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Mit dem Laserpointer auf die Leinwand

Marleen Soetandi und Nicola V. Manitta beim Malen
Marleen Soetandi und Nicola V. Manitta beim Malen des Bildes
Foto: Susanne Göbel

Kassel (kobinet) Marleen Soetandi wollte schon immer einmal auf eine größere Leinwand malen, auch ohne selbst den Pinsel benutzen zu können. Diesen Traum hat die Künstlerin aus der Nähe von Kassel mittlerweile nicht nur verwirklicht. Marleen Soetandi wirkte mit ihrer Idee, ein Bild auf einer Leinwand mit einem Laserpointer und Unterstützung durch sechs verschiedene Assistent*innen anzufertigen, sogar bei einem Projekt im Rahmen der documenta fifteen in Kassel mit. Ein bei der documenta begonnenes Bild mit der Größe von 3,35 m x 1,50 m hat Marleen Soetandi nun mit Hilfe der freiberuflichen Kunstvermittlerin Nicola V. Manitta im Kasseler Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen fertiggestellt. Nicht nur die Idee, die im Rahmen der Aktivitäten eines Künstlerkollektivs bei der documenta im Sommer 2022 angepackt wurde, sondern auch die Kreativität der jungen Künstlerin, die sonst ihre Bilder am Bildschirm erstellt, sind für das NETZWERK ARTIKEL 3 eine gute Nachricht zur Inklusion.

Marleen Soetandi lebt in der Nähe von Kassel mit Familie und Hund. Sie hat rund um die Uhr Assistentinnen um sich herum. Sie nutzt einen Elektro-Rollstuhl und kann sich selbst nur noch wenig bewegen. Da in ihr eine Künstlerinnenseele wohnt, wie sie selbst von sich sagt, hat sie eigene Wege für sich gefunden, dies auszuleben. So beteiligte sie sich zuletzt dank der Vermittlung von Birgit Schopmans vom Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) am „Project Art Works‘, durch das insbesondere Künstler*innen mit Behinderung angesprochen wurden. Dabei hat sie während der 100 Tagen der documenta zusammen mit verschiedenen Assistent*innen in öffentlichen Ateliers, wie der Kasseler Kunsthochschule, zumeist im Kasseler Stadtmuseum und zuletzt pendelnd zwischen diesem und dem ehrwürdigen Fridericianum zusammen mit Künstler*innen des Kollektivs „Project Art Works“ gemalt. Dabei leitete sie mit dem Lichtpunkt eines Laserpointers auf einer Leinwand an, was ihre Assistent*innen dann mit Farbe nachzogen. So entstanden mehrere Kunstwerke, die bei der documenta fifteen entweder während des künstlerischen Schaffens oder als fertige Objekte zu sehen waren.

Neben ihren Aktivitäten während der documenta fifteen nutzt Marleen Soetandi sonst technische Möglichkeiten, indem sie zum Beispiel Karikaturen und Grafiken über Computerprogramme kreiert, die u.a. bereits für Unterrichtseinheiten und behindertenpolitische Kampagnen erfolgreich eingesetzt wurden. So illustrierte sie zum Beispiel ein Kinderbuch, gestaltete Comics für den Englischunterricht am Gymnasium oder etwa das Logo des Projektes „Gute Nachrichten zur Inklusion“. Im Rahmen einer Online-Veranstaltung des Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) gab sie vor Beginn der documenta eine kleine Kostprobe von ihren Grafiken und beschrieb diese für blinde und sehbehinderte Menschen.

Marleen Soetandi verbindet ihre politische Überzeugung mit der Kunst, wobei sie zur Vertiefung ihrer Fertigkeiten ein Fernstudium im Bereich grafische Gestaltung angefangen hat. Da ihr zudem Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist, berichtet sie beispielsweise bei Veranstaltungen der Uni Hildesheim vor Studierenden über ihren Alltag mit Persönlicher Assistenz.

Das „Project Art Works“ eines selbständigen Künstler*innen Kollektivs, das von der kuratorischen Leitung der documenta eingeladen wurde, um auf der documenta fifteen auszustellen und zu arbeiten, hat Marleen Soetandi letztendlich die Tür geöffnet, ihren Traum umzusetzen. So konnte sie während der documenta einige Werke erstellen, ohne selbst einen Pinsel in die Hand zu nehmen. Was aus diesen Aktivitäten folgt, ist noch offen. Aus Frankfurt hat Marleen Soetandi bereits eine Anfrage für eine Ausstellung ihres Werkes bekommen, das sie nun fertiggestellt hat.

Für das Bild, dass Marleen Soetandi im Kasseler Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen nach mittlerweile neun Arbeitseinheiten mit sechs Assistentinnen fertig gestellt hat, hat sie folgende ausführliche Bildbeschreibung für blinde und sehbehinderte Menschen erstellt:

„Das Bild ist auf einer stabilen Papier-Bahn mit Acrylfarben gemalt und ca. 1,50 m hoch bei 3,35 m Breite. Die dominanteste und gleichzeitig Hintergrundfarbe ist ein tief dunkles violett, welches flächig, aber ungleichmäßig deckend aufgetragen wurde. Links gleichmäßiger / dunkler, rechts fleckiger / dezent heller. Der Hintergrund vermittelt Tiefe, wie im Weltall.

Ganz links oben befindet sich ein Bereich mit fünf breiten, dunkelroten und diagonal zur Ecke verlaufenden, graden Linien. Diese haben jeweils eine deutliche Kante und fasern zur Bildecke hin aus. Es entsteht der Eindruck einer Vorwärtsbewegung. Am oberen Bildrand ist ein Handabdruck im selben Rot-Ton plaziert. Von unten rechts her glüht er in sanftem Orange. Hält er die treibende Bewegung auf oder macht er verstärkend darauf aufmerksam?

Die roten Linien liegen über einem Netz aus feinen silbrig grauen Spiralschnörkeln. Diese umspielen die recht massiven Linien und verlieren sich zur unteren Bildmitte hin in einer Art Blitzstruktur.

Dieser Teil des Bildes vermittelt eine gewisse Angestrengtheit und Unruhe. Er geht über in einen Bereich, der durch sieben leuchtend bunte Flammenzungen in blauweiß, grünweiß, rotweiß und gelbweiß eine Art Kometenschauer und damit Licht und Kraft einfließen lässt. Zwischen den ‚Kometen‘, entlang dem zuvor beschriebenen Bereich sind drei wwitere Handabdrücke, die ebenfalls in rotweiß, blauweiß und grünweiß leuchten. Der Eindruck von Sternschnuppen wird durch einen Funkenregen aus vielen kleineren goldgelben Schweiflichtern vom oberen Bildrand verstärkt. Alle streben in die untere linke Bildecke.

In der unteren linken Ecke ist eine schneckenhausförmige Spirale, die in aquamarin (sehr helles blaugrün) und weiß leuchtet. Durch einen gleichfarbigen Handabdruck an ihrem breiten Ende wirkt sie wie ein großer Ammonit, ein fossiles Schneckenwesen. Weiße Punkte im Inneren der Spirale und gegenläufige Häkchen an ihrem äußeren Saum verleihen ihr etwas Stammeskunstartiges.

Neben dem Ammonit ziehen sich sanft geschwungene zarte gelbe Linien wie wogendes Seegras über das Bild. Die Linien sind am oberen Ende teilweise wie ein Morsecode in Funken unterbrochen und fächern sich bis zur Bildmitte auf. Von ihrer Basis züngeln in direkter Nachbarschaft kleine orangene Flämmchen, die aber auch abwärtsschwimmende Goldfische oder Kaulquappen sein könnten, zur Bildmitte hinauf, wo ein fliedergrauer, kleinerer Handabdruck ihren Bereich nach oben begrenzt.

Nach rechts, von der Mitte bis zum dritten Viertel des Bildes, erstreckt sich eine Woge aus ebenso fliedergrauen Flocken. Zunächst dicht, dann aufgelockerter ziehen sie in einer wirbelnden Bewegung zu den Ausläufern der gelben Funkenlinien hin. Die Flocken umschweben einen weiteren Handabdruck in bläulichem grün und grau, ähnlich manchen Darstellungen auf Höhlenwänden.

Aus der rechten unteren Bildecke brandet eine Art Springflut aus Partikeln in bläulicher Petrolfarbe mit türkisen Lichtreflexen den Flocken und dem ‚feurigen‘ Teil des Bildes entgegen.

Knapp über der Oberfläche dieser Brandungswelle schweben, wie in Eile, silbrig weiße, einzelne, faserige Pinselstriche der oberen Bildmitte entgegen. Sie werden, mit einem kleinen Vorsprung, durch einen weiteren Handabdruck in den Farben der Welle angeführt.

Ein Stück vor den Fingerspitzen dieses Handabdrucks beginnen sich erneut zarte Linien, diesmal in weiß, in einem sanften Bogen dem oberen Bildrand und den Enden der gelben ‚Seegras-Funkenlinien‘ entgegen aufzufächern. Durch unterschiedliche Farbintensität in den Linien scheinen diese, sowohl die gelben als auch die weißen, zu glänzen und geben etwas Schwereloses in das Bild.

Aus der oberen rechten Bildecke gehen wie sich ausbildende Schallwellen drei raumgreifende, gebogene Linien im gleichen aquamarin und weiß wie der Ammonit zur unteren linken Bildecke hin. Zwischen ihnen und in der oberen Bildecke ist der leere Raum des dunkel schattierten Hintergrundes. Die innere Krümmung der Linien ist weiß. Der weiße Saum der innersten und der äußersten Linie fasert zur Bildecke hin aus. Es wirkt wie Meeresgischt, die aus der Vogelperspektive, aus strahlend türkisem Wasser, auf einen flachen Strand spühlt.

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