauert. Das nehme ich sehr ernst, denn Sprache prägt unser Denken und schafft Realitäten. Und wenn wir auch nicht den einen ‚richtigen‘ Begriff gefunden haben, hat das Gespräch bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ich betrachte es als Auftakt eines politischen Prozesses. Denn eines ist klar: Ein Begriff, der von einem Großteil der so bezeichneten Menschen als diskriminierend empfunden wird, sollte nicht im Gesetz stehen, sondern durch einen besseren Begriff ersetzt werden“, erklärte der Bundesbehindertenbeauftragte.
Mensch zuerst, das Netzwerk von Menschen mit Lernschwierigkeiten, kritisiert den Begriff „geistig behindert“ schon seit über 25 Jahren als diskriminierend und abwertend. „Wie kann ein Geist behindert sein?“ fragt Josef Ströbl und betont, dass sie Menschen sind, für die es schwieriger ist zu lernen. Deshalb hat die Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Lernschwierigkeiten für sich schon sehr früh den Begriff Menschen mit Lernschwierigkeiten verwendet. Damit lehnt sich Mensch zuerst an die seit langem im englischen Sprachgebrauch verwendete Bezeichnung von „people with learning difficulties“, übersetzt ins Deutsche mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, an. Da dies zuweilen mit dem Begriff „Lernbehinderungen“ verwechselt wird, der beispielsweise für Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten verwendet wird, bedarf es meist einiger Erklärungen, dass es sich beim Begriff Menschen mit Lernschwierigkeiten um die Gruppe handelt, die bisher als „geistig behindert“ bezeichnet wird.
Nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 bleibt zu hoffen, dass der Aufschlag von Jürgen Dusel dazu führt, dass ernsthaft über einen besseren Begriff nachgedacht wird und dass die Betroffenen weiterhin entscheidend in diesen Prozess einbezogen wird. Die Lebenshilfe in Österreich führt übrigens schon seit einigen Jahren nicht mehr den Begriff „geistig behindert“ in ihrem Namen.