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Behindertengleichstellungsgesetz stark verbesserungsbedürftig

Prof. Dr. jur. Felix Welti
Prof. Dr. jur. Felix Welti
Foto: Prof. Dr. jur. Felix Welti

Kassel (kobinet) Die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) im Jahr 2016 war nach Ansicht von Prof. Dr. jur. Felix Welti ein Schritt in die richtige Richtung, dem aber weitere folgen müssen. Die Umsetzung des Gesetzes durch die Bundesbehörden sei nach wie vor stark verbesserungsfähig. Und ein Gesetz, das nur Bundesbehörden bindet und als Spezialgesetz wahrgenommen wird, stoße an Grenzen, betonte Welti im Interview mit den kobinet-nachrichten anlässlich der vor kurzem erfolgten Veröffentlichung des Evaluationsberichts zum novellierten Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes.

kobinet-nachrichten: Vor kurzem wurde der Evaluationsbericht zum novellierten Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes von der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag weitergeleitet. Sie haben an der Erstellung des Berichtes maßgeblich mitgewirkt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse dieser Evaluation?

Prof. Dr. jur. Felix Welti: Die Reform des BGG 2016 war ein Schritt in die richtige Richtung, dem aber weitere folgen müssen. Die Umsetzung des Gesetzes durch die Bundesbehörden ist nach wie vor stark verbesserungsfähig. Und ein Gesetz, das nur Bundesbehörden bindet und als Spezialgesetz wahrgenommen wird, stößt an Grenzen: Wir brauchen neue Schritte zu mehr Barrierefreiheit im Infrastrukturrecht von Bund und Ländern, ein zwischen Bund und Ländern besser abgestimmtes Verfahrensrecht und korrespondierende Normen im Zivilrecht, um auch private Akteure zu binden.

Dazu müssen mindestens das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) noch einmal angesehen werden. Es muss in allen Rechtsbereichen klargestellt werden, dass das Unterlassen angemessener Vorkehrungen eine Benachteiligung ist und dass ein Verstoß gegen Barrierefreiheits-Regeln eine verbotene Benachteiligung vermuten lässt. § 7 BGG regelt das schon, es muss aber für alle gelten.

Der Bundesbeauftragte, die Schlichtungsstelle BGG und die Bundesfachstelle Barrierefreiheit haben sich als Institutionen bewährt. Sie brauchen aber mehr Möglichkeiten. Der Beauftragte muss in allen Bereichen der Bundespolitik wirklich frühzeitig beteiligt werden und die Beauftragten von Bund und Ländern besser koordinieren können. Die Schlichtungsstelle sollte auch für Landesbehörden zuständig werden, wenn die Länder nicht selbst Schlichtungsstellen einrichten. Die Bundesfachstelle muss stärker auch die Gesetzgebung, die Verbände und Private beraten können.

kobinet-nachrichten: Vor der letzten größeren Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes wurde deren Umsetzung 2014 ebenfalls evaluiert. Was hat sich zwischenzeitlich verändert?

Prof. Dr. jur. Felix Welti: Wir konnten jetzt auf die Ergebnisse der damals eingeführten Berichtspflichten zurückgreifen. Die müssen erhalten und ausgebaut werden. Es gibt Bewusstseinswandel in den Behörden, aber er ist langsam. Das Umfeld für die Diskussion der Ergebnisse ist günstiger, weil der aktuelle Koalitionsvertrag mehrere Ankündigungen zur Barrierefreiheit enthält und auch ermöglicht, Reformen des Zivilrechts anzugehen.

kobinet-nachrichten: Im Vertrag der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP sind eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit und Teilhabe behinderter Menschen verankert. Was müsste Ihrer Meinung nach aufgrund der Evaluationsergebnisse zum BGG nun schwerpunktmäßig angepackt werden?

Prof. Dr. jur. Felix Welti: Es muss ein abgestimmtes Vorgehen mit den Ländern geben. Das Zivilrecht muss stärker einbezogen werden. Das Thema darf nicht nur in den traditionellen Zuständigkeitsbereichen des federführenden Bundesministeriums für Arbeit und Soziales behandelt werden. Viel anzupacken gibt es im Gesundheitswesen und in der Infrastruktur von Verkehr, Bauen und Informationstechnik.

kobinet-nachrichten: Wie können die Verbände behinderter Menschen Ihrer Meinung nach das bestehende Behindertengleichstellungsgesetz besser nutzen, um Diskriminierungen entgegenzutreten?

Prof. Dr. jur. Felix Welti: Es gibt viele Möglichkeiten, das BGG in individuellen Gerichtsverfahren vor den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten und in Verbandsklageverfahren zu nutzen. Die Verbände sollten ihre Fähigkeiten zur strategischen Prozessführung verbessern. Dazu wäre es sinnvoll, wenn sie enger zusammenarbeiten und die rechtliche und die politische Handlungsebene verzahnen. Über den traditionellen Rechtsschutz gegen Behörden hinaus sollten sich die Verbände auf das Verbraucherschutzrecht orientieren, wenn sie im Zivilrecht schneller vorankommen wollen als es im öffentlichen Recht in den letzten 20 Jahren mit dem BGG gelungen ist.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Link zum Evaluationsbericht zum BGG