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Affe und Kuckuck – Über den Nachrichtenwert von Tierlauten in der Öffentlichkeit

sitzt auf einer Bank am Wald
Hans-Willi Weis
Foto: Hans-Willi Weis

Staufen (kobinet) Wo hat „Spaß verstehen“ seine Grenzen und für wen? Drei makaber witzige Tiergeschichten mit ernstem Hintergrund.

Das Tierische hat uns Menschen schon immer Stoff und Anlass zur Belustigung geboten, zur Erzeugung von Gelächter. Leider auch über andere Menschen, auf deren Kosten sich lustig gemacht und gelacht wird. Womit wir auch schon beim Ernst dieser Geschichten sind, handeln sie doch nicht selten von Tätern und ihren Opfern. Und davon, in welchem Fall ein Täter mittlerweile gesellschaftlich geächtet wird. Während an anderer Stelle das Opfer die Diskriminierung und Entwürdigung noch immer über sich ergehen lassen muss.

Tiergeschichte Nummer Eins

Sie spielt in der ereignisarmen Vorkriegsära, als die Zeit sich noch nicht gewendet und der Scholzomat erst seit Kurzem zu arbeiten begonnen hatte, so zuverlässig und geräuschlos wie ich es von meinem Kühlschrank nach wie vor gewohnt bin, also beinahe unmerklich und nicht der Rede wert. In dieser nachrichtenarmen Zeit ereignet sich das wirklich Spektakuläre oder Geräuschvolle, das dann in den Medien für Aufregung sorgt, ganz woanders.

Übrigens, geräuschvoll, diesmal im buchstäblichen Sinne, denn Affenlaute sind es, die von der Tribüne aus über das Spielfeld erschallen, wo Fußball-Drittligisten gegeneinander angetreten sind. Das hässliche Geräusch gilt einem Spieler, ich weiß nicht mehr von welcher der beiden Mannschaften, Duisburg oder Osnabrück. In der medialen Berichterstattung erfährt man, was nun geschieht: Ein zweites Geräusch interveniert auf der Stelle, nämlich die Trillerpfeife des Schiedsrichters und sie unterbricht die Drittligistenpartie. Der Unparteiische begibt sich sogleich zu dem Spieler, dem der äffische Angriff gegolten hat und leistet ihm mit Worten Beistand. Dessen Mannschaftskameraden haben sich schützend um ihn versammelt und verlangen, dass der ungeschriebenen Choreografie demonstrativer Solidarisierung Genüge getan und das Match abgebrochen wird. Die gegnerische Mannschaft erklärt sich in solidarischer Eintracht einverstanden und beweist damit ihre Empathie. Und von den Rängen der Fantribüne tönt es unisono Nazis raus! Polizisten machen den für das initiale Geräusch verantwortlichen „Affenmenschen“ ausfindig und führen ihn ab. – Auf eine standrechtliche Erschießung vor den Toren des Stadions, füge ich hinzu, wird verzichtet, rechtsstaatliche Standards werden eingehalten.

Zwei Worte nur sind es, mit denen der Kommentator nach den Abendnachrichten im Deutschlandfunk die vorbildliche, nachgerade beispielhafte Umgangsweise mit jenem hässlichen Vorfall – auf dem Spielfeld selbst wie hernach im Medien- und Politikbetrieb – auf den Punkt bringt, die Worte „solidarisch und sensibel“. Anderntags, auch dies eine Nachricht aus den Breaking News, spricht die eben erst in Amt und Würden gelangte Bundestagspräsidentin (nach dem Amt des Bundespräsidenten formal das zweithöchste im Staat) dem Angegriffenen ihre uneingeschränkte Solidarität aus. – Eine Woche später, so ist ebenfalls aus den Nachrichten zu erfahren, haben sich die beiden Mannschaften bereits auf einen Wiederholungstermin des Spiels geeinigt.

Soweit die erste Geschichte. Die Leitmedien haben sie als eine Meldung in den überregionalen TV- und Radionachrichten gebracht. Sie hinterlässt den Eindruck von Null-Toleranz gegenüber öffentlicher Diskriminierung hierzulande, einer geradezu vorbildlichen Solidarisierung mit den Opfern und der kompromisslosen Sanktionierung der Täter. Ebendieses positive Bild vermitteln zu wollen, so frage ich mich, war dies vielleicht mit ein Grund, diese Geschichte bzw. die entsprechende Nachricht journalistisch zu verbreiten?

Die zweite Tiergeschichte

Sie war in etwa zur gleichen Zeit auf dem Kultursender SWR2 zu hören, in der Sendung Glauben, die sich im weitesten Sinne mit religiösen Fragen beschäftigt. Allerdings wird von etwas berichtet, was sich abermals auf einem Fußballfeld zugetragen hat. Kein Match zwischen Drittligisten, ich nehme an unterste oder zweitunterste Liga, in den sportlichen Regularien kenne ich mich nicht aus. Tiefste Provinz sozusagen, keine Tribüne, eine überschaubare Zahl von Zuschauern. Diesmal ist der Schiedsrichter Adressat der Tierlaute, denen der Zuschauer überdies die einschlägigen rassistischen Verbalinjurien hinterherschickt. Berichtet wird der Vorfall von der Lebensgefährtin des Unparteiischen, die, das gemeinsame Töchterlein auf dem Arm, am Spielfeldrand das Geschehen verfolgt. Sie steht in der Nähe des Angreifers und da von den übrigen Zuschauern niemand etwas sagt, fordert schließlich sie den Schreihals auf, endlich den Mund zu halten. Woraufhin sie zur Zielscheibe seiner nun entsprechend sexistisch abgewandelten Verbalattacken wird. Als er Anstalten macht, auf sie loszugehen, halten ihn einige der Umstehenden an den Armen fest, ohne ihn nachdrücklich zurechtzuweisen oder sein schändliches Tun zu verurteilen. Und gerade dies sei das Schlimmste für sie gewesen, so das Fazit der Frau, dass keiner der Zuschauer etwas gesagt hat und rechtzeitig eingeschritten ist.

Diese Geschichte hat es nicht in die Nachrichten der überregionalen Programme gebracht, sie taucht lediglich in einer Programmnische des Kulturradios auf. Mit ihr wäre in puncto vorbildhafte Solidarisierung mit dem Opfer und soziale Ächtung des Täters journalistisch auch kein Staat zu machen.

Die dritte Geschichte

Sie entnehme ich keinem Nachrichtenmedium, wir, meine Begleiterin und ich, der Blinde, haben sie selbst erlebt. Diesmal äffen die öffentlich vernehmbaren Tierlaute nicht unseren nächsten Verwandten aus dem Tierreich, den Affen nach und der Vorfall ereignet sich auch nicht auf dem Fußballplatz. Sondern im südbadischen Städtchen Staufen.

Auf der Kirchstraße nähern wir uns der Ecke Johannesgasse, in der unsere Mietwohnung liegt. Der Straßenecke gegenüber auf einem Mäuerchen sitzt jener Gassennachbar, der sonst gewöhnlich von seinem Wohnungsfenster aus meine Begleiterin beim Betreten der Gasse mit „Schlampe“ und verwandten Kraftausdrücken empfängt. – Nun, da er auf dem Mäuerchen sitzt und ein anderer Nachbar aus der Gasse neben ihm steht, die beiden unterhalten sich des Öfteren mit nachbarschaftlicher Vertrautheit, empfängt er uns mit dem Ruf „Kuckuck, Kuckuck“ und richtet seine Handykamera auf uns. Der neben ihm stehende schaut schweigend zu, wie sich der Sitzende über den Blinden und seine Begleiterin lustig macht.

Als wir in die Gasse biegen und eilends die Haustür aufschließen, ist uns der Stehende gefolgt. In unserem Rücken höre ich ihn sagen, ob wir nicht auch finden, dass wir es mit unserer Reaktion auf den Sitzenden, den Kuckuck-Rufenden und Schnappschuss-Schießenden, ein bisschen übertreiben, wir jedenfalls übertrieben empfindlich seien. Wir reagieren nicht, wir schließen die Tür hinter uns. „Unsere beleidigten Mienen“, wie er unser beider Gesichtsausdruck vermutlich gedeutet hat, sind ihm scheinbar unbegreiflich. Für ihn sind wir Leute, die keinerlei Spaß verstehen, die keinen Scherz ertragen. Nicht einfach mal lachen können, wenn ein anderer scherzhaft auf ihnen herumtrampelt, es wird ihnen ja nicht gleich der Kopf abgerissen.

Diese dritte Geschichte schafft es in kein Mainstream-Medium als Meldung. Sie besitzt keinen Nachrichtenwert. Oder wie mich ein Lokalredakteur der Badischen Zeitung diesbezüglich schon vor Jahren belehrt hat: Sie als Erblindeter von Mobbing betroffen? Mobbing ist ein derart verbreitetes Phänomen, würden wir über jeden einzelnen Fall extra berichten, da hätten wir viel zu tun!