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Noch ein paar kräftige Schlücke aus der Pulle für Aussonderungseinrichtungen

Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Foto: Michael Gerr

Kassel (kobinet) "Die bisherige Möglichkeit, Mittel der Ausgleichsabgabe nachrangig auch für Einrichtungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben - insbesondere für Werkstätten für behinderte Menschen - zu verwenden, soll gestrichen werden", so formuliert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Ziel des am 21. Dezember 2022 vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurfs für ein Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Dass diese Regelung dringend nötig ist, zeigen Pressemeldungen aus Bayern und Baden-Württemberg, wo die Mittel aus der Ausgleichsabgabe millionenschwer und immer wieder in Sonderwelten wie Heime und Werkstätten gesteckt werden. So konnten sich die Aussonderungseinrichtungen vor Weihnachten nochmal einige kräftige Schlücke aus der Pulle der Ausgleichsabgabe gönnen, wie es kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul in seinem Kommentar kritisiert.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Hier mal schnell 259.349 Euro für die Modernisierung des Wohnheim St. Maria in Schemmerhofen-Ingerkingen der St. Elisabeth-Stiftung im Landkreis Biberach, dort 497.393 Euro für einen Ersatzneubau der Werkstatt für behinderte Menschen der Stiftung Liebenau in Meckenbeuren im Bodenseekreis – und all das aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Also aus Mitteln, die von Arbeitgeber*innen gezahlt werden, die nicht die vorgeschriebene Beschäftigungsquote von fünf Prozent behinderter Menschen erfüllen. Mittel, die eigentlich dafür gedacht sind, die Integration bzw. Inklusion behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Mittel, die an anderer Stelle fehlen, wo behinderte Menschen und Arbeitgeber*innen mühsam und zum Teil höchst bürokratisch entsprechende Zuschüsse beantragen müssen. Mittel, die in Inklusionsbetriebe investiert werden könnten, bzw. Mittel, die zur besseren Förderung des Budgets für Arbeit als Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen eingesetzt werden könnten.

Und das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Füllhorn, dass das Land Baden-Württemberg kurz vor Weihnachten nochmal schnell an die entsprechenden Aussonderungseinrichtungen ausgeschüttet hat. Aus der aktuellen Liste könnte ich noch zwei weitere Förderungen aus der Ausgleichsabgabe für Wohneinrichtungen nennen, die zusammen nochmal fast eine Million Euro ausmachen, die hier aus der Pulle der Ausgleichsabgabe allein in Baden-Württemberg ausgeschüttet wurden. Hinzu kommen zum Teil noch weitere Zahlungen aus Haushaltsmitteln des Landes Baden-Württemberg an die Wohneinrichtungen, die neben den Kostensätzen für Baumaßnahmen ausgeschüttet werden.

Link zur Liste der Förderungen vom Sozialministerium in Baden-Württemberg

Wollte ich hier eine umfangreiche Liste all der Förderungen von Sondereinrichtungen anführen, die so wenig mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu tun haben, wie ein Fisch mit einem Stein, würde uns dies unendlich ermüden. Denn phasenweise werden beispielsweise vom bayerischen Sozialministerium wöchentliche Jubelmeldungen über ähnliche Zuschüsse verschickt, die natürlich alle die Inklusion fördern. Und so hat auch Baden-Württemberg die oben genannten Förderungen in einer Pressemeldung freudig verkünddet: „Land investiert über neun Millionen Euro in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen“, heißt es in der Pressemeldung des baden-württembergischen Sozialministerium vom 15. Dezember 2022. Ja, 2022, und nicht 2005 als die UN-Behindertenrechtskonvention noch nicht von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Und ja, „für“ behinderte Menschen, so heißt es zumindest in der Presseerklärung.

Link zur Presseinformation des baden-württembergischen Sozialministeriums vom 15. Dezember 2022

Wer dieser Meldungen, die gerade in der Vorweihnachtszeit den weiteren Ausbau von aussondernden Wohneinrichtungen und immer häufiger kritisierten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) überdrüssig ist, den interessiert vielleicht das nun auf den Weg gebrachte Gesetzesvorhabens der Bundesregierung. Mit dem Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts, der am 21. Dezember vom Bundeskabinett beschlossen wurde und nun in den Bundestag zur Beratung eingebracht wird, könnte hoffentlich bald Schluss mit dieser unsäglichen Fehlnutzung der Mittel der Ausgleichsgabe sein.

Könnte, denn wer weiß, welche Kräfte im Hintergrund noch wirken, um das im Koalitionsvertrag der rot-grün-gelben Bundesregierung verankerte Vorhaben einer gezielteren Nutzung der Mittel der Ausgleichsabgabe weg von Sondereinrichtungen im Hintergrund torpediert. Bei diesen Millionenbeträgen und so mancher Verquickungen von Abgeordneten mit der Lobby der Sondereinrichtungen wäre es kein Wunder, wenn sich hier der Widerstand gegen das Vorhaben des Bundes von verschiedenen Seiten regt. Die vor kurzem erfolgte Verurteilung des ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Feldmann wegen seiner Verbandelung mit der Arbeiterwohlfahrt wäre ein guter Anlass, im Behindertenbereich nachzuschauen, wer da wie mit den Aussonderungseinrichtungen „für“ behinderte Menschen verbandelt ist.

Bei manchen Gesetzesvorhaben gilt es daher nicht nur, weitergehende Forderungen zu stellen, sondern auch längst überfällige im Gesetzentwurf verankerte Änderungen zu unterstützen, dass diese am Ende auch im Gesetz stehen. Möge es uns 2023 gelingen, dem Spuk der missbräuchlichen Verwendung von Mitteln aus der Ausgleichsabgabe für Sondereinrichtungen, die nichts mit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu tun haben, eine Ende zu setzen. Die Zeit dafür ist längst überreif!

Link zu Infos zum Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts

Link zum Gesetzentwurf

Vielleicht gibt die klare Sprache über die Fehlfinanzierung von Aussonderungseinrichtungen, wie die Werkstätten für behinderte Menschen, in der letzten Episode der Sendung „Die Anstalt“ am 20. Dezember 2022 im ZDF ja etwas Hoffnung, dass zukünftig die Dinge offensiver beim Namen genannt werden, die in der sogenannten Behindertenhilfe falsch laufen.

Link zur Sendung „Die Anstalt“ vom 20. Dezember 2022 im ZDF

Link zum Faktencheck zur Sendung

Lesermeinungen

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Uwe Heineker
28.12.2022 19:56

Zu Ottmar’s sehr guten Darstellung möchte ich darauf aufmerksam machen, dass auf Seite 25 des zitierten Gesetzentwurfes allen ernstes sogar behauptet wird: „Auch die Werkstätten für behinderte Menschen sind ein Teil des inklusiven Arbeitsmarkts für die Menschen, die auf Grund ihrer Behinderung nicht in einem Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein können und sich für die Werkstatt entscheiden.“. Hier zeigt sich wieder einmal deutlich, welches Bild solcher Einrichtungen noch vorherrascht. Hier muss dringend in Richtung ersatzlose Streichung dieses Passus korrigiert werden

Michael Karpf
28.12.2022 15:23

Die Kritik von Ottmar Miles-Paul ist völlig berechtigt. Die Eingliederung von schwerbehinderten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt wird durch diese Zweckentfremdung der Ausgleichsabgabe gebremst. Und das ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo die Landesverwaltung als öffentlicher Arbeitgeber ihrer Vorbildfunktion zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen seit Jahren nicht gerecht wird. Die Pflichtquote von fünf Prozent wird dort seit dem Jahr 2015 nicht mehr erreicht. Im Ländervergleich rangiert Baden-Württemberg am Ende der Tabelle.

Viele Grüße
Dr. Michael Karpf