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Berlin (kobinet) Woher soll die Feuerwehr wissen, ob in dem brennenden Haus eine gehörlose Person wohnt und den Alarm nicht hört? Woher soll der Katastrophenschutz wissen, ob in dem Haus eine Behinderten-WG lebt, wenn ein Hochwasser das Haus bedroht? Und was ist bei einem Black-Out (kein Strom, kein Trinkwasser, kein Telefon, kein Hausnotruf, kein Mobilfunk, keine Wärme) ?
Wäre es von Vorteil, wenn die Rettungskräfte von meinem Handicap wissen? Sicher, davon bin ich sehr überzeugt. Nicht nur ich. Deshalb gibt es eine Vereins-Initiative, welche eine innovative Lösung bieten. Kobinet hatte die Möglichkeit, mit dem „Ideengeber“ Herrn Philipp Cachée ein ausführliches Interview zu führen.
Die Abendschau des rbb (Rundfunk Berlin Brandenburg) brachte kürzlich eine interessante Reportage „Wie Berlin auf den Katastrophenfall vorbereitet ist“. Zur Situation behinderter Menschen in Notfallsituationen ging die Reportage nicht ein, aber auch daran wird gedacht und gearbeitet. Wir sprachen mit Philipp Cachée. Er erläuterte uns das Notfallregister. Wir berichteten schon einmal darüber „Hilfe bei einer Katastrophe – Menschen mit Einschränkungen können sich registrieren“.
Kurz zusammen gefasst: Das Notfallregister enthält freiwillig eingetragene Angaben zu Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen und von Einrichtungen wie Pflege WGs, Dialysezentren und Pflegeheime. Zugriff haben ausschließlich die Katastrophenschutzbehörden, Feuerwehr und die Leitstellen.
kobinet: Herr Cachée, Sie sind nicht nur im Katastrophenschutz in Berlin tätig, bitte stellen Sie sich kurz unseren Lesern vor.
Herr Cachée: Ich bin 39 Jahre alt und studierter Krisen- und Katastrophenmanager. Hauptberuflich bin ich behördlich für den Katastrophen- und Zivilschutz in einem Berliner Bezirk mit über 300.000 Einwohner/innen verantwortlich. Nebenberuflich betätige ich mich langjährig als Sachverständiger und gebe mein Wissen als Hochschuldozent an den Fachkräftenachwuchs weiter. Ich habe 20 Jahre internationale Einsatzerfahrung u.a. aus den USA nach dem verheerenden Hurrucane Katrina und aus ehrenamtlicher Tätigkeit in Katastrophenschutzeinheiten.
kobinet: Was hat Sie, sicher auch mit anderen zusammen, bewegt, das Projekt Notfallregister zum Schutz behinderter und eingeschränkter Menschen anzugehen?
Herr Cachée: Im Zuge der hauptberuflichen Tätigkeit und Fortschreibung von Gefahrenabwehr- und Katastrophenschutzplänen, wurde festgestellt, dass es keine zentrale Erfassung von Heimbeatmungsplätzen oder Kunstherzpatienten gibt. Oder, im Zuge von diversen Bränden mit anschließend notwendigen Evakuierungsmaßnahmen war es immer eine Herausforderung und mit Verzögerungen für die betroffene Person verbunden, wenn bei der Maßnahme Personen mit Einschränkungen bekannt wurden. Um ad hoc Maßnahmen für Betroffene, mit entsprechenden Kräften und Mittel, den Einsatz angepasst organisieren zu können, ist für Einsatzleiter, das Notfallregister die Informationsquelle der Wahl.
kobinet: Auf Ihrer einfach und kurz gehaltenen Webseite https://www.notfallregister.eu/ erklären Sie den Vorgang des Registrierens. Was geschieht mit den persönlichen Daten nach der Registrierung tatsächlich? Auf welchen institutionellen Personenkreis ist der Zugriff im Notfall und im Normalfall beschränkt?
Herr Cachée: Es gibt mittlerweile im Bundesgebiet verteilt Rettungs- und Feuerwehrleitstellen, sowie Katastrophenschutzbehörden, welche am System angeschlossen sind. Durch die Registrierung von Betroffenen sind wir in der Lage gezielt in geografischen Bereichen, wo noch keine verantwortliche Leitstelle angeschlossen ist, diese aktiv anzusprechen.
Durch mediale Berichterstattung, Netzwerkarbeit und gezielte Rundschreiben sollen kurzfristig flächendeckend Leitstellen als Nutzer gewonnen werden. Es ist ein Mehrwert für Prävention (Vorbeugung) und sofortige Einsatzlagen und schließt eine Informationslücke.
Die Nutzung ist für registrierte Betroffene und Behörden kostenfrei!
Wichtig ist, dass das Register eine Informationsquelle für Einsatzorganisationen und Katastrophenschutzbehörden ist und eine Nutzung den Einsatzkräften und Behörden obliegt. Wir als Verein bieten die Möglichkeit und Datenbasis an. Dadurch erfahren die Rettungskräfte die besondere Situation und können passend, schneller und umsichtiger reagieren. Sonderrechte ergeben sich nicht aus der Registrierung.
kobinet: Warum ist die Registrierung von Einrichtungen der sozialen, medizinischen, pflegerischen und anderen Einrichtungen der Behindertenbetreuung und -hilfe so wichtig?
Herr Cachée: Einzelpersonen: Hier können sich Menschen freiwillig eintragen, welche gesundheitliche Einschränkungen haben. Dies beginnt bei Sinneseinschränkungen (gehörlos, blind), geistiger Behinderung, Mobilitätseinschränkung, mit Abhängigkeit von technischen Geräten (Dialyse, Kunstherz, Beatmung, Magensonde, usw.). Bei der Abfrage werden auch Informationen erhoben, welche für eine Evakuierung und daraus resultierende Betreuung notwendig sind.
Einrichtungen: Hier geht es um die Erfassung von Einrichtungen wie Demenz WGs, Intensivpflege WGs, Beatmung WGs, Dialysezentren oder Altenpflegeeinrichtungen. Hier wird die zu erwartende Personenanzahl, Kontaktmöglichkeiten für Verantwortliche wie Arzt, Pflegeleitung, Verwaltungsleitung. Ebenso wichtig, um eine solche Einrichtung beispielsweise bei einem Ausfall der Stromversorgung nicht evakuieren zu müssen, weil dies meist mit großer psychischer Belastung für Bewohner einhergeht, die gewohnte Umgebung zu verlassen, Informationen über die Notstromversorgung. Einrichtungen haben die Pflicht, ihre Resilienz selbst zu erhöhen und Selbstvorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Wenn nun eine Netzersatzanlage vorhanden ist, so ist es wichtig zu wissen, wie lange der Treibstoffvorrat ausreicht und wenn es keine gibt, welcher Anschluss vorhanden wäre, um, wenn möglich, eine externe Stromeinspeisung durch Dienstleister und ultima ratio über den Katastrophenschutz zu organisieren.
kobinet: Das Notfallregister ist keine staatliche Einrichtung. In Deutschland ist das so eine Sache mit den Genehmigungen und Zertifizierungen. Wer gibt Ihnen, also dem Verein, die erforderlichen Berechtigungen und die Sicherheiten zum Umgang mit den Registerdaten?
Herr Cachée: Wir haben uns bewußt für deutsche Rechenzentren entschieden und in diesem nur von uns genutzte Hardware gemietet. Diese Server erfüllen alle Voraussetzungen, welche gesetzlich gefordert sind. Es wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, welche von außen nicht erkennbar sind und aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden. Zudem wird die Anlage vom Dienstleister 24/7 überwacht.
Die Daten werden von den Nutzer/innen freiwillig hinterlegt und gemäß der DSGVO (Datenschutzgesetz Verordnung) gespeichert, verarbeitet und nur im Rahmen der Einwilligungserklärung, welche Voraussetzung für die Speicherung ist, weitergegeben.
Die Leitstellen und Behörden, welche sich für die Nutzungserlaubnis bewerben, werden von uns auf Authentizität geprüft und nur diesen dann der Zugang gewährt.
Alle Zugriffe und Abfragen werden mit Nutzer, Datum, Uhrzeit und abgefragtem Datensatz gespeichert. Alle Abfragen werden von uns stichprobenartig kontrolliert. Die Nutzung der Daten liegt in der Verantwortung der jeweils abrufenden Behörde.
Datenschutz steht bei uns neben der möglichst störungsfreien Verfügbarkeit an oberster Stelle.
Die Abfragen laufen über andere Server in einem weiteren deutschen Rechenzentrum, welche physikalisch nicht mit der Webseite verbunden sind und verwenden ähnliche Schutzmechanismen, wie diese auch für das Online-Banking verwendet werden. Aus Sicherheitsgründen machen wir hier keine weiteren Angaben.
kobinet: Welche Einrichtungen des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr usw. sind regional und hierarchisch in Deutschland und Österreich, wie ich las, gibt es gemeinsames Handeln, eingebunden?
Herr Cachée: Von den Leitstellen über die Katastrophenschutzbehörden bis zu Ministerien / Senatsverwaltungen sind alle Stufen des Katastrophenschutzes notwendig. Aktuell sind bereits verschiedenste Ebenen eingebunden oder in der Vorbereitung der Einführung.
kobinet: Was möchten Sie den Lesern noch mitgeben?
Herr Cachée: Wichtig ist die Selbstvorsorge, welche sowohl für Bürger*Innen als auch Betreiber von Einrichtungen notwendig ist. Die Behörden benötigen bei einem Großereignis Zeit, um Ersatzinfrastruktur zu errichten. Diese Zeit muss jede/r überbrücken können. Das BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) rät zu Vorräten für mindestens 10 Tage, dem ich mich nur anschließen kann. Die behördliche Hilfe ist immer ultima ratio, also dann, wenn die eigenen Mittel erschöpft sind. Wenn ein Pflegeheim sich ein paar Tage selbst versorgen kann, schafft dies Zeit den Behörden, die individuellen Bedürfnisse in der Einsatzabarbeitung zu organisieren – z.B. das Einrichten von Notfallquartieren oder bei der Notfallessensversorgung. Wir können jede Lage meistern, aber nur gemeinsam. Das Notfallregister hilft uns bei der Bewältigung, die Nutzung dieser Informationen obliegt jedoch der jeweiligen Einsatzleitung bzw. Behörde unter Berücksichtigung der Dringlichkeit, verfügbaren Kräfte und Mittel.
Vielen Dank für das Interview.
Die Webseite des Notfallregisters https://www.notfallregister.eu/
Eintragen Einzelperson https://www.notfallregister.eu/datenerfassung/
Eintragen Einrichtung https://www.notfallregister.eu/einrichtung/