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Viel in Sachen Leichte Sprache erreicht, noch viel mehr zu tun

Abschied von Gisela Holtz mit dem Vorstand des Netzwerk Leichte Sprache
Abschied von Gisela Holtz mit dem Vorstand des Netzwerk Leichte Sprache
Foto: Rolf Kohn

Münster (kobinet) Gisela Holtz, eine der Gründer*innen des Netzwerkes Leichte Sprache, hat sich nach jahrelangem Engagement am Wochenende aus dem Netzwerk verabschiedet. Sie hat die Entwicklung der Leichten Sprache und viele Projekte entscheidend geprägt. Die Mitglieder des Netzwerk Leichte Sprache haben mit ihr zum Abschied ein Interview geführt, das sie den kobinet-nachrichten zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben. Gisela Holtz weiß, dass in den letzten Jahren zwar viel in Sachen Leichte Sprache erreicht wurde, aber noch viel mehr zu tun ist.

Was war Ihr persönlicher Anlass, sich so für die Leichte Sprache zu interessieren und zu engagieren?

Gisela Holtz: Das ist eine lange Geschichte. Ein Ereignis führte zum nächsten: Anfang der 90er Jahre unterstützte ich in meiner Freizeit asyl-suchende Menschen. Dabei lernte ich eine Rollstuhl-Fahrerin kennen. Wir suchten beide eine Wohnung. Sie fand dann eine Wohnung für eine WG und ich zog mit ein. Meine Mit-Bewohnerin wollte Urlaub machen. Dabei merkte sie, wie teuer ein rollstuhl-gerechtes Hotel-Zimmer war. Deshalb gründeten wir gemeinsam mit anderen den Verein Zugvogel. Der Verein suchte preiswerte Urlaubs-Möglichkeiten für Menschen im Rollstuhl. In dieser Zeit hatte die Firma DIAS in Hamburg ein Computer-Programm entwickelt. Mit diesem Programm konnte man Hotel-Zimmer und Gaststätten ausmessen. Zum Beispiel: gibt es Stufen vor dem Eingang? wie breit ist die Tür? und so weiter. Die Firma DIAS suchte einen Verein, der dieses Programm ausprobiert. Unser Verein Zugvogel machte mit. Zuerst maßen wir einige Gaststätten in Münster aus. Dann machten wir Schulungen für Leute, die Häuser ausmessen wollten. Damit die alles richtig ausmessen. Dann konnten sie für ihre Stadt einen guten Führer für Menschen im Rollstuhl machen.

Bei diesen Schulungen war die erste Frage: Für welche Menschen wollen Sie einen Stadt-Führer machen? In Tübingen sagten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen: auch für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten. Aber ich wusste: mit dem Computer-Programm konnten wir nur Tür-Breiten und solche Maße aufschreiben. Das würde Menschen mit Lern-Schwierigkeiten nicht viel helfen. Aber die Idee ließ mich nicht mehr los.

Als ich wieder in Münster war, rief ich bei Mensch zuerst in Kassel an. Ein Mitarbeiter meinte: Ein Stadt-Führer auf einer Tonband-Kassette könnte helfen. Aber ich dachte: Vielleicht verliert jemand mit dem Tonband den Weg. Wie kann man sich dann zurecht-finden? Einige Zeit später traf ich Ottmar Miles-Paul. Im Gespräch erzählte ich ihm von der Idee. Er war begeistert und erzählte mir von Leichter Sprache. Wir haben einen Antrag bei der Aktion Mensch gestellt. Wir wollten einen Stadt-Führer über Münster machen. Ottmar unterstützte uns dabei.

So schrieben wir einen Stadt-Führer über Münster. Wie beschrieben verschiedene Wege durch die Stadt. Und wir versuchten, Leichte Sprache zu schreiben. Wir luden Mensch zuerst ein, für uns die Wege zu prüfen. Eine Gruppe kam zweimal nach Münster. Sie gingen nach unseren Wegen und gaben uns viele wertvolle Tipps. So machten wir einen Stadt-Führer über Münster in leicht verständlicher Sprache.

Danach wollte Mensch zuerst eine Arbeits-Gruppe für Leichte Sprache machen. Sie fragten uns, ob wir auch mitmachen wollen. Beim ersten Treffen waren Mensch zuerst, die Lebenshilfe Bremen, Zugvogel und eine Gruppe aus Österreich dabei.

War die Zeit der Netzwerk-Gründung aufregend? Wofür war das Netzwerk notwendig? Was gab es damals für Diskussionen, worum wurde sich gestritten?

Gisela Holtz: Das Netzwerk war wichtig für uns. Wir wollten überall eine gleich gute Leichte Sprache machen. Wir hatten alle schon für uns damit angefangen. Wir waren zuerst nur eine Arbeits-Gruppe. Wir trafen uns und Prüfer und Prüferinnen lasen unsere Texte. Dann sagten sie uns, was wir besser machen konnten. So lernten wir Übersetzer immer mehr. Und wir wollten dann für uns Regeln für Leichte Sprache aufschreiben.

Aber wir merkten: Eine Arbeits-Gruppe kann nicht viel machen. Eine Arbeits-Gruppe kann zum Beispiel niemanden einstellen. Deshalb wollten wir einen Verein gründen. Ein Verein kann auch Geld bekommen. Zum Beispiel von der Aktion Mensch. Oder von einer Stadt oder einem Ministerium.

Zuerst mussten wir eine Satzung für den Verein schreiben. In der Satzung muss stehen, was der Verein macht. Dabei gab es viel Streit. Bis endlich alle mit einer Satzung einverstanden waren.

Ein wichtiger Grundgedanke des Netzwerkes ist die gemeinsame Arbeit von Prüfern und Übersetzern auf Augenhöhe.

Gisela Holtz: Das habe ich schon bei unserem Stadt-Führer gemerkt. Die Menschen von Mensch zuerst gaben uns viele Tipps. Ich hatte viel zu kompliziert gedacht und geschrieben.

Zum Beispiel hatte ich geschrieben:

Gehen Sie über die Straße am Bahnhof.

Dann gehen Sie über eine kleine Straße.

Danach kommen Sie an eine Ampel.

Josef Ströbl sagte: schreib doch:

Gehen Sie gerade-aus bis zur nächsten Ampel.

Das war viel einfacher und klarer.

Später habe ich viele Jahre lang in Leichte Sprache übersetzt. Ich konnte es schon ganz gut. Aber meine Prüfer und Prüferinnen haben immer wieder schwere Wörter und Sätze gefunden. Oder Texte, die sie nicht richtig verstanden. Ohne diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geht es nicht.

Ich habe viele Schulungen gemacht. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen übersetzten dabei Texte in Leichte Sprache. Alle staunten, wenn meine Prüferin ihre Texte nicht verstand. Oder sagte: das Wort kenne ich nicht. Alle waren dankbar für die Arbeit von der Prüferin.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Thema Leichte Sprache entwickelt, ist Leichte Sprache heute gesellschaftlich anerkannt?

Gisela Holtz: Leider wird Leichte Sprache oft nicht ernst genommen. Schwierige Sprache gilt immer noch als besser und klüger. Und Übersetzungen in Leichte Sprache kosten Geld. Mehr als Übersetzungen in Fremdsprachen. Das will kaum jemand ausgeben.

Was sind in Bezug auf die Leichte Sprache die Zukunftsthemen?

Gisela Holtz: Das Wichtigste ist: Alle Menschen müssen verstehen, dass Inklusion allen hilft. Wenn alle nur an sich denken, schadet es allen.

Ein Beispiel aus der Arbeit in einem Gemeinderat:

Münster hat eine Kommission zu Inklusion von Menschen mit Behinderung. Hier sind auch Menschen mit Lern-Schwierigkeiten Mitglied.

Aber die anderen Mitglieder sprechen meistens viel zu schnell. Sie sprechen in schwerer Sprache. Sie wiederholen sich oft. Dann verstehen die Mitglieder mit Lern-Schwierigkeiten oft nur sehr wenig.

Manchmal müssen alle Mitglieder über Texte abstimmen. Aber die Texte sind in schwerer Sprache. Eine Mitarbeiterin von der Verwaltung versucht ehrenamtlich, einen Teil in Leichte Sprache zu übersetzen. Aber das sind immer nur Teile von einem Text. Und viele wichtige Texte kommen viel zu spät, manchmal erst in der Sitzung. So können sich die Mitglieder nicht vorbereiten. Dann können sie nicht gut abstimmen.

Das ist nur ein Beispiel. Aber ich glaube, so oder ähnlich sieht es an vielen Stellen aus. Auf diese Weise bleiben viele Menschen weiter ausgeschlossen.